Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Die Wahrheit über Urlaub mit Kindern

Familien-Kolumne

War das entspannt! In der Erinnerung ist der Familienurlaub oft noch einen Tick schöner, als er tatsächlich war - zum Glück.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Es soll die schönste Zeit im Jahr sein, auch für Familien. Doch manchmal werden Eltern nach dem Urlaub ein wenig neidisch, wenn sie von den Abenteuern der Alleinreisenden erfahren. Dabei könnten sie da locker mithalten - erzählen aber nicht immer die ganze Wahrheit.

Eine Übersetzung von Katja Schnitzler

Wenn sich Eltern Fotos von früher ansehen, als sie selbst noch Kinder waren und aus eigenem Antrieb Sandburgen bauten, dafür aber bei der Auswahl des Reisezieles kein Wörtchen mitzureden hatten, dann blicken Eltern auf ein trügerisches Idyll: Schließlich wurden keine Fotos während der mühsamen Anreise in Autos mit verhängten Seitenfenstern gemacht, als noch keine Klimaanlage gegen die Hitze anblies. Auch die unerträglich juckenden Sonnenbrände auf den Kinderrücken wurden selten fotografisch in Szene gesetzt. Übrig bleiben die wohligen Erinnerungen an die schönste Zeit des Jahres: Urlaub.

Kein Wunder, dass Eltern auch heute noch beim Austausch der Ferienerlebnisse gerne unterschlagen oder zumindest ein wenig beschönigen, wie der Familienurlaub tatsächlich ablief:

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr habt euch Business-Class gegönnt? Nun, unsere Anreise war schon etwas anstrengender, aber wir haben es überlebt."

So war es wirklich: Überlebt ja, jedoch nur knapp. Der kritische Punkt war nach 134 Kilometern im Auto erreicht (davon 47 Kilometer Beinahe-Stillstand im Stau), als die Gefühle trotz Klimaanlage überkochten: Das jüngere Kind verkürzte die Dauerfrage "Wann sind wir endlich da?" auf "Da? Da? Da? Da? Da?" und ließ dafür die Pausen zwischen den Fragen weg. Das ältere Kind fragte ebenfalls ohne Unterlass, dafür voll ausformuliert: "Wieso fahren wir nicht schneller? Wann ist der Stau vorbei? Darf ich zu Fuß gehen? Was meinst du mit: Du musst sogar gleich zu Fuß gehen? Darf ich echt aussteigen? Wann hupst du endlich, damit die vor uns schneller fahren?" Damit war das Fass zum Überlaufen gefüllt, es fehlte nur noch der Tropfen. Der kam von der Mutter: "Ich habe dir doch gesagt, wir sollten früher losfahren." Noch 200 Kilometer bis zum Ziel.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr wart auf Safari? Wir haben auch jeden Morgen wilde Tiere gesehen."

So war es wirklich: Die Ameisenstraße führte quer über den Frühstückstisch.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr wart Paragliden? Wir haben auch einige neue Sportarten ausprobiert."

So war es wirklich: Erprobt und für gut befunden wurden die Disziplinen "Wie viele Familienmitglieder können gleichzeitig wasserrutschen - hintereinander und übereinander?" "Wer hüpft auf den Hotelbetten am höchsten (sind ja nicht unsere)?" "Wer spielt am schönsten Kitzel-Hai im Pool - Mama oder Papa?"

Weniger gut kamen die Disziplinen an "Wie viele Purzelbäume macht das Kind unter Wasser, während die Welle es an den Strand spült?" "Wer gewinnt beim Rennen um die wenigen Schattenplätze - die anderen oder wir?" "Wie viel Wasserspielzeug können Eltern zum Strand schleppen, ohne zusammenzubrechen?"

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr wart auf Mountainbike-Tour? Wir waren auch in den Bergen."

So war es wirklich: Der Aufstieg bei der Familienwanderung verlief schleppend, wobei das im Wortsinn zu verstehen ist. Auf der Alm baute die schöne Aussicht und das gute Essen die Eltern wieder auf, während die Kinder ihre Energie beim Spielen, Toben und Entdecken vergeudeten. Deshalb war der Abstieg wieder schleppend.

Kunst? Natürlich! Einheimische Küche? Was sonst!

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr wart im Louvre? Wir haben auch einige Kunstwerke gesehen."

So war es wirklich: An einem leicht bewölkten Tag wurden die Kinder mit dem Versprechen auf spätere Eisberge in zwei Kirchen und ein Museum gelockt. Dort ging den Kindern auf, dass sie sich ja gerade sowieso hauptsächlich von Eis ernährten und damit dessen Stellenwert bei der innerfamiliären Bestechung extrem gesunken war. Die Eltern trösteten sich über den folgenden Kunst-Boykott mit einem Eiskaffee hinweg.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr habt euch ein paar Wellnesstage gegönnt? Wir konnten auch so richtig entspannen."

So war es wirklich: Inklusive war das Sandpeeling - für den ganzen Körper am Strand, für die Füße in der Ferienwohnung. Selbst ohne Hosenumschläge trugen die Kinder noch genug Sand mit ins Haus.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr fandet, die einheimische Küche war ein Erlebnis? Da haben wir auch einiges erlebt."

So war es wirklich: Die Kinder waren der Ansicht, dass sie sich im Urlaub früh, mittags und abends von Pommes und Eis ernähren sollten. Auf dieser Meinung beharrten sie, als die Eltern ein Mal (nur ein einziges Mal, das wird doch wohl möglich sein, zum Kuckuck!) die Haute Cuisine des Gastlandes kosten wollten. Leider bot das Menü dort nur Beilagen "an" und "bei", jedoch keine Pommes, wie der Kellner mit hocherhobenen Augenbrauen mitteilte. Die Kinder verweigerten eigene Bestellungen ("Wenn es keine Pommes gibt, essen wir gar nichts! Und wenn wir verhungern, seid ihr schuld!") und hatten damit genug Zeit, um zu nörgeln, zum Aufbruch zu drängen, zu streiten und jeden Bestandteil des elterlichen Menüs mit dem Ausruf am Tisch zu empfangen: "Iiiih, was ist das denn? Wollt ihr das wirklich essen?"

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr wart beim Rafting? Wir waren auch auf wilden Gewässern unterwegs."

So war es wirklich: Besonders wild wurde es, als das jüngste Kind rief: "Schaut, ein riesiger Fisch!" Und zur rechten Seite des sehr kleinen Bootes zeigte. Und alle vier auf der rechten Seite des sehr kleinen Bootes den riesigen Fisch sehen wollten. Stattdessen sah der Fisch, wie vier Menschen im Wasser zappelten, über ihnen ein umgedrehtes kleines Boot.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr hattet schönes Wetter. Wir auch, irgendwie."

So war es wirklich: Am ersten Regentag lasen die Eltern pädagogisch wertvolle Bücher vor, erzählten Geschichten aus ihrer Kindheit, ärgerten sich bei Mensch-ärgere-dich nicht, erfanden Geschichten, lasen wieder vor und fragen sich, warum sie nicht mehr Bücher und Spiele eingepackt hatten. Am zweiten Tag sollten sie dieselben Geschichten von früher wieder erzählen (jeweils drei Mal), der Jüngste verzweifelte abermals beim Mensch-ärgere-dich-nicht, die pädagogisch wertvollen Bücher wurden beim zweiten Mal lesen nicht spannender. Am dritten Tag hoben die Eltern das Ferien-Fernsehverbot auf.

Das sagen die Eltern: "Ach, ihr habt Architektur-Highlights studiert? Wir haben uns ebenfalls mit den Details etlicher Bauten beschäftigt."

So war es wirklich: Das schwierigste Detail konnte bis zur Abreise nicht zur völligen Zufriedenheit geklärt werden - wie nah darf man eine Sandburg am Wasser bauen, damit der Burggraben zwar voll Wasser läuft, das Bauwerk aber nicht gleich hinweggeschwemmt wird? Schließlich wurden die Burgtürme liebevoll mit Tropfkunstwerken in der traditionellen Nasser-Sand-durch-die-Faust-quetsch-Technik verziert. Die sollten auch noch die langsam einsetzende Flut überdauern.

Das sagen die Eltern: "Wir wären gerne noch länger geblieben."

So war es wirklich: Schule? Kindergarten? Büro? Terminstress mit Turnen, Musikschule und sonstiger Frühförderung? Sie wären wirklich gerne noch länger geblieben.

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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