Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":"Sieht aus wie Franz Josef Strauß"

Familien-Kolumne

Die liebe Verwandtschaft steht bereit, das neue Baby zu begrüßen.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Wenn die Familie ein neugeborenes Baby willkommen heißt, sagen nicht alle Verwandten, was sie wirklich denken. Ja, nicht einmal Mütter und Väter. Zum Glück.

Von Katja Schnitzler

Ein Baby liegt auf der Brust der Mutter und blinzelt in die neue, grelle Welt. "Mein kleines Wunder", flüstert die Mutter (und denkt: Wie kann es sein, dass du gerade noch in meinem Bauch warst? Da passt du doch gar nicht rein.). Der Vater umarmt seine kleine Familie vorsichtig und sagt: "Unser kleines Wunder." (Bin ich froh, dass die Geburt vorbei ist - und diese Hilflosigkeit!)

Die Hebamme deckt das nackte Baby mit einem warmen Handtuch zu und bemerkt: "Keine Angst, der verknautschte Kopf und die breitgedrückte Nase geben sich bald. Ist einfach zu eng, so ein Geburtskanal." (Nach der Geburt sehen doch alle dem Klitschko ähnlich). Die Mutter fragt, verständnislos und hormonberauscht: "Wie, verknautschter Kopf?" (Von wegen, mein Kind ist perfekt!). "Hm", macht der Vater, ratlos (An wen erinnert mich diese Nase nur?).

Er fotografiert das kleine Wunder und schickt das Bild über die digitale in die analoge Welt, um die frohe Kunde zu verbreiten. Kurz darauf kündigt sich die neugierige Verwandtschaft an.

Um 14:10 Uhr am nächsten Tag klopft es an der Tür, herein drängt die Verwandtschaft. Alle auf einmal. Die Omas lassen die Mutter links liegen und stürzen zum Neugeborenen-Bettchen. "Und, sieht es mir ähnlich?", ruft der eine Opa und versucht, einen Blick auf das Enkelkind zu erhaschen. "Ein wenig", sagt die Oma (Zum Glück überhaupt nicht!).

Der Vater schiebt das Bettchen zur Seite, so dass sich alle darum scharen können. Nur die Mutter verliert den Blickkontakt und wird instinktiv ein wenig nervös. "Seht nur, die süße Stups... äh, diese Nase", sagt die Oma (Ganz schön breit für so ein kleines Gesicht). "Ja, und die langen Finger. Das wird mal ein Klavierspieler", sagt die Tante (Diese Händchen haben ja schon was Spinnenartiges).

"Ich finde, es sieht ein bisschen aus wie Onkel Theobald", sagt die Cousine (Nicht nur ein bisschen, das ist Onkel Theobald reloaded! Bis auf die Nase vielleicht.)

Ich tu ihm noch weh!

"Darf ich es in den Arm nehmen?", fragt die Oma väterlicherseits. "Natürlich", sagt der Vater, die Mutter nickt (Lass es ja nicht fallen!). Der Vater hebt das Baby empor, die Zeigefinger stützen den Kopf, der auf die Schultern sackt, welche wiederum die Backen nach oben schieben. "Mei", sagt der Onkel (Sieht aus wie Franz Josef Strauß. So ganz ohne Hals.)

Die Oma väterlicherseits wiegt das Enkelkind zärtlich (Es hat mehr von unserer Familie. Bis auf die Nase). Die Großmutter mütterlicherseits steht bereit, es ihr baldmöglichst abzunehmen (So eine Nase hat aber niemand von uns). "Die Nase bleibt nicht so breit", sagt der Vater. "Bist du da sicher?", fragt der Onkel.

Es klopft kurz und heftig, die beste Freundin der Mutter stürmt herein, umrundet den Pulk um das Baby und herzt die Mutter: "Meine neue Lieblings-Mama! Gratuliere, du hast dich ja tapfer gehalten!" (Zum Glück wird vor allem das Baby fotografiert.) Sie umarmt auch den Vater und drängt sich dann in den Kreis der Verwandten. "Ganz die Mama", sagt sie und zwinkert der Mutter zu. Die Verwandtschaft väterlicherseits grummelt ein wenig (Von wegen!), ist aber höflich genug, nichts zu sagen.

Dann stutzt die Freundin. Diese Nase! Kommt ihr irgendwie bekannt vor. (Bei wem hab ich die schon gesehen ... dieser Schauspieler ... nein ... der Yoga-Lehrer ... nein ... Moment, hat nicht der Lieblingskollege der Mutter ... Sie hat doch nicht ... Nein!) Die Freundin blickt auf und seufzt erleichtert (Natürlich, ganz eindeutig die Nase des Vaters!).

"Jetzt hältst du es mal", sagt die Oma väterlicherseits entschieden und reicht dem Onkel das Kind. Er hatte es versäumt, sich rechtzeitig in die zweite Reihe zurückzuziehen. "Ich weiß nicht", sagt er (Ich tu ihm noch weh! Es geht kaputt!). Die Oma legt ihm sacht das Kind in den Arm. Der Onkel steht stocksteif da und fängt an zu schwitzen. Die Mutter ist bereits schweißnass (Lass! Mein Kind! Nicht! Fallen!). "Steht dir gut", meint die Oma (Ich will noch ein Enkelkind.)

Das Baby schreit, der Onkel fährt zusammen (Hilfe!), der Vater nimmt ihm das Baby ab und bringt es zur Mutter (Endlich). Die Verwandtschaft verabschiedet sich vor dem Stillen. "Wir sehen das Kind ja noch öfter in den nächsten Jahrzehnten", scherzt der Opa (Leider bleibt es nicht so niedlich).

In der Krankenhaus-Cafeteria sind sich alle einig: "Ein ausgesprochen süßes Baby." (Bis auf diese Nase!)

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

Und alles zum Thema Erziehung von Babys bis hin zu Jugendlichen finden Sie im Erziehungsratgeber.

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