Kolumne: Paar Probleme (8):Gemeinsam einsam

Sie wünscht sich Zuwendung, ihm ist die Lust schon lange vergangen. Gibt es einen Weg aus der Krise? Ein Lösungsversuch.

Violetta Simon und David Wilchfort

Manchmal braucht die Liebe Unterstützung, das gilt auch - oder gerade - für "alte Hasen". Der Paartherapeut David Wilchfort und die sueddeutsche.de-Redakteurin Violetta Simon suchen im gemeinsamen Gespräch Antworten auf Beziehungsfragen unserer Leser - und zwar immer für beide Partner.

paar probleme

Jeder wünscht sich Zuneigung vom anderen, aber keiner will den ersten Schritt machen.

(Foto: Foto: photocase)

Eva: Ich fühle mich einsam neben meinem Mann, vermisse seine Wärme. Wenn ich sehe, wie meine Nachbarn bei Kerzenlicht auf dem Balkon sitzen und sich verliebt ansehen, werde ich ganz neidisch. Mein Mann schaut mich kaum mehr an und vermeidet jede Berührung. Manchmal zeigen andere Männer Interesse an mir, das macht mich dann ganz traurig. Denn genau das wünsche ich mir eigentlich von ihm. Ich will ja gar keinen anderen.

Adam: Immer will sie von mir gestreichelt werden. Doch wenn ich mal in den Arm genommen werden möchte, schimpft sie: "Ich bin doch nicht deine Mutter!" Jetzt habe ich mich auch zurückgezogen und unternehme lieber mit meinen Freunden Fahrradtouren. Sex gibt es bei uns schon lange nicht mehr, und wenn ich ihre zänkische Stimme höre, vergeht mir ohnehin die Lust.

Um die persönliche Situation von Adam und Eva zu verdeutlichen, haben wir deren Anliegen von zwei Schauspielern sprechen lassen. Eva wird gesprochen von Agnes Müller, Adam von Rüdiger W. Kunze. Klicken sie auf das Video, um es abzuspielen.

suedeutsche.de: Gemeinsam einsam - klingt traurig. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, scheint die Welt immer dann aus harmonischen, sexuell und emotional erfüllten Paaren zu bestehen, wenn die eigene Beziehung gerade einer Salzwüste gleicht. Grausam, wenn die Nachbarn sich dann auch noch über ihre Teller hinweg anschmachten. Machen die das mit Absicht? Oder liegt es an der getrübten Sichtweise.

David Wilchfort: Das Gras beim Nachbarn ist nun mal ganz besonders grün, wenn man es von der eigenen Salzwüste aus betrachtet. Haben die da drüben einfach Glück gehabt oder haben Sie etwas nachgeholfen? Ich hätte nicht meinen Job, wenn ich nicht von Zweitem überzeugt wäre.

suedeutsche.de: Doch wie sollen die beiden das anstellen? Das ist ja nicht wie zwischen IG Metall und Arbeitgebern, wo man sich an den Verhandlungstisch setzt und loslegt. Bei diesem Paar haben wir erst einmal eine Menge Wut und Verletzung zu beseitigen. Jeder wünscht sich Zuneigung vom anderen, aber keiner von beiden will den ersten Schritt machen.

Wilchfort: Auf die Frage "Wer fängt an?" kann ich nur antworten: Trapez springen!

suedeutsche.de: Das sagen Sie jetzt so einfach! Und wenn da kein Netz ist? Das ist vielleicht was für Lebensmüde. Oder Menschen im Liebestaumel, blind für jede Gefahr. Die beiden machen mir allerdings nicht unbedingt den Eindruck, als hätten sie Lust auf Experimente. Da sitzt eine Menge Frust mit auf dem Sprungbrett.

Wilchfort: Wer behauptet, Beziehung sei ein ungefährlicher Sport? Ich bestimmt nicht. Und wahrscheinlich auch niemand, dessen Herz schon mal gebrochen wurde. Was hat es auf sich mit dem Trapez? Wenn in der Zirkuskuppel die zwei Partner Schwung nehmen, um die Haltegriffe miteinander auszutauschen, wäre es falsche Höflichkeit, nach dem Trommelwirbel zu sagen: "Bitte, du zuerst." Nur gleichzeitig zu springen und darauf zu vertrauen, dass der Partner es auch tut, verhindert ein Desaster.

suedeutsche.de: Hier geht es aber auch nicht um Höflichkeit, sondern um Erwartungen. Was ist, wenn einer von beiden vorsichtshalber sitzen bleibt - und dabei zusieht, wie der andere das Trapez freigibt und in die Tiefe stürzt?

Lesen Sie auf der nächsten Seite: eine Lösung, die funktioniert ...

Wilchfort: Nur in die Zirkuskuppel zu starren, bringt die beiden aber auch nicht zusammen. Ich habe keine leichte und elegante Lösung, dafür aber eine, die oft funktioniert: Wenn im Zirkus der Trommelwirbel beginnt, dient er nicht nur zur akustischen Untermahlung der Spannung, sondern als Zeichen zum Sprung. Die beiden springen also nicht erst dann, wenn es sich "richtig anfühlt" oder ihnen danach ist. Sie haben die beste Chance sich zu treffen, wenn sie sich bewusst verabreden.

suedeutsche.de: Aber eine Verabredung allein wird nicht die Kränkungen und Verhärtungen aufbrechen können. Vielleicht wäre ein Löwenkäfig mit Dompteur die geschicktere Lösung - so hätten sie keine Möglichkeit, sich davonzuschleichen und es gäbe jemanden, der sagt, wo es langgeht ...

Wilchfort: Nein, ein Dompteur ist nicht nötig und würde von beiden nur aufgefressen werden. Ich bleibe bei meinem Trapezbild. Die beiden müssen gemeinsam den Trommelwirbel als Signal akzeptieren und darauf vertrauen: Mein Partner würde lieber mit mir zärtlich sein, als streiten.

suedeutsche.de: Sie meinen, wenn Adam mit seinen Kumpels durch die Weltgeschichte radelt, soll sich Eva einreden: "Eigentlich wäre er jetzt viel lieber bei mir!"

Wilchfort: Hier geht es nicht darum, sich etwas einzureden. Wir dürfen nicht vergessen, von welchem Standpunkt aus Adam und Eva die Situation betrachten. Adam denkt: "Wenn Eva nur bereit wäre für gemeinsame Zärtlichkeit, ich wäre sofort dabei", ebenso ist es bei Eva. Wir Außenstehende denken: "Die wollen doch beide miteinander glücklich sein, warum tun sie es nicht einfach?"

suedeutsche.de: Sie meinen also, dass beide eigentlich dasselbe wollen, und es nur nicht wissen? Vielleicht sollte jemand es ihnen verraten! Also ich wäre ja immer noch für den Dompteur ...

Wilchfort: Darauf müssen sie von selbst kommen. Je mehr sie darüber nachdenken: Was wollen wir beiden miteinander? Desto eher werden sie den Drang haben, es einfach zu tun.

suedeutsche.de: Also gut, dann Trapez und "Trommelwirbel". Wie haben Sie sich das vorgestellt - kommt Bruce Darnell, klatscht in die Hände und ruft: "Drama, Baby"?

Wilchfort: Bloß kein Drama! Lieber eine Verabredung. Ich würde den beiden raten, auszulosen, wer von beiden den anderen zuerst zu einem Rendezvous einlädt. Der "Gastgeber" überlegt sich eine gemeinsame Unternehmung, die auch dem anderen Spaß machen könnte. Der "Gast" lässt sich darauf ein und vermeidet Verbesserungsvorschläge. Beim zweiten Rendezvous läuft es umgekehrt. Das Wichtigste: Es gilt die "Jetzt-Regel" - es wird nur über das gesprochen, was gerade passiert. Kein Schnee von gestern, keine Erledigungen, die am nächsten Tag warten.

suedeutsche.de: Klingt gut. Aber auch ein bisschen nach Verdrängung. Was ist mit den konkreten Problemen - wer streichelt wen?

Wilchfort: Die sind Nebensache, bis die beiden etwas Wichtigeres herausfinden: Entweder haben sie sich neu entdeckt oder erkannt, dass sie nicht mehr bereit sind, sich gegenseitig zu entdecken. Dann können sie die Konsequenzen daraus ziehen.

suedeutsche.de: Immerhin, eine faire Chance - nicht zuletzt, um sich bei den aufdringlich harmonischen Nachbarn mit ein paar romantischen Szenen einer Ehe zu revanchieren. Übrigens würde sich in diesem Zusammenhang das Thema "Versöhnungssex" aufdrängen - aber dazu kommen wir ein andermal ...

Haben auch Sie und Ihr Partner ein Problem, das Sie uns gerne - jeder aus seiner Perspektive - mitteilen möchten? Schreiben Sie uns per E-Mail an leben@sueddeutsche.de. Beachten Sie bitte, dass nur Zuschriften beantwortet können, in denen beide Partner ihr Anliegen formulieren. Die Besprechung erfolgt anonym, für eventuelle Rückfragen benötigen wir eine gültige E-Mail-Adresse.

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