Auf die Frage, ob er an Gott glaube, antwortete Frank Sinatra einst: "Ich bin für alles zu haben, was einen durch die Nacht bringt, sei es ein Gebet, Tranquilizer oder eine Flasche Jack Daniel's."
In schweren Fällen können diese Mittel selbstverständlich auch kombiniert werden, doch während Tranquilizer plus Alkohol zumindest aus medizinischer Sicht bedenklich erscheinen, gelten Alkohol und Christentum seit jeher als durchaus kompatibel.
Der christliche Mönch schätzt sein Fastenbier
Die Vorstellung, dass jenseits der Alltagswelt noch eine andere Realität existiert, ist in allen Religionen präsent, und dementsprechend universal ist auch das Streben, mit dieser anderen Welt in Verbindung zu treten. Zwar können Ekstasetechniken wie ausgedehntes Fasten, Meditation und extreme körperliche Anstrengung auch ohne psychotrope Substanzen erfolgreich sein, mit ihnen allerdings gelangt man deutlich schneller ans Ziel; und so schätzt der christliche Mönch sein Fastenbier ebenso wie die Weisen des Orients Haschisch und Opium.
Während aber solche Arten der Grenzüberschreitung gesellschaftlich akzeptiert, wenn nicht gar als mystische Erleuchtungszustände verehrt werden, gilt beispielsweise der exzessive Pillenkonsum tanzwütiger Techno-Jünger vielerorts als eskapistisches Vergnügen oder gleich als Zeichen von Regression. Durchaus fragwürdig ist auch die Aufregung, mit welcher der Boulevard jugendliches Komasaufen verteufelt: Wie Peter Richter in seinem neuen, sehr unterhaltsamen und fundierten Buch Über das Trinken zeigt, hat sich der Anteil der 12- bis 25-Jährigen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, seit 1973 halbiert. Richter sieht hier eine Kampagne am Werk, die uns die Lust am Alkohol ebenso austreiben will, wie die auf Nikotin und die das Trinken nicht nur gesellschaftlich, sondern auch auf gesetzlichem Wege ächten wird.
Offensichtlich werden Rauschzustände weniger nach ihrem Inhalt als nach ihrem kulturellen Kontext unterschiedlich bewertet, das Rauscherlebnis selbst scheint dabei zweitrangig. Es gibt aber bestimmte Grundmuster, die in allen Drogenerfahrungsberichten auftauchen.
Das bedingungslose Erleben des Hier und Jetzt
Neben gesteigerter Empfänglichkeit aller Sinnesorgane ist die Veränderung des Zeitgefühls ein wesentliches Element jeglichen Rausches. Die allgemeinverbindliche soziale Zeit wird je nach Beschaffenheit und Dosis der Droge gedehnt oder komprimiert, bis sie schließlich gar nicht mehr wahrgenommen wird. Solche Zeitlosigkeit, das bedingungslose Erleben des Hier und Jetzt, kann einen ekstatischen Zustand auslösen, der als Urform religiöser Erfahrung gelten kann, und der unter anderem als Unio mystica, als Transzendenz oder Erleuchtung bezeichnet wird.
Das sakrale Potential des Rausches ist seit Menschengedenken bekannt, und es gibt keine Kultur, die nicht über Rauschmittel verfügt. Auch die Spezialisten sind allseits vertreten, jene Reiseführer, denen es gegeben ist, von ihren berauschten Jenseitsreisen sinnstiftende Welterklärungen zurückzubringen.
So ein Priester, Schamane oder Mystiker lässt seine Gemeinde in ritualisierten Gelagen an seinen Erkenntnissen teilhaben, der kollektive Rausch wird zum Symbol und Mittel der Gemeinschaft. Je ekstatischer die gemeinsame Grenzüberschreitung erlebt wird, umso intensiver ihre identitätsstiftende Wirkung, und so beziehen sich Schilderungen rauschbedingter Verfehlungen und orgiastischer Grausamkeiten meist auf Mitglieder fremder Gruppen.
Das Beste aus "SMS von gestern Nacht":Rausch + Liebe = SMS
Einmal zu früh auf Senden gedrückt und schon ist die Kurznachricht verschickt. Ärgerlich für die einen - lustig für die anderen. Eine Sammlung skurriler SMS, die besser nie verschickt worden wären.
Das geht vom humorigen "holländischen Fest", womit man im England des 18. Jahrhunderts eine Party bezeichnete, auf welcher der Gastgeber noch vor seinen Gästen betrunken ist, bis zu jenen antiken Horrorgeschichten, welche die Ionier über ihre lydischen Rivalen verbreiteten: So sei zum Beispiel ein lydischer Herrscher einst nach einer durchzechten Nacht mit der abgebissenen Hand seiner Frau im Mund aufgewacht. Christliche Missionare identifizieren Trancezustände, die sie bei ihren eigenen Heiligen zu göttliche Visionen verklären, dann als dämonische Besessenheit, sobald sie bei den heidnischen Subjekten ihrer Mission auftreten.
Auch die erwähnte Missbilligung neuzeitlicher Pillenfreaks gehört hierher: Während Ecstasy-Adepten von euphorisierender Offenheit und Nähe zu ihren Tanzkumpanen schwärmen und ihre Droge liebevoll als "hug drug" bezeichnen (von to hug = umarmen), prophezeit ihnen eine dem Alkohol verbundene Öffentlichkeit Antriebsschwäche und massive Hirnschädigung, Symptome also, wie sie in jeder Broschüre über Alkoholmissbrauch zu finden sind.
Exzessiver Weingenuss und geistreiche Unterhaltung
Traditionell schützte man sich gegen derartige Gefahren, indem Drogen nur zu religiösen Anlässen genossen wurden, deren rituelle Ordnung dem Exzess eine starke Verbindlichkeit verlieh. Das antike Griechenland kannte das Amt des Symposiarchen, der den Vorsitz beim Symposion führte, jener kultivierten Form des Gelages, bei dem sich exzessiver Weingenuss mit geistreicher Unterhaltung verband. Dem Symposiarchen oblag es unter anderem dafür zu sorgen, dass alle Teilnehmer in etwa den gleichen Grad an Trunkenheit erreichten, er musste aber auch einschreiten, wenn einzelne Gäste sich in Privatgesprächen ergingen und so dem Geist der Geselligkeit zuwiderhandelten.
Der Brauch, bedeutende Themen unter Alkoholeinfluss zu besprechen, geht wohl auf die archaische Vorstellung vom sakralen Charakter des Rausches zurück, während dem das Bewusstsein für höhere Eingebungen empfänglich ist. Bei Herodot heißt es, die alten Perser hätten wichtige Angelegenheiten gewöhnlich im Rausch besprochen, um sie dann am nächsten Tag noch einmal nüchtern zu beurteilen. Umgekehrt würden Entscheidungen, die nüchtern zustande gekommen waren, noch einmal in trunkenem Zustand beraten. Ähnliches berichtet Tacitus von den Germanen, und noch heute soll es in Russland und China durchaus üblich sein, bei Geschäftsverhandlungen solange zu trinken, bis keine Partei mehr zu irgendwelchen Hinterhältigkeiten fähig ist.
Wenn uns derartiges Geschäftsgebaren als absurd erscheint, dann deshalb, weil sich unsere Einstellung dem Rausch gegenüber grundsätzlich geändert hat. Mit dem Beginn der Neuzeit geriet der kollektive Rausch in Verruf. Dem aufstrebenden Bürgertum, das individuelle Leistungsfähigkeit gegen adelige Geburt in Stellung gebracht hatte, galt der Rausch als Pflichtverletzung, und der Exzess als asoziales Verhalten, das dem dekadenten Adel und anderen verkrachten Existenzen überlassen bleibt.
Getrunken wurde deshalb nicht weniger - dazu waren die Lebensumstände des Großteils der Bevölkerung viel zu elend und der Schnaps viel zu billig -, der Rausch allerdings verlor seinen gemeinschaftlichen Rückhalt.
Im Gegenteil: Wer jetzt nicht um der bloßen Betäubung willen trank, tat es "um die Individualität zu steigern", so Charles Baudelaire, der sich dabei an Absinth, Haschisch, Opium und Laudanum (mit Opium versetzter Wein) hielt. Der Künstler, der sich vom einsamen Rausch einzigartige Inspiration verspricht, tut damit auch seine Verachtung für bürgerliche Moralvorstellungen kund, für jenen geschäftstüchtigen Positivismus, der der "Entzauberung der Welt" (Max Weber) Vorschub geleistet hatte.
Eine Ära genialischer Großtrinker
Bis weit ins 20. Jahrhundert animierte dieses Ideal zahllose Künstler (und solche, die es werden wollten) zu intensiven Rauscherfahrungen. Als letztes Manifest dieser Ära genialischer Großtrinker, -raucher und -schnupfer könnte vielleicht Ernst Jüngers Essay Annäherungen gelten. Jünger interpretiert hier eigene und literarische Drogenerlebnisse (mit Alkohol, Äther, Chloroform, Haschisch, Lachgas, Laudanum, LSD, Meskalin, Nikotin und Opium) als aus Erkenntnisdurst heraus unternommene geistige Abenteuer, die nur besonders begabte und disziplinierte Individuen unbeschadet und mit Gewinn bestehen könnten.
Als das Buch 1970 erschien, wehte indes gerade ein ganz anderer Wind. Die Jugend der westlichen Welt hatte eine Revolution ausgerufen, die der gesamten Menschheit Freiheit, Liebe und Glück verschaffen sollte. Bewusstseinserweiterung war der Weg dorthin, Haschisch, Heroin und LSD die bevorzugten Transportmittel, bei Bedarf auch etwas direkte Aktion: "High sein, frei sein, ein bisschen Terror muss dabei sein" war eine Devise.
Schon bald aber entpuppte sich die große rauschhafte Befreiung als bloße Liberalisierung: Schwindlige Esoterik-Unternehmer zocken orientierungslose Großstadtkinder mit halbgarem Ethno-Schmus ab, die freie Liebe gebar eine milliardenschwere Porno-Industrie, und die Musik verkam zum Pop, jener billigen Ersatzdroge, die große Gefühle und stilsichere Extravaganz vorgaukelt, wo selten mehr ist als einlullende Dauerberieselung und lärmende Leere.
Ekstatische Rauscherfahrungen sind nicht mehr gefragt, es genügt schon die Aussicht auf ein möglichst effektives und angstfreies Alltagsleben und ein bisschen Ablenkung, sogenannter Spaß. Derartige Beliebigkeit im Umgang mit psychoaktiven Substanzen birgt die Gefahr einer gedankenlosen Dosissteigerung und eines Abgleitens in den Teufelskreis der Sucht - also noch mehr Angst und Einsamkeit, zunehmende Gefühlskälte und Zerrüttung bis zur völligen Verblödung und erhöhtem Suizidrisiko.
Kontrollverlust als sinnlichen Genuss erleben
Ob solchem Elend mit strengeren Sanktionen beizukommen ist, bleibt fraglich, dass derartige Beschränkungen aber kommen werden, hält zumindest Peter Richter für eine ausgemachte Sache. Er prophezeit uns bald auch hierzulande Zustände wie in den USA, wo es ein Gesetz gibt, demzufolge jemand die Alleinschuld an einem Autounfall automatisch bereits dann zugesprochen bekommt, wenn er eine Flasche Wein auch nur ungeöffnet und als Geschenk verpackt auf dem Beifahrersitz liegen hat.
Andererseits verheißt auch ein Rückgriff auf ritualisierte Formen gemeinschaftlicher Rauscherlebnisse nichts Gutes, es sei denn, man glaubt wirklich, kollektive Massenbesäufnisse wie das Oktoberfest oder das aktuell drohende Faschingswochenende könnten dem Alkoholismus entgegenwirken.
Hat also ein nüchterner Aufklärer wie Hermann Gremliza recht, wenn er, Adorno paraphrasierend, meint: "Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen."?
Zumindest hat Alkohol anderen Drogen gegenüber den Vorteil, dass er gut schmeckt, solange man nicht zu viel davon erwischt (und nicht den falschen).
Es besteht also immerhin die Möglichkeit, den Kontrollverlust als sinnlichen Genuss zu erleben und nicht als Flucht vor Angst, Schmerz und Langeweile. Diese Auffassung vertreten jedenfalls jene Wirte, Kellner und Sommeliers, die sich - statt immer nur auf den Umsatz zu schielen - als neuzeitliche Symposiarchen dazu verpflichtet fühlen, ihre Gäste nicht sich selbst zu überlassen. So bietet in Nürnberg ein Lokal "betreutes Trinken" an. Und in Berlin gibt es eine Bar, die sich - und das völlig zu Recht - als "Institut für fortgeschrittenes Trinken" versteht.
Stefan Gabányi ist Autor und Barkeeper in der Münchner Bar "Schumann's". Von ihm stammt auch das "Schumann's Whisk(e)y Lexikon".