Lagerfeld denkt über Nachfolger nach:Karls Kronprinz

Als möglichen Nachfolger bei Chanel bringt Karl Lagerfeld den Kolumbianer Haider Ackermann ins Gespräch - ein schillernder Gedanke.

Peter Bäldle

Karl Lagerfeld ist stets für eine Überraschung gut. Und wie man im Gespräch bleibt, weiß sowieso keiner besser als er. Also hat er im Vorfeld der Pariser Couture-Schauen, die an diesem Montag begonnen haben, einfach mal laut über seinen etwaigen Nachfolger bei Chanel nachgedacht - was ihm prompt die gesammelte Aufmerksamkeit der französischen Presse einbrachte. Da können die Kollegen noch so akribisch an den Säumen sticheln: Diesen Medienvorsprung holen sie garantiert nicht mehr auf.

German fashion designer Lagerfeld arrive for  62nd Bambi media awards ceremony in Potsdam

Hat einen Vetrag auf Lebenszeit: Modeschöpfer Karl Lagerfeld.

(Foto: Reuters)

Nicht, dass Lagerfeld beabsichtigen würde, das Zepter bei Chanel aus der Hand zu legen. Da mochte man nach dem elegischen Defilee im Oktober noch so unken. Doch beim Interview mit dem französischen Modemagazin Numéro reagierte er auf die Frage, welcher Designer wohl der fähigste sei, ihm dereinst nachzufolgen, erstmals nicht gereizt, sondern entgegnete kühl: "Ich habe einen Vertrag auf Lebenszeit. Also hängt es allein von mir ab, wem ich zum Schluss die Hand reiche. Im Moment würde ich sagen, das wäre - Haider Ackermann!" Haider wer?

Natürlich ist der junge Mann mit den schwarzen Locken, dem Viva-Zapata-Bart und der Intellektuellen-Nickelbrille in Expertenkreisen kein unbeschriebenes Blatt. Er verfügt sogar über einen gewissen Kultstatus, was nicht zuletzt auf die begrenzte Besucherzahl für seine Defilees zurückzuführen ist: Verknappung erhöht die Begehrlichkeit. Doch wie kommt der große Karl, der in jeder Saison verpflichtet ist, den sattsam bekannten Chanel-Kostümchen einen neuen Dreh zu geben, auf jenen Nomaden der Mode? Auf einen, der, aus den Wüsten Nordafrikas kommend, über Antwerpen seinen Weg nach Paris fand? Wollte Lagerfeld nur sensationshungrige Journalisten seinerseits in die Wüste schicken - oder hat sein Adlerblick hinter den dunklen Brillengläsern mehr erspäht, als die weich fließenden Linien von Ackermanns Drapierungen ahnen lassen?

"Haider versucht seine Frauen so schön wie nur möglich, so stark und unabhängig wie nur möglich aussehen zu lassen", sagt dazu die schöne, rätselhafte Schauspielerin Tilda Swinton. Sie brachte den Designer international ins Gerede, als sie vor zwei Jahren in einem Abendkleid von ihm über den roten Teppich der Filmfestspiele von Cannes schritt. "Er vereint Tradition mit Modernität, Zeitlosigkeit mit einer federleichten Anmut, die wahrhaftige Eleganz der alten Berberstämme mit den windschnittigen Linien futuristischer Raumschiffe", schwärmt sie.

Die Farben Afrikas begleiten ihn

Ob es an Oran liegt, jener Stadt in Algerien, wo Ackermann zur Schule ging und wo auch Yves Saint Laurent aufgewachsen ist? Zeit seines Lebens konnte dieser nicht deren Farben vergessen und auch nicht die goldglitzernden Stickereien in den Basaren. Als Kind war Haider Ackermann dort angekommen, nachdem er seine französischen Adoptiveltern, Kartographen von Beruf, durch den Iran, Äthiopien und den Tschad begleitet hatte.

Winner of the Swiss Textiles Award Haider Ackermann of France smiles after presenting his collection at the Gwand Fashion Festival in Luzern

Von Modedesigner Karl Lagerfeld eigens als möglicher Nachfolger bezeichnet: Haider Ackermann, der junge Mann mit den schwarzen Locken.

(Foto: REUTERS)

Geboren wurde er in Kolumbien. Heute noch bewirke dieser frühe Nomadismus, dass er sich nirgends heimisch fühle, sagte er kürzlich in einem Interview. Also entwerfe er auch für Frauen, die ständig unterwegs seien und ihre Schätze immer bei sich trügen: die ethnischen Drapierungen zur abgewetzten Lederjacke, die indianischen Stickereien unterm strengen Männerjackett.

1994 ging Ackermann nach Antwerpen, um an der Königlichen Akademie der Schönen Künste Mode zu studieren. Damals waren Martin Margiela und Ann Demeulemeester die Designer der Stunde. "Alles war dunkel und grau", erinnterte sich Ackermann später, "und ich trug die Farben Afrikas und den Glanz des Goldes in mir!" Er brach das Studium ab, entwarf für belgische Konfektionsfirmen und ging schließlich nach Paris, wo er 2002 seine erste Kollektion vorstellte. "Ich war so jung und naiv und hatte keine Ahnung von den Schwierigkeiten des Metiers", gestand er. "Hätte ich davon gewusst, hätte ich mich nie getraut." Und plötzlich kamen die Einkäufer der wichtigsten Modegeschäfte zu ihm: Barneys aus New York, Corso Como aus Mailand, Colette aus Paris.

"2006 stand er vor meiner Tür und bat um Hilfe", erinnert sich Anna Chapelle, Inhaberin des Unternehmens "32", das die Mode von Ann Demeulemeester und nun auch von Haider Ackermann produziert. Sie wurde zur Schlüsselfigur für seinen Erfolg. "Wir arbeiteten einen Geschäftsplan aus, und innerhalb von drei Jahren wuchs sein Geschäft um 43 Prozent." Seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 2011 gilt als eine der besten, die in Paris zu sehen ist. Ackermann ist vom Newcomer zum Trendsetter avanciert.

Als man ihm 2009 die Nachfolge Martin Margielas in dessen Modehaus anbot, das nun Renzo Russo, dem Chef der Jeansmarke Diesel gehört, lehnte Ackermann ab - dabei galt das Maison Martin Margiela einst als der Heilige Gral des Concept Designs. "Wenn man die Person, die man über so viele Jahre hinweg bewundert hat, plötzlich persönlich kennenlernt, kann man nicht deren Stelle einnehmen", sagte Ackermann. "Manchmal ist es besser, wenn man niemals seine Helden trifft."

Für neue Möglichkeiten ist er natürlich trotzdem offen. "Mich reizt durchaus die Vorstellung, die Codes eines anderen Unternehmens, einer neuen Ästhetik und Eleganz kennenzulernen", fügte er hinzu. "Aber es muss das richtige Modehaus zum richtigen Zeitpunkt sein." Er habe keine Lust, einen altgedienten Designer in einem Traditionshaus zu ersetzen, nur um zwei Saisons später festzustellen, dass man nicht zusammenpasse.

Ganz offensichtlich sind sich Haider Ackermann und Karl Lagerfeld bisher noch nie begegnet.

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