Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Hände weg!

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Es gibt in Familien Dinge, die würden Eltern gerne für sich behalten. Womit sie ihre Kinder erst recht neugierig machen. (Foto: Stephanie Wunderlich)

Kaum etwas löst in Kindern mehr Entdeckerdrang aus als verbotene Dinge, vor allem wenn sie diese ständig vor Augen haben. Zum Beispiel Handtaschen, deren Inhalt nicht für Kinder gedacht ist.

Von Katja Schnitzler

Kaum waren zwanzig Minuten nach der ersten Aufforderung vergangen, Jacke und Schuhe für den Stadtbummel anzuziehen, schon standen die Kinder fertig vor der Tür. "Wo bleibst du denn, Mama?", fragte der Sohn vorwurfsvoll. "Ich brauche nur noch meine Handtasche", sagte die Mutter. Die Kinder stöhnten laut auf und gingen wieder spielen.

Die Mutter tippte die 25-stellige Zahlenkombination für den Tresor im Flur ein (der Einbau hatte den Platz für den Schuhschrank gekostet, aber wer braucht schon so was?). Dann gab sie eine andere Kombination ein, dieses Mal die richtige, und zerrte ächzend ihre riesige Handtasche aus dem Tresor. Sie scheuchte die Kinder vom Spielzeug fort und hinaus. Die Kinder hüpften den Gehweg entlang, die Mutter schleppte sich und die Tasche mit gebeugtem Rücken hinterher. Andere Mütter erkannte sie von weitem, sie kamen ebenfalls daher wie nach einem Tag harter Arbeit im Steinbruch.

Mit der Zahl der Kinder wächst proportional die Handtaschengröße bei gut sortierten Müttern. Während unbedarfte Kinderlose die Nase rümpfen über die unförmigen Beutel, aus denen Frauen mehr oder weniger gesunde Nahrung und Getränke holen ( die Kleinen werden ja wohl eine Bahnfahrt überstehen, ohne zu verhungern!), wissen Eingeweihte - also Eltern - diese Vorratstaschen zu schätzen ( oder wollen Sie auf der Bahnfahrt neben einem unterzuckerten und daher dauerquengelnden Kind sitzen?).

Für den Nachwuchs ist die mütterliche Handtasche ein Objekt der Begierde: Schließlich lagern darin außer den Grundnahrungsmitteln noch unwiderstehliche Dinge wie Schminksachen, Handys, Geldbeutel, eine Kletterausrüstung und eine Matratze, die sich selbst aufbläst (für den Notfall). Leider ist es ein verbotenes Objekt der Begierde.

Allergrößte Anziehungskraft

Die Mutter hatte schon bei ihrem ersten Kind erlebt, welch große Anziehungskraft die Tasche selbst auf Babys hat. Ihr Ältester konnte kaum vorwärts robben, doch bis zur Tasche schaffte er es. Er zerbiss drei Lippenstifte, perforierte mit seinen ersten Zähnchen den Tragegurt, leerte das Münzfach und lutschte an ein paar Euros. Eine ganz neue Erfahrung, geschmacklich für das Kind, nervlich für die Mutter.

Seitdem bestand die Mutter darauf, dass sie das alleinige Durchsuchungsrecht ihrer Tasche hatte. Und weil die inzwischen zwei Kinder nicht viel von häuslichem Recht und Ordnung hielten, war der Reißverschluss stets mit einem Vorhängeschloss gesichert.

Leider wurde die unstillbare Neugier auf den Tascheninhalt immer wieder angefacht, etwa im Café. Am Nebentisch wühlte ein kleines Mädchen ungebremst in der Handtasche ihrer Mutter. "Schau, was ich in Deiner Tasche gefunden habe", juchzte es, riss die Verpackung von einem Schokoladenriegel und schob ihn sich quer in den Mund.

Die Geschwister beobachteten die Szene fassungslos, dann brach die Rebellion aus: "Wir wollen auch in deine Tasche schauen dürfen!" "Immer darfst du alles bestimmen! Wenn ich groß bin, bestimme ich über dich!" Die anderen Gäste im Café rückten ihre Stühle zurecht, um das Schauspiel besser verfolgen zu können. Alle Augen fixierten die Mutter.

Deren innerer Widerstand bröckelte im Fokus der Aufmerksamkeit: Wäre nicht endlich Ruhe, wenn die Kinder entdeckten, dass die Dinge in der Handtasche viel langweiliger waren als gedacht?

Sie zögerte kurz. Dann nahm sie die Halskette mit dem Schlüssel ab und öffnete das Vorhängeschloss. Beide Kinder stürzten sich raubtiergleich auf die Handtasche, stießen mit den Köpfen zusammen, aber hatten keine Zeit für den Schmerz. "Mama, wo sind die Süßigkeiten? Ich sehe hier nur Äpfel, Bananen und Reiswaffeln", fragte der Sohn dumpf aus den Tiefen der Tasche. "Ich hab Süßes!", jubelte seine Schwester und zerrte ein Päckchen heraus. "Her damit, das sind meine Notfall-Zigaretten", rief die Mutter.

Beide Kinder hielten inne: "Rauchst du die etwa?" "Dann stirbst du bald. Und vorher wirst du hässlich. Und hustest." Die Blicke der anderen Gäste waren missbilligend: eine Mutter, die rauchte! Die Tochter entriss ihrer Mutter die Zigarettenschachtel und rannte damit zum Mülleimer, begleitet von beifälligem Gemurmel.

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Von Katja Schnitzler

Der Sohn holte währenddessen eine geköpfte Gummischlange aus der Handtasche ("Die wolltest du doch für mich kleben?"), pfefferte das Schminktäschchen auf den Tisch (die Mutter hörte die Kajalstifte brechen), klatschte die Familienpackung Feuchttücher daneben, wobei er an die Kaffeetasse stieß. Ein dunkler Fleck breitete sich mittig auf der Bluse der Mutter aus, dazu kamen ähnlich dunkle Schweißflecken unter den Achseln.

Da hielt der Sohn inne: "Das ist ja cool. Solche hat der Ferdinand mal ins Kindergartenklo geworfen. Die werden riesengroß!" "Was denn, zeig', zeig'", sagte die Tochter aufgeregt. "Was auch immer du gefunden hast, lass es drin und mach meine Tasche wieder zu!", rief die Mutter, die mit einer Handvoll Feuchttücher zur Toilette lief.

Sie beeilte sich, aber sie war nicht schnell genug.

Als sie zurückkam, war der Tisch nass, gelb-braun und klebte. Die Kinder versuchten, mit den restlichen Feuchttüchern die Überschwemmung einzudämmen. In den Limogläsern und dem Kaffee blähten sich Tampons zu ungeahnter Größe und verdrängten die Flüssigkeit. Ein schönes physikalisches Experiment, leider zur falschen Zeit am falschen Ort.

Die Mutter knirschte mit den Zähnen, zählte innerlich bis drei, aber es half nichts: "Nur einmal, da lass ich euch nur einmal an meine Tasche ..." Sie warf die geköpfte Gummischlange und das triefende Schminktäschchen zurück in den Beutel. Schweigend reichte ihr der Sohn das Vorhängeschloss.

"Sehen Sie", sagte die Frau am Nebentisch, "darum habe ich immer etwas Süßes in meiner Tasche."

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