Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Dieser Name ist nicht dein Ernst!

Familien-Kolumne

Irgendwann gewöhnt sich die Familie an jeden Namen. Wenn nicht, muss ein Spitzname her.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Werdende Eltern haben eine schwere Aufgabe, schon lange vor der Geburt: Sie müssen einen Namen für ihr Kind finden. Und erkennen an den unsäglichen Vorschlägen des anderen: Wir passen doch nicht so gut zusammen wie gedacht.

Von Katja Schnitzler

Bislang war das Paar überzeugt, es würde harmonieren, sehr sogar: dieselben Interessen, dieselbe Einstellung zum Leben. Nicht einmal über das Fernsehprogramm stritt es allzu sehr. Doch nun war die Frau schwanger, und beide fragten sich: Habe ich mich getäuscht? Und: Wie gut kenne ich meinen Partner wirklich?

Das hatte weniger mit dem runder werdenden Bauch und der einhergehenden Hormonflut zu tun, als mit dem heranwachsenden Baby - oder vielmehr mit dem Namen, den es nach der Geburt tragen sollte. Und mit dem es würde zurechtkommen müssen. Ein Leben lang.

"Ein Leben lang!", hatte die künftige Mutter gerufen, und der künftige Vater hatte genickt: Beide wollten ihrer neuen Verantwortung als Eltern gerecht werden und für ihr Kind - es war ein Sohn - natürlich nur das Beste. Es war ihr erstes Kind, und sie waren naiv.

"Wie wäre es mit Urban?", machte der Mann den ersten Zug. Die Frau kippte vom Stuhl. "Ur-ban?", keuchte sie unter dem Tisch. "Ja, hat doch einen schönen Klang", meinte der Mann und half ihr auf. "Uuuurbaaan, Uuuurbaaan, da wird es doch depressiv!", sagte die Frau. Nie hätte sie gedacht, dass ihrem Mann solch ein antiquierter Name gefallen könnte. Der Mann war etwas angesäuert, hatte aber schon gelernt, dass eine Schwangerschaft mit Stimmungsschwankungen einhergeht und blieb erst mal ruhig: "Was stellst du dir denn so vor?"

"Ich finde Felix schön", sagte die Frau. Der Mann rümpfte die Nase, so einen gewöhnlichen Namen hätte er von seiner außergewöhnlichen Frau nicht erwartet: "Da muss ich an die Katzenfutterwerbung denken. Wie wäre es mit Konrad?"

Die Frau schauderte: "So hieß der Klassenzimmer-Sadist, der mich in der vierten Klasse so geärgert hat! Das geht nicht. Aber Lukas wäre schön." "So heißen doch gerade alle. Weißt du noch, wie früher der Lehrer die vier Thomasse in der Klasse durchnummeriert hat? Das ersparen wir unserem Kind. Aber Ferdinand ginge."

Die Frau seufzte, bekam ihr Mann denn gar nichts mit? "So heißt doch der Sohn meiner Freundin", gab sie zu Bedenken. "Und der ärgert sich nur darüber, weil ihn die anderen Kinder alle Pferdinand rufen. Aber warte, jetzt hab ich's!" Oh nein, dachte der Mann. "Sebastian!", rief die werdende Mutter.

"Spinnst du?", fragte der Mann. Die Frau wurde rot: "Wieso, ist doch ein schöner Name! Was hast du jetzt wieder gegen Sebastian?" "Hallooo", sagte der Mann, was die Frau sowieso nicht ausstehen konnte, "unser Nachname fängt auch mit S an." "Na und?", sagte die Frau trotzig. Der Mann staunte über diese Ignoranz: "Na, die Initialen, das geht ja gar nicht, erst recht nicht bei einem Deutschen!" "Jetzt übertreibst du aber", meckerte die Frau.

Schweigen.

"Wie wäre es mit Amon, das ist nicht so üblich, und hat wirklich einen schönen Klang. Und kein U, wie Urban", sagte die Frau dann. Jetzt konnte sich der Mann kaum noch auf dem Stuhl halten: "Da kannst du unseren Sohn ja gleich Adolf nennen! Amon Göth, weißt du nicht mehr, der Schlächter von Plaszow? Du hast doch auch Schindlers Liste gesehen." Jetzt sprang die Frau auf: "Könntest du bitte mal den Zweiten Weltkrieg aus unserer Namenssuche heraushalten!"

Sie beschlossen, die Frage zu vertagen. Beide wollten für sich eine Liste mit drei Lieblingsnamen aufstellen, diese dann austauschen, und jeder durfte zwei Namen streichen.

Feierlich überreichten sie sich die Zettel. Und, das Paar konnte sein Glück kaum fassen, sie passten doch so gut zusammen, wie sie einst gedacht hatten: Bei beiden stand ganz oben auf der Liste der Name Aaron.

Sie freuten sich so sehr, dass die Frau nichts dagegen hatte, dass der zweite Vorname Gustav lauten sollte, nach dem verstorbenen Großvater des Mannes. "Gerne, mein Liebster", säuselte sie und dachte zufrieden, dass damit Gustav beim zweiten Kind auf jeden Fall aus dem Rennen wäre.

Dann machte das Paar einen Fehler.

Wie könnt ihr nur so grausam sein?

Stolz verkündete es den werdenden Großeltern, dass sie sich auf einen Aaron als Enkel freuen durften. "Das meint ihr doch nicht ernst, so heißen doch nur Hunde!", rief der Noch-nicht-Opa. "Das arme Kind", schluchzte die Noch-nicht-Oma und versicherte: "Ich rufe es nur Gustav. Sonst schäme ich mich auf der Straße. Ein Hundenamen, wie könnt ihr nur so grausam sein?"

"Aber Aaron ist ein biblischer Name, und er war ein Hohepriester und kein Hund", versuchte der Mann eine Verteidigung (dass der gute Aaron die Sache mit Mose verbockt hatte, nur weil er unbedingt ums Goldene Kalb tanzen musste, behielt er lieber für sich). Er scheiterte auch so: "Die Bibel", sagte die Noch-nicht-Oma streng, "ist 2000 Jahre alt. Selbst Amram und Jochebed hätten heutzutage bestenfalls ihren Hund Aaron genannt. Wenn überhaupt!"

Das Paar, von den Großeltern und der Sache mit dem Goldenen Kalb verunsichert, stand wieder ganz am Anfang. Und der Geburtstermin war nicht mehr fern. Die beiden beschlossen, den neuen Namen bis nach der Entbindung für sich zu behalten. Falls es einen neuen Namen fand.

Im Kreißsaal spielten sie Namen-Pingpong, nur jede Minute machten sie fairerweise Pause, weil eine Wehe der Frau Atem und Stimme raubte. Kurz vor den Presswehen einigten sie sich.

Am nächsten Tag kamen die Jetzt-endlich-Großeltern ins Krankenhaus, zum Baby-Loben. "Wie heißt es denn jetzt?", fragte der Opa.

"Rainer!", sagten die stolzen Eltern.

Die Oma ließ fast ihren Enkel fallen. "Aber ...", sagte sie mit Tränen in den Augen, "aber ..." Ihr brach die Stimme.

Der Opa übernahm: "Aber keiner liebt Rainer!"

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