Kolumne "Luft und Liebe":Jammerliese liebt Stinkstiefel

Wenn Paare zusammenziehen, glauben sie noch an das Gute im Menschen. Willkommen in der Wirklichkeit!

Violetta Simon

Erinnern Sie sich? Lauschige Wochenenden im Bett, das Telefon ausgesteckt, die Wohnungstür wird nur für den Pizzadienst geöffnet. Was der eine auch tut, der andere findet es süß. Was er auch fragt, meist lautet die Antwort: "Was dir lieber ist", "wie du möchtest", "entscheide du".

"luft und liebe": zusammenwohnen

In der gemeinsamen Wohnung verwandeln sich die dufte Schnitte und der coole Typ unheimlich schnell in eine Jammerliese und einen Stinkstiefel.

(Foto: Foto: iStock-Photos)

Dann erinnern Sie sich sicher auch daran: Ein Paar auf dem Sofa - jeder in seiner eingesessenen Kuhle, das Reden übernimmt der Fernseher. Was der eine auch tut, der andere reagiert genervt. Und die Fragen klingen so: "Wieso liegen deine Socken auf dem Sekretär?", "Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich Diätmargarine hasse?", "Wann entsorgst du endlich die hässliche Vase deiner Tante?".

Was geschehen ist? Etwas ganz und gar alltägliches: Ein verliebtes Paar ist zusammengezogen - willkommen in der Wirklichkeit! Jeder tut es früher oder später, manche können gar nicht genug davon bekommen und versuchen es immer wieder. Doch beim ersten Mal haben wir nicht den kleinsten Schimmer, was uns da erwartet.

Bereits im Kindergarten lernen die Kleinen, dass sie nicht mit fremden Leuten reden sollen. Doch dass der wahre Ärger erst mit jenen beginnt, die mit uns Tisch und Bett teilen, davor hat uns niemand gewarnt. Erst wenn aus der duften Schnitte eine Jammerliese und aus dem coolen Typen ein Stinkstiefel geworden ist, geht uns ein Licht auf: Man hat uns reingelegt!

Kekse mit Konfliktpotenzial

Schwedische Möbelkonzerne gaukeln uns vor, das Leben zu zweit bestehe aus Harmonie und weißen Möbeln, zwischen denen Paare - wenn sie gerade einmal nicht mit Kissenschlacht beschäftigt sind - Haferkeks knabbernd auf einer geblümten Tagesdecke lümmeln und kichernd in Fotoalben blättern. In Wirklichkeit lösen bereits die Krümel dieser Kekse eine mittlere Krise aus. Warum sagt einem keiner, dass die Diskussion, wer die Spülmaschine einräumt, irgendwann größere Bedeutung gewinnt als einst die Frage: "Zu dir oder zu mir?" Dass ein vergessener Mülleimer nach einem Jahr mehr Spannung in der Beziehung erzeugt als es ins Ohr geflüsterte schmutzige Worte jemals vermochten.

Früher oder später wird sich jeder normal veranlagte Mensch in der zusammengewürfelten Wohnlandschaft umsehen und sich fragen, warum er sich das angetan hat. Wollte man sich den kalten Krieg in die eigenen vier Wände holen? Seine Identität aufgeben? Sich beweisen, dass ein nach Feng-Shui ausgerichtetes Designerbett hervorragend mit FC-Bayern-Bettwäsche harmoniert? Wahrscheinlich hatte man einfach keine Lust mehr, für ein frisches T-Shirt durch die ganze Stadt zu fahren. Halt, da war noch was! Jetzt fällt es uns wieder ein: Wir taten es aus Liebe!

Doch wieviel ist davon übrig, wenn man wegen ausgetrockneter Zahnpastatuben, vergessener Socken, einem dauerbesetzten Telefon streitet? Genug! Streiten gehört nämlich dazu. Alle tun es. Das muss nicht bedeuten, dass die Beziehung schlecht ist. Das zeigt lediglich, dass zwei Welten aufeinandertreffen, die nun in einer unterkommen müssen. Wie bei jeder Fusion empfiehlt es sich deshalb, unnachgiebig zu verhandeln: Playboy- oder Petra-Abo, Duftkerzen oder Bierfahne, Landhaus oder Bauhaus, Edelstahl oder Blümchen.

Zugegeben, meistens gewinnt sie - aber immerhin hatte er eine faire Chance. Vorausschauend wie Frauen sind, hat sie sich nunmal nicht in seinen exquisiten Einrichtungseschmack verliebt, sondern schätzt vor allem seine Großmütigkeit. Und wenn die alte Pokalsammlung endlich in den Keller wandert und das Futon auf den Schrottplatz umzieht, kann er zumindest von sich behaupten, dass der Ausdruck "Liebe verlangt Opfer" für ihn mehr als eine leere Worthülse ist.

Erinnerungen eines entrechteten Sitzpinklers

Nur ab und zu wird er wehmütig an seine Junggesellenbude zurückdenken. Als er noch selbst entscheiden durfte, was Gemütlichkeit ist, statt zwischen Tiffany-Lampen und Seidenmalerei vor der schmachtenden Stimme von Julio Iglesias zu fliehen. Als das Wort "Hausbesetzung" eine rein politische Angelegenheit war, weil es keine Frau wagte, stundenlang das Bad zu blockieren und es nur unter der Bedingung zu verlassen, dass er sich beim Pinkeln hinsetzt, anschließend den Deckel schließt und sich die Hände wäscht. Längst schon hat sie ihn soweit, dass er sich jedesmal, wenn er ihr nach der Toilette begegnet, ängstlich fragt, ob er auch den Klodeckel geschlossen hat. Manchmal genügt es, nur an sie zu denken, schon taucht dieser verdammte Klodeckel vor seinem geistigen Auge auf.

Doch bevor hier der Eindruck entsteht, Männer führen das Leben eines entrechteten Sitzpinklers: Auch Frauen bringen in einer Lebensgemeinschaft Opfer, und zwar immense. Als erstes verabschieden sie sich von dem, was man im Allgemeinen das "ästhetische Empfinden" nennt. Es gibt nur wenige weibliche Wesen, die es mit souveräner Miene ertragen, wenn der Mitbewohner mit seinem Frühstücksmesser in der Kaffeetasse rührt, seine Klamotten häufchenweise und nach Geruchsintensität sortiert und die Dusche als Wassersport-Funpark missbraucht.

Das größte Opfer bringen Frauen, indem sich ihre äußere Erscheinung von eben diesem ästhetischen Empfinden verabschiedet. Zusammenwohnen macht Frauen nämlich dick. Sobald ein Paar zusammenzieht, wird er dünner und sie nimmt zu. Und warum? Weil sich beide der Ernährungsweise des anderen anpassen. Davon profitiert jedoch nur der Mann, der dadurch auch mal mit Obst und Salat in Berührung kommt - während sich die Frau immer öfter zu Hamburger und Currywurst hinreißen lässt.

Eines Abends dann muss sie sich anhören, dass ihre Schenkel zu dick seien und er seine Freiheit braucht. In diesem Fall wäre es klüger gewesen, den Mitbewohner gleich mitsamt seiner Pokalsammlung im Keller verschwinden zu lassen. Dass Frauen das nicht tun, ist wirklich unheimlich nett von ihnen. Dafür kann man schonmal den Klodeckel schließen.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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