Kulturgut Alkohol:Der Zaubertrank

Lange waren Trinkgelage fester Bestandteil vieler Kulturen - doch der kollektive Rausch ist in Verruf geraten. Wie sich der Umgang mit Alkohol verändert hat und warum wir versuchen sollten, Kontrollverlust als sinnlichen Genuss zu erleben.

Stefan Gabányi

Auf die Frage, ob er an Gott glaube, antwortete Frank Sinatra einst: "Ich bin für alles zu haben, was einen durch die Nacht bringt, sei es ein Gebet, Tranquilizer oder eine Flasche Jack Daniel's."

Forderung nach generellem Alkoholverbot fuer unter 18-Jaehrige

In vielen Kulturen waren ritualisierte Rauscherfahrungen Symbol und Mittel der Gemeinschaft. (Archivbild: Münchner Oktoberfest)

(Foto: ddp)

In schweren Fällen können diese Mittel selbstverständlich auch kombiniert werden, doch während Tranquilizer plus Alkohol zumindest aus medizinischer Sicht bedenklich erscheinen, gelten Alkohol und Christentum seit jeher als durchaus kompatibel.

Der christliche Mönch schätzt sein Fastenbier

Die Vorstellung, dass jenseits der Alltagswelt noch eine andere Realität existiert, ist in allen Religionen präsent, und dementsprechend universal ist auch das Streben, mit dieser anderen Welt in Verbindung zu treten. Zwar können Ekstasetechniken wie ausgedehntes Fasten, Meditation und extreme körperliche Anstrengung auch ohne psychotrope Substanzen erfolgreich sein, mit ihnen allerdings gelangt man deutlich schneller ans Ziel; und so schätzt der christliche Mönch sein Fastenbier ebenso wie die Weisen des Orients Haschisch und Opium.

Während aber solche Arten der Grenzüberschreitung gesellschaftlich akzeptiert, wenn nicht gar als mystische Erleuchtungszustände verehrt werden, gilt beispielsweise der exzessive Pillenkonsum tanzwütiger Techno-Jünger vielerorts als eskapistisches Vergnügen oder gleich als Zeichen von Regression. Durchaus fragwürdig ist auch die Aufregung, mit welcher der Boulevard jugendliches Komasaufen verteufelt: Wie Peter Richter in seinem neuen, sehr unterhaltsamen und fundierten Buch Über das Trinken zeigt, hat sich der Anteil der 12- bis 25-Jährigen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, seit 1973 halbiert. Richter sieht hier eine Kampagne am Werk, die uns die Lust am Alkohol ebenso austreiben will, wie die auf Nikotin und die das Trinken nicht nur gesellschaftlich, sondern auch auf gesetzlichem Wege ächten wird.

Offensichtlich werden Rauschzustände weniger nach ihrem Inhalt als nach ihrem kulturellen Kontext unterschiedlich bewertet, das Rauscherlebnis selbst scheint dabei zweitrangig. Es gibt aber bestimmte Grundmuster, die in allen Drogenerfahrungsberichten auftauchen.

Das bedingungslose Erleben des Hier und Jetzt

Neben gesteigerter Empfänglichkeit aller Sinnesorgane ist die Veränderung des Zeitgefühls ein wesentliches Element jeglichen Rausches. Die allgemeinverbindliche soziale Zeit wird je nach Beschaffenheit und Dosis der Droge gedehnt oder komprimiert, bis sie schließlich gar nicht mehr wahrgenommen wird. Solche Zeitlosigkeit, das bedingungslose Erleben des Hier und Jetzt, kann einen ekstatischen Zustand auslösen, der als Urform religiöser Erfahrung gelten kann, und der unter anderem als Unio mystica, als Transzendenz oder Erleuchtung bezeichnet wird.

Das sakrale Potential des Rausches ist seit Menschengedenken bekannt, und es gibt keine Kultur, die nicht über Rauschmittel verfügt. Auch die Spezialisten sind allseits vertreten, jene Reiseführer, denen es gegeben ist, von ihren berauschten Jenseitsreisen sinnstiftende Welterklärungen zurückzubringen.

So ein Priester, Schamane oder Mystiker lässt seine Gemeinde in ritualisierten Gelagen an seinen Erkenntnissen teilhaben, der kollektive Rausch wird zum Symbol und Mittel der Gemeinschaft. Je ekstatischer die gemeinsame Grenzüberschreitung erlebt wird, umso intensiver ihre identitätsstiftende Wirkung, und so beziehen sich Schilderungen rauschbedingter Verfehlungen und orgiastischer Grausamkeiten meist auf Mitglieder fremder Gruppen.

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