Krematorium in London:Die Asche des rosaroten Panthers

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Peter Sellers, Sigmund Freud und Anna Pawlowa: Viele Prominente haben im Londoner Krematorium Golders Green ihren letzten Auftritt.

Wolfgang Koydl

Neulich war der Premierminister hier, und er hatte nicht nur sein halbes Kabinett mitgebracht, sondern auch den einen oder anderen Vorgänger und mit Cherie Blair sogar die Ehefrau des ehemaligen britischen Regierungschefs Tony Blair. Mehr als 160 Gäste umfasste die Trauergemeinde, die nach Golders Green im Norden von London gekommen war, um Abschied von Michael Foot zu nehmen, dem legendären Labour-Führer, der mit 96 Jahren gestorben war.

An Prominenz ist man im Golders-Green-Krematorium ebenso gewöhnt wie an große Mengen von Trauernden, die manchmal mehr als eine halbe Meile weit bis hinunter zur U-Bahnstation Golders Green Schlange stehen. Denn in keinem zweiten Krematorium der Welt wurden mehr berühmte und bekannte Persönlichkeiten zur letzten Ruhe geleitet als hier: Schriftsteller wie George Bernard Shaw und Rudyard Kipling, Musiker wie der Dirigent John Barbirolli oder der Rock-Drummer Keith Moon, Wissenschaftler wie Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillin, der Nuklearphysiker Ernest Rutherford, Schauspieler wie die Deutsche Elisabeth Bergner oder der einzig wahre Darsteller des Inspektor Clouseau aus der Filmserie "Der rosarote Panther", Peter Sellers. Nicht zu vergessen: Labours erster Premierminister Ramsay MacDonald und der konservative Regierungschef Neville Chamberlain.

Krematorium für Freidenker

Dass sich gerade er, der radikale Vordenker der politischen Linken, Golders Green als letzte Ruhestätte ausgesucht hatte, war fast schon eine Selbstverständlichkeit. Denn seit seiner Gründung im Jahr 1902 war dieses Krematorium schon immer die bevorzugte Wahl von Freidenkern jedweder Couleur gewesen. Golders Green ist unabhängig von Kirchen und Konfessionen: Ob Agnostiker oder Atheisten, ob gläubige Katholiken, Protestanten, Juden oder Hindus - sie alle werden hier mit der gebotenen Würde verabschiedet.

Als radikal galt auch lange Zeit das Konzept der Kremierung selbst. Die Kirchen lehnten die Einäscherung hartnäckig ab; die katholische Kirche gab erst 1963 ihren Widerstand auf, als Papst Paul VI. Katholiken die Kremierung erlaubte. Der Islam verbietet die Einäscherung noch immer. Das erste Krematorium der Welt wurde 1885 in der Kleinstadt Woking südlich von London eröffnet; im selben Jahr legalisierte das Unterhaus in London diese Bestattungsmethode.

Asche unter Rosenstöcken

Golders Green wurde 17 Jahre später eröffnet, und seitdem wurden hier mehr als 300.000 Einäscherungen durchgeführt. Oft erinnert nur eine schmucklose Marmortafel an die Toten, denn nicht immer werden die sterblichen Überreste in einer Urne aufbewahrt. Meistens wird die Asche in den ausgedehnten Gärten des Krematoriums verstreut, so wie auch bei dem irischen Poeten Sean O'Casey. Auch er hatte eine christliche Beerdigung abgelehnt. Man könne Religion gar nicht hoch genug achten, hatte er einmal gespottet, "damit man sie aus so vielen Dingen wie möglich heraushalten kann".

Andere ließen die Asche in die Erde unter Rosenstöcken streuen. Marc Bolan, der im Alter von nur 30 Jahren bei einem Autounfall getötete Gründer der Rockband T.Rex hat so seine letzte Ruhestätte gefunden - neben seiner Mutter. In der 300 Meter langen Kolonnade aus roten Ziegeln erinnern allerdings gleich zwei Gedenktafeln an den Glam-Rocker. Ein weißer Schwan ziert die Tafel, welche sein Fan-Club 25 Jahre nach seinem Tod anbringen ließ - zur Erinnerung an seinen größten Hit "Ride a White Swan". Jedes Jahr an seinem Todestag am 16. September versammeln sich seine Fans in Golders Green.

Ein weißer Porzellanschwan steht auch vor der Urne mit der einfachen, kyrillischen Aufschrift Anna Pawlowa. Das Tanzsolo des sterbenden Schwans war speziell für die legendäre russische Ballerina von dem Choreographen Michel Fokine geschrieben worden. Wenige Schritte von der Nische mit ihrer Urne entfernt steht eine Holzkiste. In ihr sollten vor einigen Jahren die sterblichen Überreste der Tänzerin in ihre russische Heimat überführt werden. "Doch irgendwann brach der Kontakt ab und seitdem haben wir nichts mehr aus Petersburg gehört", sagt Phil Lienov, der seit Jahren im Golders-Green-Krematorium arbeitet. Er führt durch das spärlich beleuchtete Kolumbarium, wo Hunderte von Urnen und Marmorboxen über fünf Etagen verteilt in Nischen sitzen.

Ein Behältnis fällt aus dem Rahmen: Auf einem dorischen Säulenstumpf steht eine mit schwarzen Figuren bemalte griechische Vase. Sie stammt aus der persönlichen Sammlung von Sigmund Freud, und in ihr, so verfügte es der Vater der Psychoanalyse, fanden seine Asche und jene seiner Frau Martha ihre letzte Ruhestätte.

© SZ vom 01.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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