Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Nicht noch ein Weihnachtsspiel

Familien-Kolumne

Vor Weihnachten entspannt mit der Familie zusammen sein? Diese schöne Vorstellung scheitert am Termindruck.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Der Advent soll besinnlich sein, ist es aber nicht. Am wenigsten für Eltern, deren Kinder bei Weihnachtsfeiern zeigen, was sie gelernt haben. Leider müssen Mütter und Väter nicht nur den Termin-Wahnsinn organisieren.

Von Katja Schnitzler

Die Tochter hatte bei der Rollenvergabe für das Weihnachtsspiel in der Schule eine Niete gezogen, jedenfalls aus Sicht der Mutter. Nicht Maria sollte sie darstellen, keinen Engel oder Hirten: Ein Schaf musste es sein. Das bescherte der Tochter wenig Text und der in Bastel- und Schneiderdingen minderbegabten Mutter eine kaum zu bewältigende Zusatzaufgabe: "Ich brauche ein Kostüm!", ruft die Tochter. Auch das noch.

Der Dezember ist für Familien der stressigste Monat, gefolgt vom Juli, dem Abschlussfeiern die sommerliche Leichtigkeit nehmen. Im Dezember müssen die Kinder zeigen, was sie können und wofür ihre Eltern die Gebühren für Musik-, Tanz- und Turnstunden zahlen. Auch dass die Schule nicht nur zum Lernen da ist, wird mit einer Aufführung bewiesen (für die Kinder seitenweise Text auswendig lernen, sofern sie keine Schafe sind).

Von den Eltern wird dabei mehr erwartet, als die mindestens fünf Termine pro Kind nicht zu vergessen. Sie müssen auch für die Ausstattung sorgen. Das schließt Kostüme, Getränke und Weihnachtsgebäck mit ein.

Leider ist im Dezember keine Zeit zum Backen. Für Besinnlichkeit auch nicht. Nur die Organisationsfetischisten unter den Eltern freuen sich auf den Advent, alle anderen fürchten ihn zu Recht.

Und sie dürfen nicht einmal darüber klagen, schließlich ist es wenig sympathisch, wenn ein Vater seufzt: "Jetzt muss ich schon wieder früher aus der Arbeit, nur um mir schmerzhaft schiefe Geigentöne anzuhören - und das nicht nur von meinem eigenen Kind!"

Nein, man muss sich mit den Nachwuchsmusikern freuen: "Sprich lauter, mein Kleines, ich höre plötzlich so schlecht ... ja, du hast wunderbar gespielt!"

Morgens fragt die Tochter: "Hast du schon mein Schafkostüm gemacht?" Abends fragt sie: "Ist mein Schafkostüm schon fertig?"

Die Mutter hatte an diesem Tag Schokoladennikoläuse besorgt, Walnüsse und Mandelkerne, die Geschenke für Omas, Opas, Tanten, Onkel, Cousins, Nichten und Neffen (alle Präsente müssen noch verpackt, verschickt, beschriftet und dürfen nicht verwechselt werden) und hatte Mitfahrgelegenheiten zu den diversen Generalproben der kommenden Auftritte ihrer Kinder gesucht. Ach ja, im Büro war sie auch noch.

Der Vater hatte an diesem Morgen kleine Gaben für die Erzieherinnen im Kindergarten, für die Tanz-, Musik- und Nachhilfelehrer besorgt und lange nach einem Geschenk für seine Frau gesucht, aber keines gefunden. Am Nachmittag verließ er das Büro überstürzt, weil er mehrere Kinder zu einer Generalprobe fahren musste und vergaß, dass er mit den Kollegen hätte Weihnachten feiern sollen, um den Teamgeist zu stärken.

Weder Vater noch Mutter hatten ein Schafkostüm gebastelt. "Wieso hast du mein Kostüm noch nicht gemacht? Kannst du das nicht?"

Wann ist endlich Weihnachten?

Ich kann nicht mehr, denkt die Mutter, während sie in den Kindergarten hetzt, um in einem viel zu kleinen Raum mit viel zu vielen Menschen gemütlich beisammen zu sein.

Wann ist endlich Weihnachten, denkt der Vater, der zeitgleich die Teenager-Tochter bei der Hip-Hop-Tanzaufführung bewundert. Die Tochter will aber von der Mutter bewundert werden, die sich sowieso immer nur um die Kleinen kümmert, und straft den Vater mit Missachtung.

"Und mein Schafkostüm?", fragt die Grundschul-Tochter beim Abendessen. Die Mutter ist den Tränen nah, der Vater verspricht, die Situation zu retten. Gleich am nächsten Tag will er zu seinem Chef gehen.

"Sie können doch nicht jetzt Urlaub nehmen, so kurz vor Weihnachten!", sagt der Chef und schubst den Vater in Gedanken von der Karriereleiter. Er ist sowieso in letzter Zeit unaufmerksam, ja unzuverlässig geworden. Und geht so oft so früh nach Hause.

Noch ein Tag bis zur Weihnachtsaufführung in der Schule, dazwischen liegen das gemeinsame Weihnachtssterne-Basteln im Kindergarten, der Aufbau für den Christkindlmarkt und der Elternabend für Kommunionskinder. Dieses verflixte Schafkostüm!

In einem Moment der Schwäche klagt die Mutter doch ihr Leid. "Ach", sagt die Nachbarin da gelassen, "ich habe noch ein Kostüm. Mein Sohn hat mal als Shaun, das Schaf, Fasching gefeiert. Soll ich dir das leihen?" Manche Engel wohnen nebenan.

Bleibt noch das Problem mit den Plätzchen, "möglichst selbstgebacken" stand auf der Einladung. Die Mutter bringt das Kind zur Ballett-Generalprobe am Nachmittag und eilt in die Bäckerei um die Ecke. In der Auslage werden nur wahre Teig-Kunstwerke feilgeboten. Ratlos steht sie da, die Uhr tickt, da winkt die Verkäuferin sie zu sich heran: "Sie wollen doch ganz was anderes, oder? Etwas ...", die Verkäuferin schaut sich um, beugt sich noch weiter vor und senkt die Stimme, "... Selbstgebackenes?"

Sie zieht die Mutter zur Seite und öffnet in der hintersten Ladenecke eine große Schublade. Sie ist voll mit unperfekten, aber liebevoll verzierten Plätzchen. Solche würde die Mutter backen, wenn sie dazu käme. "Dazu empfehle ich unser Spray 'Backmischung', täuschend echt auch als Deo", wispert die Verkäuferin. Die Mutter kauft drei große Tüten selbstgebackener Plätzchen und ein Back-Deospray.

Am nächsten Tag sprühen sich Mutter und Vater kurz vor der Weihnachtsfeier ausgiebig damit ein und duften wie die Weihnachtsbäckerei. Diese olfaktorische Tarnung muss ihre etwas derangierte Erscheinung (zum Bügeln war keine Zeit) sowie die dunklen Ringe unter den Augen wettmachen.

Als sie die Aula betreten, riecht es nicht nach Schule, sondern wie in einer Backstube. Die Eltern - alle wirken etwas aufgelöst, duften jedoch nach Frischgebackenem - liefern am Büfett Tüten mit unperfekten, aber liebevoll verzierten Plätzchen ab.

Dann lassen sich die Eltern ermattet auf die Stühle fallen und betrachten ihre aufgeregten Kinder auf der Bühne in den mal mehr, meist weniger gelungenen Kostümen. Shaun, das Schaf, sticht irgendwie aus der Herde hervor, doch das ist egal.

Es wird ein schönes Weihnachtsspiel. Als am Schluss das Licht gedimmt ist und alle gemeinsam "Stille Nacht" singen, fassen sich Mutter und Vater an der Hand. Ihnen wird ganz seltsam zumute. So besinnlich. Vielleicht ist das aber nur die Erschöpfung.

Wie bewältigen Sie den Terminstress vor Weihnachten? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

Auf SZ.de erscheint immer montags die Familienkolumne über das Zusammenleben von Eltern, Kindern und Großeltern, aber auch Tanten und Onkeln, Cousins, Nichten, Neffen - eben allen, die das Familienleben bereichern, erleichtern oder auch ein bisschen komplizierter machen.

Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

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