Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Schrottreife Schätze

Seit dem Ende der Steinzeit bevorzugen Eltern luftiges Wohnambiente statt übervoller Höhlen, in denen jedes Ding gehortet wurde, das man vielleicht noch brauchen könnte - oder auch nicht. Kinder sehen das ganz anders, vor allem zur Flohmarktsaison.

Von Katja Schnitzler

Adam und Eva, so lautet eine nie in der Bibel verewigte Theorie, losten nach dem Rauswurf aus dem Paradies mit Grashalmen aus, wer von ihnen Jäger und wer Sammler sein sollte. Je nach Sichtweise zogen Frauen oder Männer den Kürzeren: Eva und ihre weiblichen Nachkommen sammelten Beeren, Wurzeln und Kräuter, manchmal auch einen unvorsichtigen Hasen ein. Das war langweilig, dafür blieben sie in der Nähe der halbwegs sicheren Höhle.

Adam und seinen Söhnen hingegen fiel die Rolle der Jäger zu, sie durften hinaus in die weite Welt, in der sie allerdings oft selbst zur Beute wurden. So blieb die Einteilung über Jahrtausende. Spätestens mit der Computerisierung jedoch gab es keine schweren Hirsche mehr zu schultern, sondern nur noch Denkaufgaben zu stemmen.

Was wurde also aus den Jägern und Sammlerinnen in Zeiten der Gleichberechtigung? Beide jagten nun nach beruflichen Erfolgen - messbar in Bits, Bytes und Honoraren - und sammelten Bio-Gemüse für das gemeinsam zubereitete Mahl am Induktionsherd. Ansonsten stellten die Eltern das Sammeln weitgehend ein, so dass einige das Architektenideal einer leeren Wohnung beinahe erreicht hätten. Wären die Kinder nicht.

Diese lebten das irgendwo in den Genen verankerte Sammeln weiterhin hemmungslos aus. Doch statt Beeren und Hirschen brachten sie Dinge nach Hause, die nur in ihren Augen Schätze waren. Auch die Eltern bedachten diese Dinge mit Ausdrücken, die mit "Sch" begannen, wobei "Schrott" noch der netteste war.

In den vollgestopften Kinderzimmerhöhlen der Moderne hätte sich jeder Steinzeitmensch heimisch gefühlt - es roch sogar dumpf nach grauer Vorzeit, schließlich wurden dort nicht nur die frischesten Materialien gehortet.

Zweimal im Jahr feierten die Kinder eine Art heidnisches Schlachtfest: im Frühjahr und Herbst zur Sperrmüllsammlung. Dann eilten die Kinder von Haufen zu Haufen, im Wettlauf mit anderen minderjährigen Jägern und Sammlern. Für die offiziellen Sperrmüll-Entsorger blieb nicht mehr viel.

Zur selben Zeit fanden auch noch Flohmärkte statt. Am Anfang hatten die Eltern den Fehler gemacht, ihre Kinder dorthin mitzunehmen. Die Absicht war eine gute: Tochter und Sohn sollten mit einem festen Betrag den Umgang mit Geld lernen, erste eigene Geschäfte tätigen, ohne dabei Unsummen in Markenspielzeugläden zu lassen. Ein schöner Plan, der aber nicht ganz aufging.

Beide Kinder hatten ihr Budget in den ersten zweidreiviertel Minuten verschleudert und waren nun stolze Besitzer eines garstigen Seeungeheuers ("Für unsere Badewanne!") und eines kitschigen Plastikeinhorns in augenpeinigenden Farben. Diese Scheußlichkeit offenbarte mit durchdringendem Gestank ihr Potenzial, auch nach jahrelangem Gebrauch noch Kinder zu vergiften.

Hätten Mutter und Vater nun ihre Kinder an sich gefesselt und zwischen den Flohmarktständen vom Gelände gezerrt, wäre es bei diesem Geschäft geblieben. Doch die Eltern fühlten angesichts gut erhaltener Markenkinderkleidung ihre eigene, eigentlich unterdrückte Sammelleidenschaft hochkochen. So stimmten sie gedankenlos zu, als die Kinder meinten, sie wollten sich nur noch ein wenig umschauen. Eine solche Unaufmerksamkeit hätte die Eltern in der Steinzeit das Leben kosten können, nun kostete es sie den letzten Nerv.

Alle zwanzig Sekunden standen die Kinder wieder vor ihnen und schwärmten von Schätzen, die sie entdeckt und ohne die sie nun leider nicht weiterleben könnten. Ob sie vielleicht das Taschengeld der kommenden Wochen beleihen könnten? Bitte, bitte (mit manipulativem Hundeblick, stets unwiderstehlich).

Freudig kehrte der Sohn mit seinem als gigantisch beschriebenen DI-NO-SAU-RIER-SKELETT zurück, für das der Verkäufer (auch noch ein erwachsener, der durchtriebene Flohmarkt-Kapitalist!) zwei Euro verlangt hatte. Der Dinosaurier entpuppte sich als daumengroß und war höchstens fünfzig Cent wert, eher zwanzig.

Auch die Tochter strahlte ob ihres Kaufs. Doch hielt sie nicht das günstige und platzsparende Nintendo-Spiel unter dem Arm, das sie angeblich erstehen wollte ("Viel billiger als im Laden!"). Sondern einen riesigen, ehemals weißen Plüschhund auf Rollen. Mit einer knallrosa Leine. Natürlich konnte er kläffen, der Köter, und das laut. "Ihr habt doch gesagt, ihr kauft mir so einen nicht. Da habe ich ihn mir eben selbst gekauft!"

Der Mutter blieb der Mund offen stehen, der Vater dachte an die Kinderwohnhöhle und stöhnte: "Wo soll der denn noch hin?"

"Du kennst doch die Lücke unter meinem Schreibtisch, in die ich immer meine Füße stelle?", sagte die Tochter fröhlich. "Da passt er genau rein."

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