Süddeutsche Zeitung

Krankheit:Kuddelmuddel im Kopf

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Demenz sieht man nicht. Aber man merkt Omas und Opas die Krankheit an. Was, wenn alles nur noch Punkte sind, wenn sich das Gedächtnis auflöst? Menschen mit Demenz sind extrem vergesslich. Zwei Enkel erzählen.

Protokolle: Hannah Weber; Illustration: Lisa Langbein

"Einmal ist mein Opa in die Straßenbahn gestiegen und verschwunden. Wir haben uns riesige Sorgen gemacht und sogar die Polizei alarmiert, weil er sich alleine nicht orientieren kann. Die Demenz sieht man Opa nicht an - in der Straßenbahn wusste also niemand, dass er Hilfe braucht. Gefunden hat ihn dann nicht die Polizei, sondern eine Bäckerei-Verkäuferin in Lüdenscheid. Sie hat Opas Verwirrung bemerkt. Meine Mama hat Opa dann von der Wache abgeholt. Deshalb hat Opa eine Betreuerin. Die passt auf, dass er nicht aus Versehen wegläuft. Sie ist immer bei ihm. Demenz wird mit der Zeit schlimmer. Man vergisst immer mehr, weil Nervenzellen im Gehirn kaputt gehen. Kein Medikament hilft dagegen. Wahrscheinlich wird Opa also immer noch vergesslicher. Manchmal vergisst er, dass er gerade ein Brot in der Hand hat. Dann muss man ihn anstupsen und erinnern abzubeißen. Er weiß nicht mal, wie alt er ist. '53', hat er mal geantwortet - dabei ist er schon 82. Wer ich bin, das weiß Opa aber ganz genau. Bei meinen Geschwistern bin ich mir da manchmal nicht so sicher. An manches erinnert er sich aber auch richtig gut. Zum Beispiel an seine Zeit in New York, wo er früher gearbeitet hat. Deshalb hat Mama ihm ein Buch gekauft, mit Fotos von dort. Das schauen wir gern zusammen an und ich lese daraus vor. Nach New York werde ich mit ihm wohl nicht mehr reisen. Aber das ist okay für mich. Manchmal erzählt er davon, und dann höre ich ihm einfach gern zu. Dabei schauen wir gemeinsam aus dem Fenster. Die größeren Ausflüge mache ich einfach mit meinem anderen Opa - lieb hab ich beide."

"Manchmal füttere ich meine Oma: Ich schneide ihr dann das Essen klein, spieße die Bissen auf eine Gabel und führe sie zu ihrem Mund. Am liebsten mag sie Süßes wie Streuselkuchen. Ich mache das gern, aber ein bisschen seltsam fühlt es sich schon an. Eigentlich sollte sie das mit ihren 66 Jahren ja allein können, so wie Opa auch. Aber Oma hat schon seit elf Jahren Alzheimer, eine Form von Demenz. An die Zeit vor der Krankheit kann ich mich kaum erinnern. Jetzt braucht sie Hilfe bei so gut wie allem: aufstehen, aufs Klo gehen, waschen, essen. Reisen kann sie schon lang nicht mehr. Das ist schade, denn sie wohnt 400 Kilometer weit entfernt. Ich wünschte, sie könnte uns mit Opa einfach mal besuchen kommen, so wie früher. Am liebsten an meinem Geburtstag. Weil das nicht geht, besuchen wir die beiden. Wenn wir zur Tür reinkommen, sieht man ganz genau, dass sie sich riesig freut. Manchmal kullern ihr dabei sogar ein paar Tränen über die Backe. Sprechen kann sie schon länger nicht mehr. Und ich glaube, sie versteht auch nicht mehr alles, was ich ihr erzähle. Aber ich bin mir sicher, dass sie merkt, dass ich da bin und sich darüber freut. Ihre Krankheit macht mich manchmal traurig, weil wir fast nichts gemeinsam erleben können: Spielen, Spazierengehen, Kuchen backen, das geht alles nicht mehr. Deshalb schauen wir, wenn ich bei ihr zu Besuch bin, oft zusammen Fern, meistens Sport wie Leichtathletik. Das mag Opa gern und ich glaube Oma auch, sie war früher nämlich Sportlehrerin. Wenn ich ihre Erkrankung für einen Tag wegpusten könnte, dann würde ich mit ihr in den Zoo gehen."

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Quelle:
SZ vom 04.03.2023
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