Kunstwerke aus dem Kindergarten:Augen auf und durch

Alles selbst bemalt, geklebt, gefaltet, geschnitten: Kunst und Kreativität werden bei Kindern heute gefördert. Zum Glück. Aber wohin mit den Werken, die die lieben Kleinen in Fließbandarbeit produzieren?

Petra Steinberger

Ostern ist vorbei, und sie sind alle noch da: die Bilder, die Osternester, die Kränze, Eier, Hasen, Hühner. Alle, alle selbstgemacht. Alle bemalt, geklebt, gefaltet, geschnitten. Und in Mengen, die der Tagesproduktion einer Fließbandarbeiterin entsprechen. Zumindest kommt es uns so vor. Alles aus dem Kindergarten nach Hause geschleppt, höchst vorsichtig, dabei unter lautem Begleitgeschrei, dass ja nichts kaputtgeht! Mama!

Kinder und ihre Kunstwerke - aber wo sollen Eltern die Malereien aufbewahren?

Kunst von Kinderhand: Die gewaltigen Mengen dargereichter künstlerischer Fertigkeiten der lieben Kleinen stellen mit der Zeit ein Platzproblem dar.

(Foto: ddp)

Aber Ostern ist vorbei - und jetzt?

Tütenweise Kinderkunst

Und jetzt. Das überlegten wir schon nach Weihnachten. Und nach dem Weihnachten davor. Eigentlich immer zu Beginn irgendwelcher Ferien, wenn Tüten, bis zum Rand gefüllt mit Kinderkunstarbeiten, nach Hause transportiert werden. Start der geradezu industriellen Produktion ist der erste Kindergartentag, wenn nicht schon die Krippe. Dann steigert sie sich, erreicht ihre Scheitelpunkte sinuskurvenartig vor den großen Festen, ebbt ab, steigt wieder an.

Kinder werden Künstler. Was völlig in Ordnung ist, denn das sind sie natürlich auch, im ganz Kleinen. "Als Kind ist jeder ein Künstler", sagte Pablo Picasso, und wenn der was sagt, gehört das selbstverständlich zum Grundwissen aller kindergerecht aufgeklärten Eltern.

Aber die gewaltigen Mengen der dargereichten künstlerischen Fertigkeiten stellen mit der Zeit ein Problem dar. Ehrlich, wir wissen nicht mehr genau, was wir mit ihnen machen sollen, ohne Garage oder Lagerhalle. Es wird kolportiert, dass es besser, also weniger, wird, sobald die Kleinen in die Schule kommen. Weil sie dann wegen Pisa-Problemen mehr naturwissenschaftlich-mathematische Förderung nötig hätten, hört man jedenfalls.

Man hatte sich das anders vorgestellt, in der Zeit davor. Das käme mir nicht ins Haus, sagten die Kinder- und Ahnungslosen. Nicht in die neue, urbane Wohnung, in der sich die ersten erschwinglichen Originale noch unbekannter Künstler mit Drucken und Fotografien mischten. Originale. Von Künstlern. Das war, wie gesagt, in der Zeit, als es auch noch gutes Essen gab und kluge Gespräche mit ausgesuchten Gästen.

Dann, eines Tages, kommen Kinder. Erst gehen die Gespräche den Bach runter, dann bleiben die ausgesuchten Gäste weg, Essen findet vorzugsweise unter dem Tisch statt oder daneben, und dann kommt die Malerei - bald klebt die Kunst überall, an Kühlschränken und an Schränken, an Stühlen und an Menschen.

Überhaupt ist eines der Wesensmerkmale dieser Kunst, dass sie immer irgendwie klebrig ist. Die Kinder entdecken, noch ehe sie vollständige Sätze formulieren können, wie Schere und Tesafilm funktionieren und wo sie versteckt sind, und wenn sich die Eltern weigern, hängen sie ihre Werke eben gleich selbst auf. Meistens in einer sehr, sehr dichten Petersburger Hängung - einen Meter zwanzig hoch, weiter kommen sie nicht ohne Stuhl. Als der Tesa mal verschwunden war, ersetzten sie ihn mit Uhu.

Und man hatte sich noch lustig gemacht vor nicht allzu langer Zeit über die Kinderarbeiten in Fenstern und vor den Haustüren und in den Gärten wildfremder Nachbarn. Heute nickt man sich mitleidig wissend über die Straße zu. Bald wird es keine Haustür und keine freien Fenster mehr geben.

Das muss weg

Was macht man mit Kinderkunst, deren schiere Menge wächst und wächst und wächst?

Als wir einmal eine Mutter im Kindergarten erzählen hören, sie hätte jedes einzelne Werk ihrer drei Töchter aufgehoben, gehen wir verstört nach Hause. Drei Töchter. Alle reizend. Aber überaus produktiv. Wie schafft sie das?

Nachschub kommt ja

Eine befreundete Kunstpädagogin kommt zu Besuch, blickt gnadenlos auf dramatisch gestaltete Wände und sagt: Das muss weg. Das gehört ins Kinderzimmer, nicht in die Erwachsenenräume. Das müssen sie akzeptieren lernen. Also wird die Ausstellung eines Nachts leise ab- und umgehängt. Zunächst ohne Proteste. Nachschub kommt ja.

Wir fragen die Münchner Künstlerin und Museumspädagogin Rose Stach, die im Haus der Kunst Kinderführungen veranstaltet. Hinter den Ausstellungssälen versteckt liegt ihr Reich, gewaltig hohe Räume voller Farben und Papier und Schrott und allerlei interessanten Dingen, mit denen die Kinder, nachdem sie durch die Ausstellung gewandert sind, Spaß haben sollen. Sie selbst hat daheim nicht ganz so viel Platz wie im Haus der Kunst, und deshalb entsorgt sie. Nicht alles, klar, und erst nach einer gewissen Anstandsfrist. Auf gar keinen Fall vor den Kindern.

Sie empfiehlt uns ihre Methode: Was ihr gefällt, was typisch ist, was ihr beispielhaft erscheint für eine bestimmte Zeit, was eine Entwicklung dokumentiert, das hebt sie in einer Mappe auf. Und diese Sammlung ist nicht klein. Vieles kommt ins Kinderzimmer. Und die Sachen, die ihr wirklich richtig gut gefallen, die hängt sie auf. Und zwar an Stellen, die echte Wertschätzung beweisen. Mit echtem Rahmen. Und den Kindern gefällt es, weil es fast so ist wie in einer richtig wechselnden Ausstellung.

Wir beschließen, nur noch ein, höchstens zwei Hauptwerke aus der jeweils aktuellen Stilrichtung auszustellen. Denn solche Stilphasen gibt es tatsächlich bei Kindern: Sie schmieren erst, dann kritzeln sie, irgendwann kommt jene Strichfigur, die mit "Kopffüßler" eigentlich auf das treffendste beschrieben ist. Es folgen Bauch, Hals, Haare. Kinder entdecken Komposition, sie zeichnen immer mehr Details, sie entwickeln ihre ganz persönlichen Symbole. Sie entdecken das Kopieren.

Und dann kommt die "Zeit der Krise"

Schließlich, etwa mit dem Beginn der Schulzeit, sind sie im Stadium der so genannten Werkreife angelangt. Von diesem Zeitpunkt an geschieht nichts grundsätzlich Neues mehr - aber nun beginnen Kinder, ihre eigenen, unverwechselbaren Formsprachen und Konzepte zu entdecken und auszuarbeiten. Ihre Bilder werden realistischer.

Und dann passiert etwas Merkwürdiges: Mit einsetzender Pubertät hören viele Kinder und Jugendliche auf mit dem Malen als spontanem kindlichen Akt. Psychologen, die sich mit den unterschiedlichen Stadien der Kinderkunst befassen, nennen es "Zeit der Krise". Weil Kinder dann zu kritisch werden. Weil sie Bilder nicht so hinbekommen, wie es der Vorstellung in ihren Köpfen entspricht - oder der, die ihnen die Erwachsenen eingeimpft haben.

Dreidimensionalität schafft erst recht Platzprobleme

In manchen Kindergärten, hören wir, bekommen Kinder vorgedruckte Bilder von Micky Maus und Co. zum Ausmalen, um die Massenproduktion noch mal so richtig anzukurbeln.

Rainer Goetz, Professor für Kunstpädagogik an der Universität Würzburg, beklagt denn auch den Materialfetischismus, der um sich greift, nach dem Motto: Je mehr Blätter die Kinder nach Hause bringen, desto größer ist der Beweis ihrer Kreativität. Er wünscht sich langfristige Projekte, entwickelt auf sorgsam gehüteten Blättern, die Erlebnisse erzählen oder Träume. Kindgerecht.

Dann müssen wir wohl auslagern oder umziehen. Denn wir haben noch immer keine Lösung gefunden für die nicht so große, dafür aber umso platzraubendere Zahl der dreidimensionalen Werke. Laternen, Vogelhäuschen, Nikoläuse. In eine Mappe pressen geht nicht. Das Kinderzimmer hat nur eine begrenzte Quadratmeterzahl. Also verschwinden lassen. Aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen haben sie sich neulich an genau das zerzauste Kastanienvögelchen erinnert, das in der Woche zuvor im Ofen verschwunden war. Dreitägige Volkstrauer ist ein Lustspiel gegen das, was folgte.

Und wenn wir sie einfach alle hängenlassen, so tun, als ob ihr Kritzekratze, wie sie es nennen, von einem echten Künstler stammt, gemäß dem gern gehörten Satz, das kann meine Tochter auch?

Geht nicht, haben zwei amerikanische Wissenschaftlerinnen kürzlich festgestellt (SZ vom 24. März), Menschen können sehr wohl unterscheiden zwischen bewusst gesetzter Kunst und den wilden Versuchen von Dreijährigen. Außerdem mögen kleine Kinder, das hat Rose Stach gesagt, nun mal Schlammbraun. Damit müssen wir leben.

"Als Kind ist jeder ein Künstler", lautet Picassos Satz vollständig, "die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: