Man muss schon ganz genau hinschauen. Und viel Geduld haben. In dem Baumstumpf soll sie also hausen. Also kniet man sich vor das Terrarium zwischen Sofa und Bücherregal und presst seine Nase an die dicke Glasscheibe. Der Blick ist auf ein Loch gerichtet, so groß wie eine Steckdose. Durch das Loch muss die Kröte heraus, wenn sie ihre Höhle verlassen will. Doch sie denkt gar nicht daran. Frieder, so heißt die Kröte, schläft.
Genug Zeit, sich ihre Geschichte anzuhören. Und die erzählt Jasper, 13. Er erzählt von dem Tag damals im Supermarkt bei ihnen im Städtchen Weißenburg, vor neun Jahren. Gemeinsam mit seiner Mutter stand er in der Obst- und Gemüseabteilung. „Da hat was aus der Plastikbox rausgeguckt“, sagt Jasper. Mitten im Feldsalat: eine echte Kröte!
Erstmal war das ein Schock. Und dann: Was jetzt? Es war Mitte November, draußen minus zehn Grad: Was machen die im Supermarkt denn, wenn wir uns beschweren und darauf hinweisen? Die beiden beschlossen, die Kröte zu kaufen – zusammen mit dem Salat: für 69 Cent.
Sie hat es gut angetroffen bei der Familie Reindl-Wilhelm. Eine Tierfamilie. Da gibt es den zugelaufenen Kater Potter, einen Wels im Aquarium und dicke Goldfische. Hier darf die Kröte in Ruhe leben, wenn nicht gerade die Zeitung oder das Fernsehen da ist. Aber wo ist sie denn nun? Irgendwo im Baumstumpf eben. Isabels Mann, Jan Wilhelm, hatte schon gewarnt. „Sie ist nachtaktiv.“

Isabel kennt einen Trick. Sie öffnet die Futterbox, hebt den Deckel des Terrariums und schüttelt ein, zwei lebende Grillen hinein, sogenannte Heimchen. Deckel wieder zu und schnell durch die Glaswand schauen. Und da, tatsächlich, im Höhleneingang sitzt etwas grüngrau Geflecktes. Miniklein. Höchstens fünf Zentimeter groß. Die Kröte! Aber sie rührt sich nicht. Hat wohl keinen Hunger. Also wird weitererzählt. Frida, 9, kommt ins Wohnzimmer und setzt sich neben ihren Bruder aufs Sofa. Nach ihr ist die Kröte benannt. Als später herauskam, dass die Kröte ein Kröterich ist, hieß sie eben Frieder.
Inzwischen ist Kröte Frieder sogar offiziell beim Amt angemeldet
Krötenwart Isabel fand heraus, dass Frieder eine seltene Krötenart aus Nantes in Westfrankreich ist – wo auch die Salatpackung herkam. Dort wurde der Feldsalat geerntet, mit Kröte verpackt und bis in den Supermarkt nach Weißenburg transportiert. Das kleine Auge, das Jasper und Isabel durch die Packung zuzwinkerte, war metallisch schimmernd und hatte senkrecht geschlitzte Pupillen – „typisch“, sagt Isabel, „für die unter Artenschutz stehende Geburtshelferkröte.“ Lebenserwartung: fünf Jahre, bei Reindl-Wilhelm-Pflege können es schon ein paar Jährchen mehr sein …
Damit Frieder bleiben durfte, musste die Familie sie offiziell bei der Behörde anmelden. „Das Landratsamt zog die Kröte pro forma ein und händigte sie uns zur Pflege wieder aus“, sagt Isabel. Sonst wäre Frieder in einer Amphibien-Auffangstation gelandet. Ewig schade wäre das gewesen, auch wenn die Krötenpflege viel Arbeit ist: Das Terrarium muss gereinigt werden, Insekten fliegen bei der Fütterung schon mal weg (Heimchengrillenlieblingsversteck, erzählt Isabel, ist hinter dem Herd) und man darf die Kröte auf keinen Fall anfassen (giftige Haut!). Man kann sich aber durchaus mit ihr unterhalten, sagt Jan. Äh, unterhalten? „Frieder fängt an zu pfeifen, dann pfeife ich zurück. Er antwortet wieder.“ Aha. Wie lang geht das denn so? „Bis er halt wieder merkt, dass ich es bin. Und nicht eine Kröte.“