Es war ein finsterer Abend, als die Besitzer der Seegrundstücke sich zusammensetzten und entschieden: Dieses Wasser gehört uns. Gut, für die Besitzer der Seegrundstücke war es vermutlich ein heiterer Abend. Aber die übrigen Bewohner der Dörfer rund um den Lac de Paladru murmelten ihre wüstesten Flüche, und der Himmel ließ einen schrecklichen Donner über die Landschaft rollen. Baden nur für Reiche - was für eine Unverschämtheit.
Die Frau, die ihren hüftsteifen Labrador in den See schickte, erzählte es nicht haargenau so, aber sie sagte doch: Hier ist fast der einzige Ort, wo sie uns noch ins Wasser lassen. Dieser Ort ist eine kleine Motorboot-Anlegestelle, direkt an der Schnellstraße. Rechter Hand beginnt das Freibad (drei Euro Eintritt für den Seezugang), linker Hand hat eine Ferienanlage einen Zaun aufgestellt. Der hüftsteife Labrador ("er wurde gerade erst operiert") interessierte sich nicht für Verbote und Regeln, sondern nur für den orangefarbenen Plastikring, der ihn alle Behäbigkeit vergessen ließ. Platsch! Beziehungsweise Plouf, wie die Franzosen sagen.
Vermutlich würde die Gehstockdame gleich als junge Frau aus dem Wasser steigen
Der Hund schwamm gerade zum 45. Mal seinem Plastikring hinterher, als fünf sonnengegerbte Rentner und Rentnerinnen angehumpelt kamen. Unerwartet agil schlüpften sie aus ihren Hosen und wateten in den See. Eine von ihnen war an Land nur mithilfe zweier Gehstöcke vorangekommen. Nun am Wasser, hängte sie die Griffe der Stöcke an den Zaun der Ferienanlage und ließ sich vornüber in den See fallen. "Das ist dir jetzt unangenehm, was?", sagte sie zu einem ihrer Begleiter, der nur seine Unterarme ins Wasser getaucht hatte. Lachend zog sie an ihm vorbei. Zehn Minuten später konnte man ihre weißen Haare in der Mitte des Sees leuchten sehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich angefangen zu glauben, dass der See verzaubert war. Der alte Hund hatte sich in einen ausgelassenen Welpen verwandelt, und vermutlich würde die Gehstockdame gleich als junge Frau aus dem Wasser steigen. Nun, sie blieb alt, aber kaum war sie abgetrocknet, setzte sie sich auf einen Campingstuhl neben die Schnellstraße und sah sehr zufrieden aus. Von den Seegrundstücken kam kein Mucks. Alles aufkaufen, aber dann nicht mal Spaß am Schwimmen haben.
Vielleicht ist es aber auch nicht das Baden, was die Rentner hier so frisch hält, sondern der Likör aus dem nahen Kloster. Ein paar Serpentinenstraßen entfernt stellen Kartäusermönche das Élixir Végétal de la Grande Chartreuse her. Das Einzige, was man über dieses Kräuterelixier weiß, ist, dass es einen Alkoholgehalt von 69 Prozent hat. Über das Rezept schweigen die Mönche. Sie schweigen seit tausend Jahren ohnehin und grundsätzlich zu allem. Wer anders als ich kein ununterbrochen plauderndes Kind dabeihat, kann in der Schweigezone ums Kloster wandern. Alle anderen gehen einfach in den Klosterladen. Dort waren ausschließlich Rentner anzutreffen, sie zwinkerten einander verschwörerisch zu.