Krieg:Mitgenommen

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(Foto: privat)

Wer flüchtet, muss eine Menge zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie trotzdem retten konnten. Diesmal: Veronika, 12 Jahre, aus der Stadt Irpin in der Ukraine. Sie lebt seit einem Jahr in Bochum.

Protokoll von Nina Himmer

"Ich habe meinen Stoffhund mitgenommen. Er ist immer mit mir gereist und ein Glücksbringer. Früher hatte er eine gelb-blaue Schleife um den Kopf, aber während unserer Flucht ist sie verloren gegangen. Meine Mama, meine Schwester und ich sind am 9. März 2022 evakuiert worden. Mein Papa ist in Irpin geblieben, er ist Chirurg und arbeitet im Lazarett. Wir wollten unser Zuhause nicht verlassen, aber der Krieg wurde immer schlimmer. Unser Teil der Stadt wurde von russischen Truppen besetzt. Wir versteckten uns im Keller unseres Hauses, russische Panzer mit dem Symbolbuchstaben Z darauf fuhren durch die Straßen, ringsherum brannten viele Häuser, es gab laute Explosionen, Militärflugzeuge am Himmel, Autos wurden wie Siebe durchschossen. Bei Beschuss legten wir uns auf den Boden, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, um eine Gehirnerschütterung zu vermeiden. Dabei beteten wir zu Gott, uns zu retten. Am 15. Kriegstag wurden wir evakuiert. Meine Mutter fragte mich mitten in all dem Chaos, ob ich etwas mitnehmen wollte. Ich habe mich für den Hund entschieden. Dann sind wir mit dem Bus losgefahren, mussten drei Kontrollpunkte passieren: zwei ukrainische und einen russischen. Mein Hund war immer bei mir, musste aber im Rucksack bleiben. Ich durfte ihn nicht im Arm halten. Das war zu gefährlich. Die Russen wären wahrscheinlich wütend geworden, wenn sie ihn mit seiner Schleife gesehen hätten. Sie werden schnell wütend: Vor uns fuhr ein Bus mit evakuierten Menschen, die alle von russischen Soldaten erschossen wurden. Dann ist unser Bus vorgefahren. Wir haben nicht geglaubt, dass wir überleben. Die russischen Soldaten haben die Männer aus dem Bus geholt, schossen auf ihre Handys und alles, was ihnen nicht gefiel. Dann stiegen sie mit Maschinengewehren in den Bus und kontrollierten uns sorgfältig. Aber wir haben es geschafft, konnten das Land verlassen, sind gerettet. Offenbar hatten wir einen wirklich starken Schutzengel. Vielleicht meinen kleiner Hund? Er schläft jede Nacht in meinen Armen.

© SZ vom 08.04.2023 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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