Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Kein Raum für Kreativität

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Sie malen und basteln ohne Unterlass, die begabten Kleinen. Doch wohin mit den vielen Kunstwerken? (Foto: Stephanie Wunderlich)

Schön, wenn Kinder basteln, bauen, malen: Die Phantasie braucht Raum. Die fertigen Kunstwerke leider auch. So wird die viel zu enge Wohnung zur Dauerausstellung und Stolperfalle.

Von Katja Schnitzler

Auf dem Weg liegt ein Stock. Manche Kinder (die wenigsten) sehen ihn, denken "ah, ein Stock", und gehen weiter. Andere Kinder heben ihn auf und haben nun eine handliche Vielzweckwaffe (Säbel-Gewehr-Axt-Doppellaserschwert), mit der sie spielend die Keine-Waffen-als-Spielzeug-Regel der Eltern aushebeln.

Wieder andere Kinder sammeln nicht nur den Stock ein, sondern noch achtzehn weitere, dazu Moos, Blätter, einen weggeworfenen Drahtbügel, eine halb zerfetzte Plastiktüte sowie Styroporreste und alte Bretter von der nahen Baustelle. Daraus bauen sie ein Raumschiff/eine Kutsche/ein trojanisches Pferd und sprengen mit dem Phantasiegerät die Grenzen der Realität. Und die des familiären Wohnraumes.

Dass dieses Meisterwerk nicht einfach nach dem Spiel entsorgt werden kann, sehen sogar die Eltern ein. Schon deshalb, weil es nicht in den Container passt. Sie hatten da so ihre Erfahrungen gemacht mit dem Vorgänger-Modell, nachdem der Sohn das Interesse an seiner selbstgebauten Lokomotive verloren hatte, in die außer ihm noch drei Nachbarskinder passten und die aus dem Kinderzimmer in den Flur ragte. Im Schutze der Dunkelheit hatten die Eltern den Zug in den Restmüll-Container gewuchtet. Der Schornstein ("Ein Plastikrohr, wer wirft denn so etwas weg? Wer?", hatte der Sohn gefragt) ragte heraus.

Eine Viertelstunde später stand der Hausmeister vor der Tür, erzürnt. Sein Sohn hatte gepetzt, wem die Lok gehörte. Seitdem waren die Eltern bei den Mitarbeitern des nächstgelegenen Wertstoffhofes namentlich bekannt, ihr Auftauchen sorgte für eine willkommene Abwechslung: Was haben Sie uns dieses Mal mitgebracht? Ein U-Boot? Einen Drachen? Einen Drachen mit Burg?

Wenn die Eltern heute nach Hause kommen, arbeitet der Sohn schon an einem neuen Gebilde. Es riecht streng, weil das Kind die mittig verbaute leere Fischdose nicht ausgewaschen hat. Mit solchen Nebensächlichkeiten halten sich Künstler nicht auf.

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Auch die Familie nebenan profitiert von der unstillbaren Kreativität ihres Nachwuchses: Sie muss keinen Gedanken daran verschwenden, ob die Zimmer einen neuen Anstrich benötigen. Denn von den Wänden ist nichts zu sehen - ihre Tochter will Malerin werden, "eine berühmte!". Bis es so weit ist und das MoMA in New York ein paar Tausend Quadratmeter Fläche für sie freiräumt, nutzt die Nachwuchskünstlerin das Zuhause als Galerie.

"Ihr habt doch gesagt, dass euch meine Bilder gefallen", hält die Tochter den Eltern entgegen, wenn sie diese zwar nicht in ihrem Schaffens-, aber doch ein wenig in ihrem Ausstellungsdrang bremsen wollen.

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Kommt Besuch, präsentiert das Kind stolz seine künstlerische Entwicklung bei einem Gang durch die Wohnung, angefangen im Flur (die Blaue-Kopffüßler-Phase) bis hin zur Sofaecke (die Rosa-Feen-Phase). Die Meinung der Ausstellungsbesucher ist geteilt: Die Großeltern sind begeistert, die Tante hingegen stellt fest: "Ich könnte so nicht wohnen."

Die Tochter ist verletzt, ihre Eltern bereit zur Verteidigung von Kind, Erziehungs- und Wohnstil, da grätscht die Großmutter ein: "Kein Wunder, dass es dir nicht gefällt. Du hattest ja schon früher keinen Sinn für Kunst." Die Tante, nun ebenfalls gekränkt, verstummt. Sie denkt an ihre Mitleidsnote Vier im schulischen Kunstunterricht. Doch sie wird es den Großeltern zeigen, der Tag ist nicht mehr fern.

Noch ist der Sohn der Tante zu klein, aber von Freunden weiß sie, dass von einem gewissen Alter an ein steter Strom an selbstgebastelten Werken aus den Kindergärten einsetzt. Einen Anlass gibt es immer: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, Weihnachten, Fasching, Ostern, Wir-lernen-Schneiden, Wir-lernen-Falten, Wir-lernen-Wattebäusche-auf-buntes-Papier-zu-kleben.

Alle diese Gaben will die Tante dann mit herzlichen Grüßen an die ach so kunstsinnigen Großeltern weitergeben! Und während ihr Sohn seine künftigen Gemälde gerne bei sich im Zimmer aufhängen darf ("da sehe ich es ja auch"), würde sie sich entspannt in die moderne Leere ihres Wohnzimmers zurücklehnen.

Nur eines macht ihr Sorgen: Ihr Sohn hat gestern beim Spazierengehen einen Stock entdeckt. Und ihn unter Aufbietung all seiner Kleinkindkräfte mit nach Hause geschleift. Dort hat er mit Hilfe seiner Kleinkind-Stimmgewalt durchgesetzt, dass der Stock in die Wohnung durfte. Wahre Schätze lässt man schließlich nicht einfach vor der Haustür herumliegen. Und wer weiß, wozu man so einen Stock einmal braucht?

Wohin mit den Bildern und Basteleien der Kinder? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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