Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Leiden mit den Talentfreien

Familien-Kolumne

Sie malen wunderschön, können aber keinen Ball geradeaus schießen: Irgendwann stößt jedes Kind an die Grenzen seiner Fähigkeiten.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Irgendetwas kann jeder Mensch gut, aber perfekt ist keiner - selbst das eigene Kind nicht. Es wird sicher niemals in die Fußball-Nationalmannschaft gewählt, aber wenigstens auf dem Pausenhof könnten es die anderen doch mitspielen lassen. Andere scheitern nicht am Mannschaftssport, sondern an der Poesie.

Von Katja Schnitzler

Niemand auf dieser Welt ist wirklich talentfrei. Der eigene Nachwuchs glänzt sogar mit einer Vielzahl hervorragender Eigenschaften. In mindestens ebenso vielen Disziplinen wird es jedoch niemals zum Weltmeistertitel reichen - was sogar die Eltern bei aller Liebe irgendwann einsehen. Und so gibt es immer wieder Situationen, mit denen die Kleinen nicht zurechtkommen.

Zwar wachsen sie wohl auch daran, wenn sie sich Herausforderungen stellen, an denen sie scheitern. Doch für Eltern ist es nicht schön, ihnen dabei zusehen zu müssen.

Im Kindergarten zum Beispiel, wenn die anderen den Pflichtwebrahmen an drei Vormittagen mit Vergnügen gefüllt haben, während das eigene Kind mehr knotet als webt und bereits Albträume von Wolle und Fäden hat.

Später müht sich der Sohn, den Ball wenigstens einmal bei drei Versuchen zu treffen, um im Pausenhof aus der Außenseiterecke heraus und endlich ins Spielfeld zu kommen. Denn Jungs, die kein Fußball mögen, haben zumindest in der Grundschule ein Problem mit dem sozialen Anschluss. Da hilft es nicht, dass der Vater mit seinen erwachsenen Freunden auch nicht kickt, sondern lieber zum Mountainbiken geht. Diese Wahlfreiheit haben Kinder in ihrem engen sozialen Korsett nicht.

Wenn sie Glück haben, beeindruckt es die Klassenkameraden ein wenig, dass der Sohn dafür ein meisterhafter Star-Wars-Laserschwertkämpfer ist. Wenn nicht, weiß er sich wenigstens zu verteidigen. Zumindest gegen einen der zehn anderen Fußball-Cliquen-Jungs in der Klasse.

Man kann sich seine Talente nicht aussuchen, und oft sind die Kinder auch einfach genetisch versaut: Von dem Nachwuchs einer Informatikerin und eines Mathematik-Dozenten muss man keine ausgefeilten, lyrischen Zeilen erwarten. Leider lässt die Deutschlehrerin die Ausrede mit der Desoxiribonukleinsäure nicht gelten, sie unterrichtet schließlich nicht Biologie. Und fordert ein Gedicht, aber bitte mit Gefühl. Das Thema: Februar.

Nicht zum Dichter geboren

"Das ist ein weites Feld", könnten die Eltern sagen, wenn sie sich jemals für Literatur hätten begeistern können. Stattdessen erinnert sich die Mutter an ihr persönliches, lange zurückliegendes Scheitern, ebenfalls in der vierten Klasse: Die Aufgabe lautete, über das schönste Ferienerlebnis einen Aufsatz zu verfassen. Sie hielt es kurz und nüchtern: "Ich habe nichts erlebt, hatte aber trotzdem schöne Ferien." Zum Glück stand die glatte Sechs ihrer weiteren Karriere nicht im Weg. Aber dieser familiäre Erfahrungsschatz half ihrer Tochter nun auch nicht weiter. Eine quälend lange Stunde und zehn Minuten später stand oben auf dem Blatt:

Februar, Februar, Februar / Ja der Februar, der ist da. Yeah! /

Februar, Februar, Februar ist da! / Yippie, Yippie, Yeah! Der Februar, der ist da!

Den unteren Teil des Blattes durchnässte die Tochter mit ihren Tränen ob der Erkenntnis, dass ihre dichterischen Fähigkeiten erschöpft waren, die Lehrerin sich aber wohl etwas anderes vorgestellt hatte. Die Eltern litten mit, trösteten und schrieben ins Hausaufgabenheft: Die Tochter habe sich sehr bemüht, ihr Bestes gegeben, aber mehr war nicht drin.

Wie schade, aber bitte noch mal das Ganze, schrieb die Lehrerin zurück. Am Abend saß die ganze mathematisch hochbegabte Familie am Tisch und reimte sich mit vereinten Kräften und nur wenig Suchmaschinenhilfe einen passablen Februar-Vierzeiler zusammen. Ein Erlebnis, das verbindet.

Wenn im Schneematsch Menschen stapfen / Und der Bäcker bäckt die Krapfen /

dann ist allen Kindern klar / Da ist er ja, der Februar!

Als die Tochter erleichtert im Bett schlief, lehnten sich die Eltern erschöpft auf dem Sofa zurück. "Zum Glück", sagte der Vater, "muss sie sich später mal nicht in Versform bewerben."

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

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