Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Spiel mit dem Essen!

Familien-Kolumne

Es gibt Kinder, die freuen sich nicht nur auf den Kuchen, sondern schlucken auch gesundes Essen widerstandslos. Und es gibt andere, die Vitamine offenbar für überbewertet halten.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Täglich grüßt der Spaghettiberg: Manche Kinder wollen ständig das gleiche Gericht essen. Bis sie es plötzlich verschmähen. Gut, wenn Eltern dann wissen, wie leicht Kinder bei der Nahrungsaufnahme hereinzulegen sind.

Von Katja Schnitzler

Kinder wollen immer das Gleiche: das Ritual beim Zubettgehen, das Kitzelspiel am Morgen und den Schmalspur-Witz, den sie auch beim 699. Mal noch zum Schreien komisch finden. Diese Beständigkeit wissen Kinder auch bei den Mahlzeiten zu schätzen, die deshalb eher das Prädikat einseitig und abwechslungsarm statt gesund und wertvoll bekommen.

Tagein, tagaus zehren die Kinder von Nudeln mit Tomatensoße. Natürlich wollen sie nicht die gute, selbstgekochte all'italiana, die sich im Topf stundenlang zur geschmacksintensiven Sugo verdichtet. Nein! Nur die immergleiche Fertigsoße einer bestimmten Marke darf es sein. Mit dieser würden die Kinder Nudeln auch zum Frühstück essen, wenn die Eltern sie ließen.

Stattdessen handeln die Kinder aus, dass am Morgen alles mit nussiger Schokoladencreme überzogen wird. Nur vom Frühstücksei mit Schokocreme haben sie bald wieder Abstand genommen. Die Eltern hatte schon beim Anblick ein Würgereiz überkommen.

Jahre zuvor hatten sie gelesen, dass Kinder in Japan mit Genuss, wahrscheinlich sogar wohlig schmatzend, Fisch und Algen verzehren würden, weil ihnen der Geschmack von Kleinstkindesbeinen an vertraut sei. Also wollten auch die Eltern diese Zeit nutzen, um den eigenen Nachwuchs mit gesunder, vitaminreicher Kost vertraut zu machen, ein wenig Kalzium inklusive.

Zu Beginn schien alles gutzugehen: Die Kleinen wollten von jeder Gabel kosten, die sich die Großen in den Mund schoben, und kauten alles klein, was sie in die Finger bekamen. Sie hatten die Wahl zwischen Schlucken und Spucken. Irgendwann überwog das Spucken.

Als die Prozedur den Kindern zu blöd wurde, entdeckten sie, dass es einfacher war, die unliebsamen Speisen von vornherein zu verweigern. Dazu gehörten Gemüse (roh oder gekocht), Obst (geschnitten oder am Stück), Fisch (geräuchert oder gegart), Käse (stinkend oder geruchsneutral) sowie Milch (mit oder ohne Kakao). Es blieben Wurst, Schokoladencreme - und Nudeln mit Tomatensoße.

Die Mutter träumte nachts von gewaltigen Dämmen, gegen die sich Millionen Kubikmeter Tomatenmatsch drückten, bis der Wall nicht mehr standhielt und sich die Soßenflut über die Mutter ergoss. Weglaufen konnte sie natürlich nicht, wie es sich für einen ordentlichen Albtraum gehört.

Der Vater ertrug inzwischen nicht einmal mehr den Geruch der Fertigsoße und kippte sie mit Todesverachtung und Wäscheklammer auf der Nase über die Nudelteller. Schon lange verdächtigte er die Hersteller, Stoffe unter die Tomaten zu mischen, die Kinder süchtig machen. Hundefutter-Hersteller kannten diesen Trick schon lange, hatte er gehört.

Doch dann, eines Tages, wurde alles anders.

"Nein, meine Nudeln ess ich nicht", sagten die Kinder und schoben Teller, Pasta und Soße weit von sich.

"Wenn du deine Kinder liebst, manipuliere sie"

"Wie jetzt?", fragte die Mutter, die gerade versuchte, auch für die 395. Tomatensoßendose noch einen Platz in der Vorratskammer zu finden und die Tür dann fest zudrückte. "Sind die Nudeln kalt, soll ich sie euch noch mal warm machen?"

"Nein", riefen die Kinder, "die Nudeln schmecken uns nicht!" "Aber die esst ihr doch immer." "Aber jetzt nicht mehr."

"Aber ... was wollt ihr denn dann essen?" "Wissen wir nicht. Das nicht mehr. Nie mehr!"

An diesem Abend gingen sie hungrig ins Bett. Die Mutter hatte einen Tobsuchtsanfall bekommen. Dabei war sie an die Vorratskammertür gestoßen, die aufsprang. Das brachte erst die 395. Tomatensoßendose zu Fall, die anderen folgten.

Der Trick mit dem Essen

Am nächsten Tag das gleiche Hunger-Spiel, ebenso am dritten. Die Kinder verschmähten Schnitzel, Nudeln mit Parmesan, Gemüsesuppe und sogar Pommes frites. Dem Suppenkaspar waren nur vier Tage geblieben, am fünften endete seine tragische Geschichte.

Die Mutter rang sich dazu durch, ihre ältere Schwester anzurufen. Diese erzog demonstrativ erfolgreich drei wohlgeratene und -genährte Kinder und hatte bislang nur ungefragt Ratschläge erteilt. Doch dies war ein Notfall, da konnte man auf Stolz oder Geschwisterrivalität keine Rücksicht nehmen.

"Was du nicht beachtet hast", dozierte die ältere Schwester, "sind die Grundlagen einer gesunden Ernährung!" Die Mutter protestierte, schließlich hätte sie nur zu gerne mit abwechslungsreicher Kost für den nötigen Tagesbedarf an Vitaminen und Kalzium gesorgt, nur ...

"Die Grundlagen sind", unterbrach die ältere Schwester, "Spieltrieb und Futterneid!" Verschwörerisch senkte sie die Stimme: "Du musst lernen, das auszunutzen. Wenn du deine Kinder liebst, manipuliere sie!"

Gleich am nächsten Tag probierte die Mutter die erste Stufe der Manipulation aus: lustige Ess-Gesichter, mit Gurken-Augenbrauen, Tomaten-Ohren, Wienerwurst-Nase und Gelbwurst-Mund sowie Käse-Augen mit Erbsen als Pupillen. Unter allen Gesichtsteilen verbarg sich Bio-Vollkornbrot.

Die Kinder aßen die Wienerwurst-Nase und den Gelbwurst-Mund und spielten mit dem Rest.

Die Mutter rang eine halbe Stunde mit ihrem Stolz, dann rief sie die ältere Schwester noch mal an. "Dann spiel den zweiten Trumpf aus: Futterneid durch künstliche Verknappung, gepaart mit Spielanreizen. Da können selbst deine Kinder nicht widerstehen." Die Mutter überhörte den Unterton im letzten Satz und bedankte sich für den Rat.

Bei der nächsten Mahlzeit stand vor jedem Kind ein Teller mit einem Wurstbrot, das in Stücke geschnitten und zum Empire State Building angeordnet war. Oben auf der Spitze thronte jeweils ein King Kong aus schwarzen Oliven. Doch das Entscheidende fehlte noch.

Wer bekommt mehr?

Die Mutter tat das ganz beiläufig, als sie nur einen Teller zwischen die Kinder stellte. Darauf türmten sich kleingestückelter Käse, Gurken, Paprika und Karotten. Dann drückte sie jedem einen Zahnstocher in die Hand: "Bitteschön, zum Aufpieksen. Aber: Der Teller ist für euch beide."

Sie konnte gerade noch die Hand zurückziehen. Hektisch stopften sich die Kinder Käsewürfel in den Mund und ließen dabei ihren Kontrahenten nicht aus den Augen: Kaute der schneller? Bekam er mehr? Als sie anfingen, vier Stücke auf einmal auf den kleinen Zahnstocher zu spießen, gewann das Schauspiel noch an Dynamik.

Der Teller zwischen ihnen war in zwölf Sekunden leer. Vom Empire State Building aus Wurstbroten schafften beide nur noch die Spitze.

Was sind Ihre Essens-Tricks? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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