Kolumne "Moment Mal":Schmerzhafter Protest

(Foto: Christian Mang/Reuters)

Unser Bild der Woche: Hand eines unbekannten Aktivisten der "Letzten Generation", Berlin, 5. Dezember 2022

Von Christian Mayer

In der Kunstgeschichte spielt die Hand eine bedeutsame Rolle, oft ist sie eine Metapher für Führungsstärke und Tatkraft. Könige, Propheten und Heerführer weisen dem Volk damit den rechten Weg, in der Sixtinischen Kapelle zeigt Michelangelo, wie Gott den Menschen schafft - durch einen magischen Fingerzeig, während Adam seinem Schöpfer die Hand entgegenstreckt. Albrecht Dürers "Betende Hände" stehen dagegen für Demut, dafür, dass der Mensch sich in sein Schicksal zu fügen habe, aber auch Erlösung finden kann. Diese Symbolkraft nutzen nun auch die Klimaaktivisten. Wenn sich Mitglieder der "Letzten Generation" wie hier in Berlin mit Sekundenkleber an den Asphalt heften, wissen sie genau, was folgt: Die Polizei wird die Hände von der Straße lösen. Beim Betrachten des Bildes stellt sich sofort die Frage: Wie schmerzhaft muss das wohl sein, wenn einzelne Hautpartikel beim Abziehen an der Straße haften bleiben, wie lange wird es dauern, bis die Wunden verheilt sind? Aber genau darum geht es den Aktivisten: um den Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit - man zwingt die Außenstehenden mit dieser Geste geradezu, darauf zu reagieren. Schon der Begriff "Letzte Generation" hat ja auch eine quasireligiöse Dimension, denn er suggeriert, dass der Untergang nah ist. Die bei Museumskuratoren inzwischen gefürchteten Klimaaktivisten und -aktivistinnen haben also durchaus ein Gespür für die Bildsprache der abendländischen Kunst.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: