Körperbild:Brutale Arme oder: Fünf Kilo in sieben Tagen

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Australische Forscher fanden vergangenen Sommer heraus, dass Jungs im Alter von zwölf bis 18 heute gestresster von ihrem Körperbild sind als gleichaltrige Mädchen. Die Werbung setzt Männermodels ein, deren durchschnittliche Muskulatur anderen Studien zufolge über die Jahre massiv zugenommen hat. Und durch diese Werbespots wurden die Probanden noch einer anderen Studie wiederum messbar unglücklicher mit dem eigenen Körper, als sie ohnehin schon waren. Noch was: Vor wenigen Wochen meldete ein Team von Harvard-Forschern, dass Anabolika nicht mehr nur von Bodybuildern als Doping verwendet werden - sondern in den USA von etwa vier Millionen Freizeitsportlern. Die meisten von ihnen "junge Männer, die ihr Aussehen verbessern wollen".

In Deutschland vermuten Experten ähnliche Zahlen. Aber auch wenn der Gebrauch von muskelbildenden Medikamenten sich noch immer auf Extremfälle beschränkt, notieren Fachleute einstimmig, dass sich etwas verschoben hat im Blick normaler Männer auf sich selbst. "Der Druck steigt ganz gewaltig. Gerade auf die Jungen", sagt etwa Barbara Mangweth-Matzek, Professorin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie erforscht seit Jahren Körperbildstörungen und findet die neuerdings auch gehäuft bei Männern. "Für Herren hat es früher gereicht, beruflich toll zu sein. Schön musste im Grunde nur die Frau sein. Heute müssen Männer dagegen auch optisch was hermachen." So ist für Psychotherapeuten ein Arbeitsfeld hinzugekommen: der Mann, der seinen Körper nun ebenfalls immer öfter als minderwertig wahrnimmt und darunter leidet.

Das männliche Äquivalent zur Magersucht gibt es auch schon, die sogenannte Muskelsucht, im Fachjargon Muskeldysmorphie. "Die Patienten sind maximal muskulös, aber trainieren sich regelrecht kaputt. Weil sie sich im Spiegel als zu dünn wahrnehmen", sagt Barbara Mangweth-Matzek. Nach der Debatte um Size-Zero-Models und ihre schädliche Wirkung auf die Psyche von jungen Frauen könnte nun also bald auch eine Diskussion um unrealistische männliche Körperbilder entstehen. Die spannende Frage bei dieser Entwicklung ist freilich: Woher kommt sie?

Bei Fit Star in München-Giesing ist an diesem Montagabend Hochbetrieb. Laufbänder surren, Hantelstangen klirren. Am Empfang sind zwei Trainer ununterbrochen damit beschäftigt, Verträge mit Neukunden auszufüllen. Fitness ist in Deutschland längst Sportart Nummer eins. Zehn Millionen Deutsche sind Mitglied in einem Studio, die Zahl hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Fit Star ist eine Kette aus München, die Mitgliedschaft ist mit knapp 17 Euro monatlich eine der günstigsten, vermutlich trainieren auch deshalb hier besonders viele junge Leute. "Die Mädchen kommen meistens zum Abnehmen", sagt ein Trainer, "die Jungs zum Aufbauen."

Wobei deren Ungeduld ungleich größer sei als die der Mädchen. Nicht selten werde er von 16-jährigen Hänflingen schon bei der Anmeldung gefragt, welches Proteinpulver sie denn bestellen sollten. "Die haben oft noch nie eine Hantel in der Hand gehabt, aber irgendwo gehört, dass sie mit dem richtigen Pulver zehn Kilo in zwei Monaten zunehmen können", sagt der Trainer und seufzt. "Da muss man erst mal die Erwartungen runterholen." Die Marke Fit Star wirbt deshalb auf Plakaten absichtlich nicht mit Fotos von Bodybuildern, erklärt der Pressesprecher, in keinem der Studios habe man Waagen aufgestellt: "Wir wollen unrealistischen Körperidealen bewusst vorbeugen." Aber im Kampf gegen die Ungeduld der dünnen Jungs gibt es einen übermächtigen Gegner: das Internet.

14 Kilogramm

So viel zusätzliche Muskelmasse wünschen sich Männer Anfang 20 im Schnitt. Die Zahl stammt aus einer Studie, die das American Journal of Psychiatry im Jahr 2000 veröffentlicht hat. Dafür wurden Männer aus verschiedenen Ländern zuerst selbst vermessen - und anschließend gebeten, den für Frauen attraktivsten Männerkörper auf Bildern auszuwählen. Frauen bevorzugten dagegen die durchschnittlich muskulösen Körper. Mit der Diskrepanz erklären die Forscher unter anderem die Zunahme von Anabolika-Missbrauch und Körperbildstörungen bei Männern.

Karl Ess betritt einen Backshop in München-Bogenhausen und muss direkt wieder rausgehen. Eine Gruppe orange gekleideter Männer von der Straßenreinigung will Selfies mit ihm machen: "Krass, dass du hier bist!" Ess, ein austrainierter Mann mit rötlichem Bart und Basecap über der Glatze, macht geduldig Fotos, dann setzt er sich ins Eck und bestellt Kaffee. Er betreibt einen der erfolgreichsten Fitness-Kanäle auf Youtube, knapp eine halbe Million Menschen sehen seine Videos. Die heißen zum Beispiel "5 Kilogramm in 7 Tagen aufbauen", "Übungen für einen massiven Trizeps" oder "BRUTALE ARME". Johnny vom Anfang dieser Geschichte ist einer seiner Fans.

Warum also, Herr Ess, wollen heute so viele 17-Jährige BRUTALE ARME? "Ganz einfach", sagt Ess, "keine andere Sportart passt so gut in die Gegenwart. Immer mehr Leute sind krank und übergewichtig." Außerdem: "90 Prozent der Jungs wissen doch heute gar nicht, wohin im Leben! Mit Fitness haben die zum ersten Mal Kontrolle über irgendwas. Die sehen sofort Resultate. Das macht süchtig." Karl Ess ist Autodidakt, er studierte Wirtschaftsingenieurwesen und trainierte privat, als er das Potenzial dieser vielen Jungs erkannte. Also las er sich "in die ganze Biochemie" ein, entwickelte ein individuelles Online-Trainingsprogramm und verkaufte es an seine Youtube-Fans für 150 Euro. Insgesamt 20 000 Mal. Inzwischen bietet er auch Nahrungsergänzungsmittel, Sportklamotten und Kochbücher an. Er ist jetzt 27 und fährt Ferrari.

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