Zwei Fußgänger spazieren an einem warmen Sommerabend durch die Choriner Straße in Berlin-Mitte. "Was ist denn da passiert?", sagt der Mann und zeigt auf einen Neubau, der zwischen den Altbauten steht. Die Scheiben des Cafés im Erdgeschoss sind alle zersplittert. An den Fassaden sieht man rot-lila Farbkleckse. "Na, da wohnen die Reichen", erklärt die Frau. Ihr Begleiter kommt offenbar nicht aus Berlin, sonst hätte er nicht gefragt.
Wer in dieser Stadt lebt, bekommt mit, wie erbittert an allen Ecken um sie gekämpft wird. Einheimische gegen Touristen, Nicht-so-Reiche gegen vermeintlich Superreiche, Kinderlose gegen kaffeetrinkende Mütter, Ur-Berliner gegen Schwaben - all das lässt sich mit Alt gegen Neu zusammenfassen. Die Stadt, die sich sonst stets damit brüstet, wie stark sie in Bewegung ist, wehrt sich gegen Veränderung.
Deshalb tobt in Berlin wieder der Häuserkampf, auch wenn er anders aussieht als vor 20 oder 30 Jahren: Statt Häuser zu besetzen, werden sie nun angegriffen oder ihr Bau zu verhindern versucht. Die Wut über steigende Mieten und über den Wandel der Stadt hat ein konkretes Ziel gefunden: Neubauprojekte. Sie werden zum Symbol für all das erklärt, was vielen Bewohnern der Hauptstadt Angst macht: Sie füllen die Brachen, die viele als Freiraum begreifen, sie bringen mit ihrer oft teuren Ausstattung den Mietmarkt durcheinander, sie machen das zusammengewürfelte Erscheinungsbild der Stadt glatter, und sie beherbergen auch die Menschen, von denen einige glauben, sie hätten in ihrem Kiez nichts zu suchen: Zugezogene. Kaum ein Begriff wird in Berlin verächtlicher gebraucht. Doch, einer: Investor.
In den letzten Wochen wurde die Wut auf Neubauprojekte mit radikalem Treibstoff befeuert: Vermutlich linksextreme Gentrifizierungsgegner veröffentlichten online etwas, das sie "Berliner Liste" nennen. Darauf versammelt sind die Adressen von Wohnungsprojekten und den daran beteiligten Unternehmen, verbunden mit dem Aufruf zu "kreativen Aktionen gegen Verdrängung". Piktogramme erklären, wie diese "kreativen Aktionen" aussehen sollen: Neben einem Bus mit Demonstranten und einer Computertastatur sieht man eine Spraydose, eine brennende Mülltonne und einen Schraubenschlüssel.
Fassaden besprüht und Fenster eingeschlagen
Darunter sind die bisher "abgearbeiteten" Taten protokolliert: Auf einer Baustelle im Wedding wurde der Öltank eines Baggers mit Sand befüllt, in Friedrichshain ein Baugerüst angezündet, in Kreuzberg ein frischgegossenes Fundament geflutet, Fassaden besprüht und Fenster eingeschlagen. 17 Anschläge seit Ende April bringt die Polizei, die mit einer Sonderkommission ermittelt, in Zusammenhang mit der Liste. Auch die Sachbeschädigung in Mitte, wo der Mann sich über die zerschlagenen Scheiben wundert. Ein paar Tage zuvor wurde der teure Wohnkomplex namens Choriner Höfe von Unbekannten attackiert.
Begibt man sich auf die Suche nach "den Reichen", den bösen, arroganten, das Viertel kaputtmachenden Yuppies, die die Steinewerfer hier wohl vermuten, findet man Kinderzeichnungen an den Wohnungstüren, "Welcome" steht darauf. Neben den Briefkästen steht ein Karton mit einem Zettel, "Zur freien Entnahme". Darin liegen zwei Kinderspielzeuge und ein Hörbuch, Titel: "Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg".
Und dann trifft man Friso de Zeeuw und seine Frau Thea, ein niederländisches Ehepaar Anfang 60, das so gar nicht dem Feindbild entspricht. Kaum hat man sie am Eingang angesprochen, laden sie in ihre Wohnung ein. "Klar, komm rein!" Sie sieht aus wie der Typ alternative Künstlerin, rotgefärbte Haare, lange Ohrringe, ein quietschgrünes Kleid; er ähnelt dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, sie fahren einen Volvo. Friso de Zeeuw ist Professor für Gebietsentwicklung und Politiker der niederländischen Arbeiterpartei, seine Frau Thea erzählt, dass sie früher in Amsterdam in besetzten Häusern gewohnt habe. "Wir haben viel gearbeitet und jetzt geht es uns gut", erklären sie ihre finanzielle Situation. Die Aggression verstehen sie nicht. "Dieses Fanatische bei diesem Thema, das kennen wir in den Niederlanden nicht."
Die rohe Gewalt ist nur eine, randständige Form des Protests. "Kleine linksextreme Zellen" vermutet Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) dahinter. Die gesellschaftlich anerkannte Alternative ist die Bürgerinitiative. So protestieren die Berliner gegen die Bebauung an der East Side Gallery, gegen die Bebauung des Mauerparks in Prenzlauer Berg, gegen Wohnhäuser auf dem Tempelhofer Feld. Und so sitzen die Anwohner eines gutbürgerlichen Kiezes in Schöneberg in Nachtwachen auf der Straße, um zu verhindern, dass dort drei Linden gefällt werden.
Die Bäume sollen für einen Neubau auf einem brachliegenden Eckgrundstück weichen. Das wollen die Anwohner der Crellestraße unbedingt verhindern. Auf der Webseite der Bürgerinitiative "Crellekiez Zukunft" malen sie aus, warum: "Ein Kiez, von Bürgern gestaltet, wird seines Flairs beraubt, gesunde Bäume werden rücksichtslos gefällt" steht dort etwa, die Aufzählung schließt mit dem Fazit: "alle verlieren und nur einer gewinnt hier - DER INVESTOR".