Kunst:Gut gewickelt

CHRISTO AND JEANNE-CLAUDE: Wrapped Reichstag, Berlin 1971-95

Manche fanden es unverschämt, ein so wichtiges Gebäude wie den Reichstag einfach verschwinden zu lassen. Christo aber fand: die Verhüllung macht das Gebäude erst richtig sichtbar.

(Foto: Wolfgang Volz/laif)

Der bulgarische Künstler Christo hat Wege übers Wasser gebaut, ganze Gebäude mit Stoff verpackt und Parks zum Flattern gebracht. Jetzt ist er gestorben, doch seine Ideen bleiben.

Von Christiane Lutz

Verpacktes Nichts

Christo fing schon früh an, Stühle, Zeitschriften oder Ölfässer einzuwickeln. Später hat er sogar Luft verschnürt. Wie zum Beispiel bei seinem 85 Meter in den Himmel ragenden 5600-Kubikmeter-Luft-Paket, das er auf der Kunstmesse "Documenta" zeigte. Immer wieder sackte der Luftschlauch ein, weil Löcher in der Hülle waren. Manche nannten das Projekt "Monster-Zigarre", "Super-Salami" oder einfach nur hämisch "die Wurst."

Stoff, Stoff, Stoff

Christo arbeitete immer mit seiner Frau Jeanne-Claude zusammen, die 2009 starb. Das Lieblingsmaterial der beiden war Stoff. Sie brauchten unheimlich viel davon für ihre Kunst. Für die Verhüllung des Reichstags in Berlin etwa ließen sie es spezielles, silbern schimmerndes Gewebe herstellen. 100.000 Quadratmeter davon - eine Fläche so groß wie 14 Fußballfelder. Und bei ihrem Projekt "The Gates" flatterten 7500 goldgelbe Stoffbahnen im New Yorker Central Park, unter denen man hindurch spazieren konnte.

Der verhüllte Reichstag

Mehr als 20 Jahre musste das Paar warten und richtig viele Politiker überzeugen, bis sie 1995 den Reichstag in Berlin verpacken lassen durften. Es wurde eines ihrer berühmtesten Kunstwerke. Die 72 Stoffbahnen wurden von extra dafür angeheuerten Fassadenkletterern angebracht - ganz ohne Baugerüst oder Kräne. Bei Christo und Jeanne-Claude gehörte nämlich der Aufbau schon zur Kunst dazu. Zwei Wochen lang war der Reichstag dann verhüllt, die Menschen picknickten davor im Gras. Die Abgeordneten konnten in der Zeit aber trotzdem zur Arbeit gehen, weil der Bundestag damals noch in Bonn tagte.

Unsichtbar sichtbar

Christo und Jeanne-Claude ging es beim Verpacken nicht darum, Dinge komplett zu verstecken. Sie wollten, dass man noch erkennt, was es ist. Indem sie Gebäude verhüllten, wurden diese auf eine besondere Art noch viel auffälliger, sichtbarer. Nur der Blick darauf veränderte sich. Als das Paar die Brücke "Pont Neuf" in Paris dicht umwickeln ließ, leuchtete diese durch Sonne und Wasser immer anders, in den unterschiedlichsten Farben.

Durch die Luft, übers Wasser

Einen 381 Meter breiten Vorhang durch ein Tal in Colorado in den USA, tausende himmelblaue Schirme in Japan und Kalifornien, mit Stoff umrahmte Inseln: Christo und Jeanne-Claude packten nicht nur Gebäude ein, sondern dachten sich auch andere große Kunstwerke aus. Vor vier Jahren erfüllte sich Christo einen großen Wunsch: Er wollte übers Wasser gehen. Auf dem Iseo-See in Norditalien ließ er dafür die "Floating Piers" bauen: drei Kilometer lange Stege, bestehend aus 220.000 Kunststoffwürfeln, umspannt mit leuchtend orangem Stoff. Wenn Christo jeden Tag nur zehn dieser Würfel selbst zusammengeschraubt hätte, wäre er 60 Jahre beschäftigt gewesen. In nur 16 Tagen gingen dann 1,3 Millionen Menschen über die schaukelnden Wege, fast so viele, wie in ganz München wohnen. Oft mussten sie wegen zu großen Andrangs gesperrt werden.

Mehr als riesig

Christo und Jeanne-Claude wollten nicht nur gigantische Kunst machen, sondern auch eine politische Botschaft mit schicken. Zum Beispiel errichteten sie in Paris eine Mauer aus Ölfässern. Damit wollten sie den Bau der Berliner Mauer kritisieren, die Deutschland damals noch teilte. Ein geplantes Projekt in den USA gab Christo aus Protest gegen Präsident Donald Trump auf, weil er mit dessen Arbeit nicht einverstanden war.

Was bleibt

Dem Paar war wichtig, dass niemand ihre Kunst kaufen und besitzen konnte. Ihre Projekte waren deshalb immer nur ein paar Tage zu sehen. So lang die Kunst da war, fanden Christo und Jeanne-Claude, sollten sie aber alle Menschen umsonst genießen dürfen. Nach Abbau sollte nichts davon übrig bleiben. Der Stoff der "Floating Piers" zum Beispiel wurde zu kleinen Textilschnipseln verarbeitet, die dann auf Reitplätzen in den Sand gemischt wurden. Denn das ist besonders hufenfreundlich für die Pferde.

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