Krieg:Mitgenommen

Albina
(Foto: privat)

Wer flüchtet, muss eine Menge zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie trotzdem retten konnten. Diesmal Albina, 15, aus Mykolajiwka in der Ukraine. Sie lebt seit einem Jahr in Deutschland.

Von Albina Bakuha

"Es ist seltsam, aber jetzt, wo ich seit ziemlich genau einem Jahr hier in Deutschland bin, erinnere ich mich manchmal nicht mehr an das, was schön war in meiner Kindheit. In solchen Momenten ziehe ich manchmal ein kleines Fläschchen Parfüm hervor. Schweres, dickes Glas, ein silberfarbener, knubbeliger Plastikdeckel. Noch ein Fingerbreit leicht trübe Flüssigkeit schaukelt. Man sollte meinen, dass so etwas Kleines in einem fremden Land, in das man vor einem Krieg geflohen ist, in dem man nicht wirklich die Sprache beherrscht und mehr oder minder alles zu Hause zurücklassen musste, keine große Hilfe sein kann. Aber dieses Parfüm ist meine Erinnerung. Meine Mutter hat es mir geschenkt. Sie hatte einmal ein ähnliches, und ich mochte es sehr. Es ist schwer zu beschreiben, ein Frühlingsduft, würden wahrscheinlich viele sagen. Aber wenn ich es rieche, dann ist da kein Flieder, kein Maiglöckchen, kein Frühling. Da ist meine Kindheit. Vor allem meine Mutter und all die Momente, die ich mit ihr verbracht habe. Die Ferientage, genauso wie das Fertigmachen für die Schule morgens, die Familie, das Lachen der Freunde. All die ganz gewöhnlichen und alltäglichen Dinge einer Kindheit. Bald werde ich die 11. Klasse abschließen. Dann bin ich im Abschlussjahrgang. Aber was heißt das schon? Ich werde nicht - wie es in der Ukraine Tradition ist -, den Sonnenaufgang mit den Lehrerinnen und Lehrern erleben, uns verabschieden: Aufbruch in ein neues, erwachsenes Leben! Denn sie sind irgendwo, manche von ihnen tot. Ich werde nicht mit meinen Freunden auf meinem Lieblingsplatz in Mykolajiwka spazieren gehen. Denn er ist zerbombt. Es geht doch immer um die Menschen, die dich umgeben. Tief im Inneren fühle ich mich hier in Deutschland immer noch wie eine Außenseiterin. Es fällt mir schwer, frei und offen für alle zu sein. Zu Hause habe ich das Parfümfläschchen immer mit in die Schule genommen. Jeden Tag. Manchmal habe ich morgens lange danach suchen müssen. Hier steht es einsam auf meinem Schreibtisch."

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