Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Unglaublich, diese Ähnlichkeit!

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Ein Bild von einer Familie und die große Frage, wer wem ähnlich sieht. (Foto: Stephanie Wunderlich)

Kommt die Familie zusammen, beginnt oft nervtötende Orakelei: Wer sieht wem ähnlich? Das ist umso schlimmer, wenn man nicht mit jedem Verwandten gerne die Gene teilt.

Von Katja Schnitzler

Der Mutter graute vor dem Familientreffen. Was nicht an der Verwandtschaft an sich lag. Alle, die den runden Geburtstag des Onkels feiern wollten, hatten zwar ihre Marotten. Doch diese waren liebenswert. Bis auf eine.

Diese eine üble Angewohnheit hatte die Mutter schon genervt, als sie selbst noch ein Kind war: Wann immer sie auf die liebe Verwandtschaft getroffen war, lautete die erste Frage nicht: Wie geht es dir (im Kindergarten, in der Schule, der Pubertät)? Stattdessen kam immer - immer! - der Zweiklang: "Bist du aber groß geworden!" ( Ja, Oma, in den letzten drei Wochen bin ich bestimmt zehn Millimeter gewachsen ...) Und: "Jetzt sagt mal, wem sieht das Kind ähnlich?" ( Mir, nur mir sehe ich ähnlich! Ich bin einzigartig, ein Individuum!)

Damit war das Ratespiel eröffnet. Die Nase? Ganz der Papa! Der Mund? Der gleiche Lippenschwung wie bei der Cousine. Stellt euch doch mal nebeneinander. Ach, schaut nur, das gleiche Kinn haben sie auch! Aber die Haare und die Augen - von wem hat das Kind die nur?

"Wahrscheinlich von Tante Frieda", hatte ihr die Schwester damals gehässig zugezischt und dafür einen Tritt ans Schienbein kassiert. Denn Tante Frieda galt in der Familie schon immer als ein wenig schwierig. Tante Frieda erwartete erstens, dass alle nach ihrer Pfeife tanzten, und zweitens pfiff sie oft. Eigentlich pfiff sie ohne Unterlass. Wer da widerspenstig war, löste drittens eines der berüchtigten Dramen aus: Eine Kaskade an Vorwürfen dies- und jenseits der Gürtellinie, gefolgt von der Drohung: "Dieses Haus betrete ich nie wieder!" Als Kind hatte die Mutter einmal gesagt: "Na, Gott sei Dank!" Tante Frieda fiel in eine vorgetäuschte Ohnmacht und die anwesenden Erwachsenen mahnten: "Familie bleibt Familie!"

Alles in allem war Tante Frieda nicht die Person, deren Gene man sich unbedingt wünschen würde.

Nun also, Jahrzehnte später, mal wieder Verwandtenbesuch. Bei diesem wurden nicht nur Episoden über die mittlerweile verstorbene Tante Frieda zum Besten gegeben, die mit einigem zeitlichen Abstand an Witzigkeit gewonnen hatten. Gleich zur Begrüßung lief auch das bewährte Gesichtserkennungsprogramm an. Diesmal wurde die eigene Tochter gescannt - drei Jahre alt und im besten Trotzalter.

"Schaut nur, sie hat die Nase ihrer Mutter!", rief die Oma erfreut. "Stimmt", sagte der Opa stolz, der seine Nase nun im Gesicht von Tochter und Enkelin wiederfand. "Stimmt nicht", sagte die Mutter, "ich habe meine Nase noch. Hier, mitten im Gesicht!"

"Da hilft dir Humor auch nicht weiter", flüsterte ihre Schwester. Und laut sagte sie: "Aber sonst sieht die Kleine ihrer Mutter nicht ähnlich. Ihrem Vater auch nicht. An wen erinnert sie mich nur ...?" "Halt die Klappe!", zischte die Mutter.

Doch da starrte schon die ganze Verwandtschaftsrunde sinnierend auf das Kleinkind. Dieses starrte aufs Buffet. "Ich will jetzt Kuchen", sagte die Dreijährige. "Später, wenn wir alle sitzen", sagte die Mutter und verspannte sich ein wenig.

"Nein! Jetzt!", rief die Dreijährige und durchbrach entschlossen den Familienkreis. Ihre Mutter eilte hinterher. "Jetzt wasch dir erstmal die Hände!" Sie zog das Kind am Arm. Es brüllte los und erreichte sogleich trommelfellzerfetzende Höhen. Die Mutter ließ wieder los.

Die Dreijährige holte tief Luft: "ICH! WILL! JETZT! KUCHEN!" "Wenn du dich so aufführst, kriegst du gar keinen Kuchen", wütete die Mutter. "Dann komme ich nie wieder hierher!", schluchzte die Dreijährige. "Das war das letzte Mal, dass ich dich irgendwohin mitgenommen habe! Das letzte Mal!", schnaubte die Mutter. Die Verwandtschaft stand und staunte.

"Also irgendwie", sagte die Schwester, "erinnert ihr mich alle beide an Tante Frieda."

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Katja Schnitzler

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