Süddeutsche Zeitung

Krieg:Mitgenommen

Wer flüchtet, muss eine Menge zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie aus ihrer Heimat retten konnten. Diesmal: Khalida, 16, aus Kabul in Afghanistan. Sie wohnt seit drei Jahren in Feldkirchen bei München.

Protokoll: Georg Cadeggianini

"Ich erinnere mich nicht an viel aus Afghanistan. Noch weniger an schöne Dinge von dort. Geburtstagsfeiern vielleicht. In der Mitte eine Torte, bunt, ich mag kräftige Farben - und meine Eltern, die mit mir tanzen. In Afghanistan konnte ich nur selten in die Schule gehen. Ein, zwei Mal im Monat. Meine Mutter hat mich dann hingebracht, im Tschador. Der hat nur einen kleinen Sehschlitz, niemand hat sie erkannt. Das war wichtig, denn wir hatten große Probleme in Afghanistan. Einer, der mit den Taliban verbunden war, hatte meine Mutter als Ehefrau für seinen Sohn vorgesehen. Aber meine Mutter wollte nicht. Ich war sieben Jahre alt, als mein Vater ermordet wurde. Mein Vater hat für die Amerikaner gearbeitet. Das war den Taliban nicht recht. Meine Mutter hat dann den Zwillingsbruder meines Vaters geheiratet. Das mag sich für Deutsche komisch anhören. Aber auch das ist Afghanistan. Als ich neun Jahre alt war, flohen wir aus Kabul, durch Iran, durch die Türkei nach Griechenland: 40 Tage Flucht, nur Kekse und Wasser. Ich erinnere mich an große, weiße Autos, in denen wir uns - ich und meine damals vier kleinen Geschwister - verstecken mussten. Hier in Deutschland leben wir zu acht in zwei Zimmern, 50 Quadratmeter. Ich muss viel für die Familie organisieren. Die Behörden, die Schule, dieses ganze Zeug. Es ist absurd, aber was uns momentan am meisten fehlt, ist ein Drucker. Und natürlich eine größere Wohnung. Aus Afghanistan haben wir fast nichts mitgenommen. Nur Dokumente - und das Gandafghandi, das Brautkleid meiner Mutter. Das trug sie damals mit 15, als sie meinen Vater heiratete. Es ist das, was ich auf dem Foto oben anhabe. Wenn ich ans Heiraten denke, denke ich an junge Mädchen, Kinder, die heiraten müssen. Das ist kein gutes Gefühl. Ich bin jetzt ungefähr genauso lang in Deutschland, wie ich in Griechenland war. Ich liebe Sprachen. Am besten, noch besser als meine Muttersprache Dari, spreche ich Griechisch. An Deutschland mag ich die Freiheit hier, die Brezeln und vor allem, dass ich zur Schule gehen darf. Hört sich das komisch an?"

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Quelle:
SZ vom 22.10.2022
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