Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Moment mal:"Giselle" im Exil

Unser Bild der Woche: Tänzerinnen des United Ukrainian Ballett, am 1. Februar 2023 in Washington.

Von Dorion Weickmann

Ein Foto wie ein Gemälde von Edgar Degas, aber mit ernstem Hintergrund. Tänzer brauchen tägliches Training, regelmäßige Auftritte, ein verlässliches Dach über dem Kopf. Sonst verkümmern sie. Genau diese Zukunft sahen Profis vor sich, die im vergangenen Jahr ihre vom Krieg lahmgelegten ukrainischen Ballettkompanien verließen und in den Westen flüchteten. Wer sich bis in die Niederlande durchschlug, fand in Den Haag einzigartige Möglichkeiten vor - dank Hilfestellung von weltberühmten Kollegen. Der Choreograf Jiří Kylián und die Ex-Ballerina Igone de Jongh schoben die Gründung des United Ukrainian Ballet mit an, die Stadt stellte ein Quartier und Finanzmittel zur Verfügung. Inzwischen zählt die Truppe sechzig Mitglieder und hat einen Klassiker im Programm, mit dem sie bereits das Publikum in London verzaubert hat und dieser Tage das Kennedy Center in Washington bespielt: "Giselle", das romantische Werk schlechthin, in einer Choreografie von Alexei Ratmansky. Der Ex-Chef des Moskauer Bolschoi-Balletts, dessen bildschöne "Tschaikowski-Ouvertüren" das Bayerische Staatsballett kurz vor Weihnachten herausgebracht hat, ist ein erklärter Gegner Putins. Ratmansky wird nicht müde, die russische Aggressionspolitik zu kritisieren, muss er doch auch für einen Teil seiner eigenen Familie fürchten, der in Kiew ausharrt. Für das ukrainische Exilensemble ist seine "Giselle" ein Glücksfall, die Garantie für ausverkaufte Häuser.

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