Kultfilm finanziert Betreuungsplätze für Behinderte:Ziemlich beste Idee

Lange wehrte sich der querschnittsgelähmte Franzose Philippe Pozzo di Borgo dagegen, dass seine außergewöhnliche Lebensgeschichte verfilmt wird. Inzwischen ist der Film "Ziemlich beste Freunde" Frankreichs zweitgrößter Kinoerfolg aller Zeiten. Von den Einnahmen profitieren auch zahlreiche Leidensgefährten des Autors.

Michael Kläsgen

Es ist der anrührende Epilog eines unerwartet großen und überhaupt nicht rührseligen Kinofilms. Und es ist der Genialität des querschnittgelähmten Aristokraten Philippe Pozzo di Borgo zu verdanken, dass es zu dieser bewegenden Geschichte kommen konnte. Lange hatte er gezögert, die Filmrechte für das Buch über seine erschütternde Lebensgeschichte abzutreten.

Themendienst Kino: Ziemlich beste Freunde

Über 24 Millionen Menschen haben "Ziemlich beste Freunde" in Frankreich und Deutschland schon gesehen.

(Foto: dapd)

Schon 2001 war seine Autobiographie "Le second souffle" (Der zweite Atem) auf Französisch erschienen. Sofort erhielt der Adelige daraufhin etliche Anfragen, den ergreifenden Stoff verfilmen zu dürfen. Doch Pozzo di Borgo wimmelte ab. Erst 2010 willigte der Franzose schließlich ein, unter der Bedingung, dass fünf Prozent des Gewinns an den Förderverein für Schwerstbehinderte Simon de Cyrène fließen.

Jetzt sprudelt das Geld geradezu. Mehr als 19 Millionen Menschen haben die Komödie "Intouchables" allein in Frankreich gesehen, fünf Millionen bislang in Deutschland, wo der Film "Ziemlich beste Freunde" heißt. Er erzählt die Geschichte eines gelähmten reichen Mannes und eines entlassenen Strafgefangenen, der ihn pflegt.

Der Film avancierte für die Hauptdarsteller und Regisseure völlig überraschend über die Grenzen hinweg zum zweitgrößten Kinoerfolg des Landes überhaupt, hinter "Willkommen bei den Sch'tis". Obendrein ist er einer der rentabelsten Filme in der französischen Leinwandgeschichte. Die Produktionskosten waren im Vergleich zu manchen amerikanischen Filmen geradezu lachhaft gering. Sie sind längst eingespielt.

Jeder neue Kinogänger und DVD-Käufer tut nun Gutes - für den Förderverein und für Pozzo di Borgos Leidensgefährten. Denn der Verein Simon de Cyrène wird mit den Einnahmen - derzeit fast eine Million Euro - mehrere Einrichtungen bauen, die den Geist des Films wachhalten. In Rungis, südlich von Paris, entsteht eine moderne Anlage nach den neusten Standards: drei holzvertäfelte Flachbauten mit großen lichtdurchfluteten Gemeinschaftsräumen mitten im Grünen. Im Westen Frankreichs, in Angers, lässt der Förderverein zwei weitere Häuser bauen. Ihre Besonderheit: Hier leben Querschnittsgelähmte und ihre Betreuer Seite an Seite unter einem Dach, Tag und Nacht. In guten wie in schlechten Zeiten.

Es soll so sein wie im Film, oder besser gesagt: wie im echten Leben des Philippe Pozzo di Borgo. Der Erbe zweier Adelsgeschlechter, der Herzöge Pozzo di Borgo und der Marquis von Vogüé, war der Patron des berühmten Champagner-Hauses Pommery, als er 1993 im Alter von 42 Jahren mit dem Gleitschirm abstürzte. Das Rückenmark wurde weit oben zwischen den Wirbeln C3 und C4 durchtrennt. Entsprechend schlimm war die Lähmung. Das Paragliding war für ihn ein Mittel, der Schwerkraft zu entfliehen und dem Krebs, an dem seine Frau litt und dem sie drei Jahre später erlag.

Als Betreuer heuerte er einen Trampel aus der Banlieue an, wie er in seinem Buch schreibt, so hoch wie breit. Er hatte sich nur beworben, um weiter Arbeitslosengeld zu kassieren. Das Stadtpalais, in dem Pozzo di Borgo im vornehmen siebten Pariser Arrondissement residierte, sah er als Tresor an, den es zu knacken galt. Schließlich blieb er zehn Jahre.

Natürlich reicht das Geld nicht aus für all die jährlich etwa 10 000 querschnittsgelähmten Unfallopfer in Frankreich. Viele von ihnen warten lange stationär in Krankenhäusern auf behindertengerechte Unterkünfte. Aber eine schöne Geschichte ist der unerwartete Nachspann zum Film trotzdem.

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