Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Die spinnen, die Verwandten!

Familien-Kolumne

Was ist schon normal? Aber wenn Verwandte aufeinandertreffen, können Marotten und Ticks der anderen ganz schön nerven.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Eine Familienfeier könnte so schön sein, wenn die Verwandten nicht wären - und andere mit ihren Ticks und Eigenarten in den Wahnsinn trieben.

Von Katja Schnitzler

Es gab nur wenige Anlässe, zu denen die ganze Familie zusammenkam. Nicht nur die Kernfamilie an Weihnachten, nein, auch Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen. Eigentlich gab es nur einen Pflichttermin für alle: den Geburtstag der Großmutter, die stets zu Kaffee und Kuchen einlud. Die Feier könnte schön sein, auch für die längst abgenabelte Enkelin und Studentin. Wenn die Feiernden nicht wären.

So sehr sie die meisten auch liebte oder wenigstens wertschätzte. Sie alle hatten doch ziemliche Macken, fand die Studentin. Und diese Marotten waren in diesem Jahr noch weniger auszuhalten als in den 23 Jahren zuvor. Vielleicht hatte sie auch der Prüfungsstress den letzten Nerv gekostet, so dass kein Geduldsfaden für die Familienfeier mehr blieb.

Die Qual begann kurz nach Mittag. Im vollgestellten Wohnzimmer überboten sich der Phrasendrescher-Onkel und sein Sohn, der Kalauer-Cousin, gegenseitig: "Na, Omma, siehst fit aus wie ein Turnschuh. Wobei, in deinem Alter passt das ja nicht mehr. Fit wie ein Stöckelschuh, zum Bleistift?", legte der Kalauer-Cousin vor. Die Studentin wand sich vor Fremdscham.

"Mein lieber Herr Gesangsverein, das kann ja wohl nicht wahrstein", widersprach der Phrasendrescher-Onkel, "die Omma gehört doch nicht zum Alteisen! Sie hat doch jetzt unseren Schlepptop. Liebe Omma, herzlichen Glühstrumpf!" Die Studentin knirschte mit den Zähnen, die ADS-Großmutter fragte leicht verwirrt: "Wie meinst du? Ach, euer Geschenk, vielen Dank, ja, das schaue ich mir später an ..."

Das zweistimmige "Schittebön!" hörte sie schon nicht mehr. Sie litt unter einem akuten Aufmerksamkeitsdefizit, sobald mehr als drei Leute im Raum waren, um die sie sich kümmern wollte.

Gab sie vor, dem einen zuzuhören, lauschte sie mit mehr als nur einem halben Ohr dem Gespräch der anderen. So bekam sie alles mit und nichts. Zum Beispiel entging ihr, dass die Enkelin ihr Blumen überreichen wollte. Seufzend holte die Studentin eine Vase aus dem Schrank, stellte sie auf den Tisch und arrangierte die Blumen darin.

Sofort war ihre Besserwisser-Tante bei ihr: "Ich mach das schon", flötete sie und steckte die Blüten um. An der Tür hatte sie bereits die Jacke der Studentin an einen anderen Haken gehängt, "dann ist mehr Platz für die anderen". Danach hatte sie die Schuhe der Besucher ins Gästeklo geräumt, wo sie später drüberstolpern würden, "so ist der Flur nicht so voll". Die Studentin stöhnte und rieb sich die Stirn. Dahinter begann ein Kopfschmerz.

"Bist du krank?", fragte ihr Hypochonder-Vater, "Stell dir vor, was ich neulich gelesen habe, da ist ein Mann zwanzig Jahre lang mit einem ..." "Papa, bitte", sagte die Studentin seufzend, "lass mich heute mit deinen medizinischen Kuriositäten in Ruhe. Ich will nicht wissen, ob irgendjemand jahrelang eine Schraube im Kopf hatte." Oder eine locker, dachte sie. "Mir geht es jedenfalls gut."

Sie drehte sich zur Seite, da drückte ihre Glucken-Mutter ihr das kleinste Baby der Runde in den Arm: "Steht dir gut, das Kleine", säuselte sie, in steter Erwartung weiterer Enkel. Dass die Studentin weder einen Freund noch die Absicht hatte, als Alleinerziehende ins Familienleben zu starten, ignorierte sie. Wie immer.

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Selbst das Baby war nicht frei von Marotten, da acht Monate alt und in der Fremdelphase. Es schrie hysterisch, der Kopfschmerz wurde stärker. Die Studentin massierte sich die Schläfen, nachdem sie das plärrende Kind wieder abgeben konnte.

Zum Glück gab es Kuchen. Nachdem der Phrasendrescher-Onkel einen Platz gefunden ("Stück mal ein Rück!") und der Immer-ordentlich-Großvater die Kuchengabeln nochmal gerade gerückt ("Wie sieht das denn aus?") und die Besserwisser-Tante einen Krug mit Wasser für das Kuchenmesser organisiert hatte ("Ohne kann man doch keine Torten anschneiden!"), um dann festzustellen, dass alle Torten schon angeschnitten waren, was die ADS-Großmutter vergessen hatte, zu erwähnen, weil sie nicht glauben konnte, dass das Fremdel-Baby auch sie zum Fürchten fand - dann endlich konnten alle essen.

Doch auch bei Tisch überbot sich die Verwandtschaft darin, ihre Marotten zur Schau zu stellen. "Wenn Briten denken, sie hätten Spleens, sollten sie mal hierherkommen", dachte die Studentin, stöhnte zum dreiundachtzigsten Mal mittellaut auf und drückte den Punkt zwischen ihren Augenbrauen. Das soll sofort entspannend wirken, hatte sie mal gelesen.

Doch vor der Entspannung kam ihre Glucken-Mutter. Die Studentin entfloh ihr und einem Streitgespräch über zu lange Ponyhaare, die vor den Augen doch irritieren müssten, indem sie den Tisch abräumte. In der Küche waren sie und das schmutzige Geschirr für ein paar Momente allein.

"Ein Wunder, dass ich bei diesen Genen normal geblieben bin", dachte die Studentin und warf einen Blick zur Kaffeegesellschaft. Diese steckte die Köpfe tuschelnd zusammen. Die Besserwisser-Tante teilte offenbar Zahnstocher aus, jedenfalls nahm sich jeder einen. "Jetzt machen sie auch noch Gesellschaftsspiele", dachte die Studentin entnervt.

Der Phrasendrescher-Onkel erhob sich widerstrebend, kam in die Küche und warf einen halben Zahnstocher in den Müll. "Alles klärchen?", fragte er. Die Studentin seufzte laut und versuchte es nochmal mit einer Massage der Schläfen.

Der Phrasendrescher-Onkel räusperte sich mehrmals: "Also, die anderen meinen, ich sollte dir ... also ich will dir ... aber versteh uns nicht falsch ..." Die Studentin hörte auf, ihre Stirn zu reiben. "Weil vielleicht sagt dir das ja sonst keiner, aber wir sind ja Familie, nicht wahr?" "O ja", sagte die Studentin und massierte weiter, fester als zuvor.

"Ach was, jetzt mal Butter bei die Fische: Uns ist da was an dir aufgefallen, so eine Art ..." "Was denn?", frage die Studentin. "Ein Tick", sagte der Phrasendrescher-Onkel. "Aha", sagte die Studentin.

"Also", sagte der Phrasendrescher-Onkel, "das ist schon eine richtige Marotte von dir: Immer wenn jemand was sagt, stöhnst du laut auf und greifst dir an den Kopf."

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

Auf SZ.de erscheint immer montags die Familienkolumne über das Zusammenleben von Eltern, Kindern und Großeltern, aber auch Tanten und Onkeln, Cousins, Nichten, Neffen - eben allen, die das Familienleben bereichern, erleichtern oder auch ein bisschen komplizierter machen.

Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

Und alles zum Thema Erziehung von Babys bis hin zu Jugendlichen finden Sie im Erziehungsratgeber.

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