Süddeutsche Zeitung

Kolumne Familie und andere Turbulenzen:"Ich will doch nur helfen"

Lesezeit: 5 min

Es ist nicht immer leicht, wenn die Schwiegereltern zu Besuch sind. Vor allem wenn die Schwiegermutter nur eines im Sinn hat: Im Haushalt zu helfen - und ganz nebenbei tiefe Einblicke in die Privatsphäre zu bekommen.

Von Katja Schnitzler

300 Kilometer trennten die Familie und die Großeltern, bisher. 300 Kilometer, die spontanes Babysitten unmöglich machten und gegenseitige Besuche auf wenige Male im Jahr beschränkten. Selten genug, dass sie wieder auseinander gingen, bevor das notorische Einmischen der Großmutter die Nerven der Schwiegertochter überlastete.

Doch 300 Kilometer trugen zur Entspannung bei, und Telefonate ließen sich abkürzen: "Hole jetzt die Kinder ab. Habe einen Arzttermin. Muss zum Karrieregipfel, das verstehst du doch sicher?"

Bis der Mann eines Abends, sie saßen entspannt zu zweit auf der Couch, sagte: "Meine Mutter geht doch in Rente." "Mmhhm", sagte seine Frau und nippte am Wein. "Und meine Eltern wollten dann nochmal zu neuen Ufern aufbrechen, haben sie immer gesagt." "Mmmhhm", sagte seine Frau und dachte ans Ausland. "Jetzt haben sie sich entschieden." "Mmmhm?" "Sie ziehen zu uns."

Seiner Frau fiel das Weinglas aus der Hand.

"Nur für kurze Zeit", beeilte sich der Mann zu sagen und hob das Glas auf. Die Frau rang nach Luft. Und um Fassung. "Nur bis sie eine Wohnung in der Nähe gefunden haben."

Die Frau verlor die Fassung.

"Auf ... gar ... keinen ... Fall!", keuchte sie. "Aber", sagte ihr Mann und rutschte außerhalb ihrer Reichweite, "ich habe schon zugesagt."

(Um das moralische und sittliche Befinden sowie die gute Laune der Leser nicht zu trüben, wurde der nun folgende Streit nicht abgedruckt - wir kommen direkt zu den Schlussworten.)

Sie: "Wie konntest du nur?"

Er: "Wie konnte ich nicht? Schließlich sind es meine Eltern!"

Einen Monat später reisen die Großeltern an. Die Schwiegertochter empfängt sie mit einer handvoll Zettel: "Ich habe schon Wohnungsanzeigen für euch durchforstet", sagt sie mit angespanntem Lächeln. Die Großmutter zieht eine Augenbraue hoch, blättert die Anzeigen durch und lässt auch die zweite Augenbraue nach oben schnellen: "Aber die sind ja alle viel zu weit weg. Wir wollen doch nah bei Euch wohnen. Dann können wir dir endlich mit den Kindern helfen." "Die sind jetzt zehn und zwölf Jahre alt!" "Eben, es wird Zeit", sagt die Großmutter und streicht den Jungen über die Haare. Die Schwiegertochter wirft ihrem Mann einen Blick zu. Er blickt angestrengt auf das Gartenhäuschen, das dringend mal wieder gestrichen werden müsste.

Die Frau ist sprachlos, die Schwiegermutter nicht

Als die Frau am kommenden Tag von der Arbeit nach Hause kommt, trifft sie ihre Kinder und den Großvater auf der Straße. Die Jungen fahren auf neuen Skateboards. Genau solchen, auf die sie seit einem halben Jahr sparten, sich mit kleinen Diensten etwas dazuverdienten, um die Hälfte des absolut überhöhten Kaufpreises beizusteuern. Um den Wert des Geldes schätzen zu lernen, damit sie sich nicht mit Anfang 20 wegen Luxusartikeln in Schulden stürzen. "Aber sie haben es sich so sehr gewünscht", sagt der Großvater, "und wir haben sie ja so selten gesehen. Da wollten wir ihnen eine kleine Freude machen." Er blickt verständnislos. Die Mutter schluckt schwer einen Kommentar hinunter. Wo denn die Schwiegermutter stecke? "Drinnen. Sie hilft dir im Haushalt."

Die Frau stürzt ins Haus.

Ihre Schwiegermutter ist nirgends zu sehen. Aber der silberne Kerzenständer ist poliert, auf Hochglanz. Die Frau hatte ihn jahrelang nicht geputzt, so dass er eine wunderbar altertümliche Patina bekommen hatte.

In der Küche sind die Schränke ausgeräumt und glänzen feucht, alle Türen stehen offen, die Töpfe, Pfannen, Teller auf der Anrichte und auf dem Boden. Auch der empfindliche aber heißgeliebte Couchtisch, der schon Flecken bekommt, wenn jemand mit feuchter Aussprache neben ihm Platz nimmt, ist nass. Die Frau knirscht mit den Zähnen. Da hört sie ein Geräusch aus dem Schlafzimmer. Ihrem Schlafzimmer.

Sie rennt nach oben. Auf dem Bett liegt die gesamte Kleidung. Knitterfrei ist da nichts mehr. Die Schwiegermutter kniet vor dem Schrank und schrubbt die hinterste Ecke. Die Frau ist sprachlos, die Schwiegermutter nicht.

"Da bist du ja endlich, du Arme. Ich habe geschaut, wie ich dir hier etwas abnehmen kann. Diese Schränke wurden ja ewig nicht mehr richtig ausgeputzt. Kein Wunder, wenn ihr so eingespannt seid. Wie hast du das bisher nur alles geschafft?" "Ganz gut", knurrt die Frau und denkt an den lange zurückliegenden Geburtsvorbereitungskurs: Anspannung, Schmerz und Wut einfach wegatmen. Ein. Aus. Tief einatmen. Lange ausatmen. Bei der Geburt hatte es funktioniert. Jetzt nicht mehr.

Die Schwiegertochter wechselt zur Schnappatmung und sagt (in stetig ansteigender Lautstärke, im Nachklang leicht hysterisch): "Wieso reißt du alles heraus? Und durchwühlst SOGAR UNSEREN KLEIDERSCHRANK?" Die Schwiegermutter wirkt ertappt, aber nur kurz: "Also was denkst du denn, für wen ich das mache. Ich bin doch nicht neugierig!" Entrüstet wirft sie den Schmutzlappen in den Schrank und drückt sich an der Schwiegertochter vorbei.

An der Tür dreht sie sich um und sagt mit bebendem Kinn: "Ich wollte doch nur helfen!"

Am Abend sind die Großeltern ins Hotel gezogen ("Wir merken, wenn wir nicht erwünscht sind."). Der Mann versucht, zwischen seinen Eltern und seiner Frau zu vermitteln.

Zu seiner Frau: "Sie meinte es doch nur gut." Wie naiv er eigentlich sei, fragt die Frau, ob er nicht merke, dass sich seine Mutter einfach in alles einmische und in der familiären Privat- ach was Intimsphäre herumtrampele?

Zu seiner Mutter: "Sie meinte es nicht so." Doch, sagt die Großmutter, die Schwiegertochter habe es sehr wohl so gemeint. Und sie noch nie leiden können. Ob er das nicht merke?

Während der Ehemann telefoniert, räumt die Frau wütend die Kleider in den Schrank zurück, stellt Töpfe in Schubladen und versucht, den Couchtisch zu retten. Ihre Laune ist davon nicht besser geworden, ebenso wenig ihre Erkältung. Um Mitternacht liegt sie mit Fieber im Bett. Am Morgen kann sie nicht aufstehen, sie zittert. Doch ihr Mann kann nicht bleiben, die angesetzte Konferenz gilt als äußerst wichtig, und das schon seit Monaten.

Die Frau wirft sich fiebernd im Bett hin und her. Allein die Decke hochzuziehen kostet enorme Kraft. Da hört sie die Türklingel. Und einen Schlüssel, der sich im Schloss dreht. Schritte auf der Treppe. Ein Klopfen, dann öffnet sich die Schlafzimmertür.

"Du bist es?", haucht die Frau.

Ihre Schwiegermutter schaut herein. "Entschuldige mein Eindringen", sagt sie förmlich, "aber mein Sohn macht sich Sorgen um dich und hat mich gebeten, nach dir zu sehen."

Der Frau fehlt die Kraft, sich darüber aufzuregen. Ihre Schwiegermutter mustert sie. "Ich koche dir Suppe", sagt sie, "und ... darf ich dir trockene Sachen heraussuchen?"

Die Frau überlegt kurz. Dann haucht sie: "Du weißt ja, wo alles ist."

Zwei Wochen später haben die Großeltern eine schöne Wohnung gefunden. "Mehr im Zentrum, da sind wir näher am kulturellen Leben", sagte die Schwiegermutter. Immerhin zwanzig Minuten Bahnfahrt entfernt.

Weit genug. Und nah genug.

Wie kommen Sie mit allzu neugieriger Verwandtschaft klar - oder mit Familienmitgliedern, die sich einfach nicht helfen lassen wollen? Verraten Sie uns Ihre Tipps und Tricks in den Kommentaren unter der Kolumne.

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