Kolumne "La Boum" - Folge 4:Drängt die Bären zurück

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Im Les Deux Magots besetzen nun Bären die Stühle, auf denen einst Menschen mit großen Namen saßen. (Foto: AFP)

Auch in Paris hat endlich der Frühling begonnen, weshalb nun plötzlich überall junge und schöne Menschen vor den Cafés sitzen. Natürlich nicht auf Stühlen, denn da sitzen die Bären. Es ist an der Zeit, Lebensraum zurückzuerobern.

Von Nadia Pantel

Gerade war der erste richtig warme Tag des Jahres und auf den Terrassen der Restaurants saßen junge, schöne Menschen. Klingt nach Paris. Nur saßen sie nicht auf diesen übertrieben schmalen Bistrostühlen, sondern auf dem Fußboden. Seit Oktober sind die Stühle aufgestapelt und weggesperrt, vom Pariser Caféleben ist nur noch die Kulisse übrig. Und in diese Kulisse kehrt nun das Leben zurück. Mit Fastfood in der Papiertüte und Bier aus der Dose. Als wären Jugendliche eine Naturgewalt, die sich den von Touristen verlassenen Lebensraum zurückerobert.

Leider haben viele Pariser Restaurants eine Barriere aus Plüsch zwischen sich und den Jugendlichen errichtet. Sie haben ihre Terrassen nicht einfach sich selbst überlassen, sondern mit riesigen Teddybären ausgestattet. Dort, wo Menschen nicht mehr sitzen sollen, weil sie sich ständig anseuchen, hocken nun die Bären. Im Les Deux Magots zum Beispiel. Früher: große Namen. De Beauvoir, Sartre, Hemingway. Heute: große Bären. Allein im Wintergarten hin zum Boulevard Saint-Germain sitzen acht Stück. "Huis-Clos", geschlossene Gesellschaft, steht auf einer goldenen Tafel an der (natürlich geschlossenen) Wintergartentür, dazu noch: Jean-Paul Sartre (1943). Waren es in Sartres geschlossener Gesellschaft noch Menschen, die einander in der Hölle ausgeliefert waren, sind es nun Bären. Es scheint ihnen dabei gut zu gehen, sie lächeln. Gleich an der Fensterfront liest ein dicker Bär Stefan Zweig, eine Reihe dahinter hat ein brauner Bär seinen schweren Kopf auf die Schulter eines beigen Bären sinken lassen. Weil das hier das Deux Magots ist, steht vor ihnen eine Flasche Champagner.

In der Kolumne "La Boum" berichtet unsere Paris-Korrespondentin vom Leben in der franzöischen Hauptstadt. (Foto: Steffen Mackert)

Ein bisschen beklemmend ist diese Bärengeschichte, weil ihre Zahl ähnlich explodiert wie die der Corona-Infizierten. In der prä-pandemischen Zeit war die Bärenpopulation noch lokal begrenzt. Sie wurden vor allen Dingen entlang der Avenue des Gobelins gesichtet, hinterste Rive Gauche, wo auch ohne Corona wenig los ist. Dort fanden es ein paar Ladenbesitzer drollig, überall im Quartier Plüschbären zu verteilen. Die Bären machten Menschendinge wie herumsitzen und aus dem Fenster schauen. Und sie waren dabei so raumgreifend breitbeinig und penetrant, dass sie immer wirkten, als würden sie untereinander geschmacklose Witze über Nicht-Bären machen. Nach einem Jahr Pandemie ist die Bärensituation komplett außer Kontrolle geraten. Das Vakuum, das der infektiöse Mensch hinterlässt, füllt sich mit Plüsch.

Die Jugendlichen mit ihrem Dosenbier sind die Ersten, die den Bären nun wieder eine Grenze setzen. Einfach dürfte der Territorialkonflikt zwischen Jugend und Bär nicht werden. Kürzlich habe ich den ersten Mutantenbär gesichtet. Er war so groß, dass sein Hintern vier dieser verdammten Bistrostühle ausfüllte. Es klingt hart, aber: Flatten the bear.

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