Kunstgeschichte:Meister der Hirngespinste

Der niederländische Maler Hieronymus Bosch schuf eine Welt des besonderen Horrors, die bis heute fasziniert und verstört. Nun zeigt der Prado seine Werke.

Von Kia Vahland

Ein Einzelgänger zu sein, ist mühsam. Er muss seinen Weg finden, kann sich nicht wegducken im wohligen Gefühl, die Masse wisse schon, wo es lang geht. Auch Widersachern, den inneren wie den äußeren, muss sich der Individualist alleine stellen; manchmal geht das gut, manchmal nicht.

Auf der linken Tafel von Hieronymus Boschs dreiteiligem Antonius-Altar geht es erst einmal schief. Niedergerungen haben böse Mächte den Heiligen Antonius, zusammengeschlagen, drei Männer schleppen den Bewusstlosen über eine Brücke. Er hat den Beistand seiner Glaubensbrüder, einsam ist er nicht, nur allein: ein Eremit und Asket, der im vierten Jahrhundert nach Christus irgendwo in Ägypten seinen Besitz verschenkte, seine Schwester in ein Kloster gab und auf Selbst- und Gottessuche in die Wüste ging.

Er erzählt, wo wir herkommen: aus einer Kultur des Fressens und Gefressenwerdens

Einer allein, denken sich die Teufel, was kann der schon ausrichten. Sie planen die nächste Attacke. Unter der Brücke hocken die Verleumder, hach, schaut her, hier ist die Liste von Antonius' Jugendsünden. Dass die längst bereut und gebüßt sind, wen schert es. Etwas findet sich immer, in jeder Vita, irgendetwas, was den besten Mann aussehen lässt wie das dreckige Po-Gesicht mit Blasebalg, das hinter dem Rücken des Heiligen herumtönt. Alles lässt sich aufbauschen, verdrehen, skandalisieren, Hauptsache, schuldig erscheint das Opfer. Die teuflische Intrige hat ein Motiv, und wie so oft in Mobbingfällen, so ist es auch auf der um 1502 gemalten linken Altartafel der nackte Neid.

Denn oben auf dem linken Altarflügel steigt der brave Antonius in den Himmel auf, in höchster Ekstase, betend. Er besitzt etwas, was die kleinen Piesacker nicht haben: menschliche Reife. Noch bei seinem Himmelsflug setzen sie auf den Heiligen an, fauchende Fische, aggressive Luftschiffe und hinterfotzige Männeken, die von unten auf ihr eigenes Geschlecht starren.

Und ganz unten rechts auf der Bildtafel fährt ein Buckliger Schlittschuh. Die Welt schlittert übers Eis, sagte man zu Zeiten Hieronymus Boschs, und meinte damit: Sie geht in die Irre, denn sie droht, einzubrechen und unterzugehen. Mit seinem schiefen Schnabel hat der irrende Eisläufer einen Zettel aufgespießt, "protio" steht darauf, die Kurzform für "protestatio". Es ist wohl eine Protestschrift, die der Fiesling überbringt, eine Klage gegen Antonius' Beförderung in den Himmel. Hässlich erscheint der Neid, ein krächzender Lautschnabel, kurz vorm Einbruch ins ewige Eis. Komisch aber ist er auch: mit Schlapp-ohren und Trichterhut will der Bucklige dem Einsiedler beikommen. Das aber ist vergebliche Hassensmüh.

So überbordend an Bilderfindungen wie dieser Altar sind nur wenige Gemälde um 1500. Selbst im Œuvre von Hieronymus Bosch, dem großen Fantasten der Kunstgeschichte, wirken die drei Antoniustafeln ungewöhnlich ausgeschmückt. Normalerweise steht das Werk in Lissabon, im Museu Nacional de Arte Antiga. Jetzt aber wird es reisen in die Bosch-Retrospektive, die am 31. Mai im Prado in Madrid beginnt und dort bis zum 11. September zu sehen sein wird. Sie wird noch umfangreicher ausfallen als die Ausstellung, die gerade in Boschs kleiner niederländischer Heimatstadt 's Hertogenbosch zu Ende ging, mehr als 420 000 Menschen waren dafür angereist.

Saint Anthony Triptych

Was hat uns ein Maler zu sagen, der vor 500 Jahren starb? Der Mensch hat die Wahl, wie er leben will: Das zeigen die Altartafeln zum Leben des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch.

(Foto: Lisbon, Museu Nacional de Arte Antiga)

Was hat der tote alte Maler, dieser Meister der Hirngespinste, dass sich Betrachter 500 Jahre nach seinem Tod nicht sattsehen können an den Monstern, Erdbeerlutschern, gesattelten Fischen und Tavernen, deren Eingang ein überdimensionales Hinterteil ist? Geht es um den grotesken Horror, den durchbohrte Leiber, Mäuse auf Nasenhöhe, menschenverschlingende Fische verbreiten?

Vielleicht. Aber nicht nur. Bosch wirkt um 1500 an der Epochenschwelle zur Neuzeit, er kennt noch die mittelalterliche Vorstellungswelt, das bäuerliche Leben, den Glauben an Magie - und er kennt schon die vernunftorientierte Renaissance, die Benimmregeln bei Tisch und den aufkeimenden Finanzkapitalismus mit Aktiengesellschaften und Zinseszinsen. Also bringt er beide Welten zusammen und rettet die Gottesfurcht der Vorfahren, aber auch ihre Ausschweifungen in das neue effizienzsüchtige Zeitalter. Er kann das Alte schon aus der Distanz des neuzeitlichen Menschen betrachten, kann es erklären - und es auch einem heutigen Publikum noch nahebringen. So erzählt Bosch uns, wo wir herkommen: aus einer Kultur der Leiblichkeit, des Fressens und Gefressenwerdens. Viecher, Menschen, Mischwesen, sie stopfen alles in sich hinein, zeigen ihre Hinterteile, besteigen einander, rücken sich mit baumhohen Messern auf die Pelle und, manchmal, selten, wärmt ein Körper den anderen, umhüllt von einer stallgroßen Eierschale.

Der Mensch hat bei Bosch die Wahl, wie er leben will. Das macht seine Bilder bei aller Archaik so modern. Ein Hauch von Reformation liegt im anbrechenden 16. Jahrhundert schon in der Luft, Eigenverantwortung ist das neue Credo. Selbstdisziplin, Verzicht und Moral verlangt auch Bosch seinen Betrachtern ab; so integer wie der Heilige Antonius sollen sie werden - dabei weiß und zeigt Bosch doch immer wieder, wie dünn der Firnis der Zivilisation im Zweifelsfall sein kann.

Wandelnde Krüge, bewohnbare Erdbeeren: Aussichtslos ist es, jedes Detail begreifen zu wollen

Antonius, dieser Held der Standhaftigkeit. Vielleicht mag Bosch ihn auch deshalb so gerne, weil der Eremit ein Meister der Imagination ist wie der Maler selbst - schließlich erscheinen dem Heiligen im Geiste all die Hoffnungen und Ängste, die er zu bewältigen hat. Auf der Mitteltafel des Lissabonner Altars tritt er noch einmal ins Bild, diesmal im Zentrum der Komposition. Aus großen Augen schaut er uns an, mit erhobener Hand.

Seinen Segen können wir brauchen. Denn drum herum tobt vielleicht nicht das Leben, wohl aber wild und gefährlich Antonius' Fantasie. Eine Stadt brennt wie im Krieg, Dämonen flattern im feuerroten Himmel, als wären sie von einer Luftwaffe, die es damals noch nicht gab. Einer Person wächst ein toter Baumstumpf aus dem Nacken, sie hat einen Meerjungfrauenschwanz und kann sich mit ihrem Baby nur auf einer kuhgroßen Ratte fortbewegen. Eine Messe im Freien wird gefeiert - von Teufeln. Immerhin erscheint in einem halbverrotteten Gebäude auch ein leuchtendes Kruzifix; die Welt ist noch nicht ganz verloren.

Kunstgeschichte: Und in der Ecke ein kleiner Dämon: "Johannes auf Patmos", von Hieronymus Bosch.

Und in der Ecke ein kleiner Dämon: "Johannes auf Patmos", von Hieronymus Bosch.

(Foto: BRCP - Rik Klein Gotink)

Aussichtslos erscheint es, jedes Detail zu verstehen, den wandelnden Krug ebenso wie die bewohnbare Erdbeere. Die Lösung, schreibt der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom in seinem Buch "Reisen zu Hieronymus Bosch" über den Altar, sei "nun gerade das Rätsel selbst" und das einzige Rezept laute, "sich ihm auszuliefern". Geben wir uns dieser Malerei also hin, wie einem Traum kurz nach dem Erwachen: Man erinnert sich noch an die nächtlichen Bilder und Stimmungen, aber versteht sie noch lange nicht, jedenfalls nicht in diesem prekären Moment zwischen Nacht und Tag.

Vielleicht ging es Bosch selber so, in seinem Dasein zwischen den Epochen. Aber was wissen denn wir über sein Innenleben - der Maler gehört zu den am schlechtesten dokumentierten Großmeistern der Renaissance. Er hinterließ keine schriftlichen Aussagen zu seiner Kunst oder darüber, wie er auf seine Ideen kam, was sein Weltbild ausmachte. Die Lücken füllten spätere Interpreten mit eigenen Mutmaßungen: ein Psychopath soll er gewesen sein, ein Alchimist oder ein Häretiker, Drogen habe er verwendet oder wenigstens Hexensalbe.

Nichts davon stimmt. Nach dem wenigen, was bekannt ist, führte Bosch ein bürgerliches, sehr stetes Leben. Sein Familienname lautete van Aken, weil die Familie ursprünglich aus Aachen kam. Der Künstlername Bosch spielte auf seine Heimatstadt 's-Hertogenbosch an. Die van Akens waren eine angesehene Malerfamilie, sie besaßen ein Haus direkt am Marktplatz. Auch der 1450 geborene Hieronymus achtete auf gesellschaftliches Renommee. Er wurde Mitglied der einflussreichen Liebfrauenbruderschaft und lud die bessere Gesellschaft gerne zu Festessen ein. Und er heiratete eine wohlhabende Patrizierin und verfügte damit über Immobilien und ein Landgut. Das Paar gehörte zu den reichsten zehn Prozent in der Stadt. Schon als Mittdreißiger wäre Bosch nicht mehr darauf angewiesen gewesen, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten.

Doch er war produktiv, und das nicht zum Selbstzweck. Seine verwunderlichen Bilderfindungen mochten aus dem Rahmen fallen - sie verkauften sich aber bestens. Ein einzelnes Werk brachte dem Maler schon einmal den Gegenwert eines Handelsschiffes ein. Patrizier, Könige, Fürsten bewarben sich um Originale von Hieronymus Bosch, später kopierten andere Künstler seine Ideen. Philipp der Schöne, Herzog von Burgund, kaufte vermutlich im Jahr 1505 den Antonius-Altar, als Geschenk für seinen Vater Maximilian I. Philipp und Maximilian verstanden offenbar sofort, dass Hieronymus Bosch auf seinem Wimmelbild nicht den Teufeln huldigte, sondern zeigte, wie ein Einzelner der Destruktion Einhalt gebieten und sich dabei noch selbst retten kann.

Kunstgeschichte: Das Buch "Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung" von Cees Noteboom ist bei Schirmer/Mosel erschienen. Es erzählt von Begegnungen des Autors mit den Werken Boschs, der vor 500 Jahren starb und nun im Prado mit einer großen Ausstellung geehrt wird (31. Mai bis 11. Sept.).

Das Buch "Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung" von Cees Noteboom ist bei Schirmer/Mosel erschienen. Es erzählt von Begegnungen des Autors mit den Werken Boschs, der vor 500 Jahren starb und nun im Prado mit einer großen Ausstellung geehrt wird (31. Mai bis 11. Sept.).

Dies geschieht auf der dritten Tafel, der rechten. Antonius hat den Horror überlebt, die Verleumdungen der Dämonen auf der linken Seite, ihre Gewalt und auch seine eigenen Gedankenbilder, die ihn auf dem mittleren Bild noch quälten. Jetzt darf er auf einem bemoosten Stein sitzen, uns in seiner Kutte den Rücken zukehren und die Bibel aufschlagen. Er ist ganz bei sich und damit in seinem Element. Um ihn herum geht es hoch her, eine nackte Frau tritt aus einem hohlen Baum, sie versucht vergeblich, den Eremiten zu verführen. Ein Messer steckt in einem prallen Bauch mit Ohren, ein Gnom mit Rollator tapst durch die Landschaft. Nichts bringt Antonius aus der Ruhe; nach allen Prüfungen kann er die Welt lassen, wie sie ist.

Seine Kunst kann das Göttliche wie das Teuflische erschaffen, und das Menschliche allemal

Das Gute muss herausgefordert werden, so ist das bei Hieronymus Bosch. Und wenn es kein anderer tut, ja dann muss der Maler selbst aktiv werden. Schließlich kann er in seiner Kunst das Göttliche wie das Teuflische erschaffen, und das Menschliche allemal. Die Liebfrauenbruderschaft, zu der Bosch gehörte, verehrte als Schutzpatrone Maria sowie den Evangelisten Johannes. Vermutlich malte Bosch deshalb auf einer kleinen Tafel Johannes mit einer Marienerscheinung für die Kirche Sint-Jans in 's-Hertogenbosch. Die Szene spielt auf der idyllischen Insel Patmos, vor einer ruhigen blauen Seenlandschaft.

Zu freundlich, zu schön, befand der Maler. Und setzte einen kleinen Dämon rechts unten in die Ecke. Eine Kutte hält seine Flügel zusammen, der Unterleib könnte einem Reptil oder Insekt gehören. Durch eine Nickelbrille schaut das zartgliedrige Wesen wehmütig in die Landschaft. Unter seinen watscheligen Pfoten steht in gotischen Lettern: "Jheronimus Bosch".

Dies ist wohl das einzige Selbstporträt des Malers, der um 1500 mit allen ästhetischen Regeln brach. Die Kunst, sagt uns Hieronymus Bosch, sie ist ein sympathisches Monster.

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