Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.
Liebe Leserin, lieber Leser,
am Rosenmontag hatte ich mir zum ersten Mal seit langem einen freien Tag genommen. Klar, dass sich das Immunsystem meiner dreijährigen Tochter ausgerechnet diesen Tag aussuchte, um schlapp zu machen. Statt draußen das schöne Wetter zu genießen, las ich also Bücher vor, wir puzzelten ein wenig und am Nachmittag durfte die kleine Patientin ihren Lieblingsfilm sehen.
Höchstens einmal in der Woche, höchstens eine Stunde am Stück, immer unter Aufsicht, am besten Filme oder Videos, deren Inhalt wir schon kennen und niemals als Bestechung oder angekündigte Belohnung für gutes Verhalten: An diesen Regeln orientiert sich die Bildschirmzeit für unsere Kinder. Trotzdem bekomme ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn Freundinnen und Bekannte mitbekommen, dass sie bereits fernsehen. Ich versichere dann ungefragt, dass die Dreijährige nur diesen einen Film schaut und auch nur ganz selten. Und dass die Kleine dann auch mitschauen darf, obwohl die Große in ihrem Alter noch nicht ferngesehen hat, aber was soll man machen... Es sei jedenfalls eine Ausnahme, wirklich.
Denn es mag ja umstritten sein, wie gute Elternschaft genau aussieht - dass Bildschirme irgendwie schlecht und böse sind, darauf können sich die meisten dann doch einigen. Ging mir ja genauso. Bis ich diesen Text gelesen habe, den mein Kollege Max Muth vor einem Jahr darüber geschrieben hat. Er recherchierte dafür, auf welcher Beweislage gängige Empfehlungen wie „Bildschirmfrei bis drei“ eigentlich entwickelt wurden - und fand heraus: Die Datenlage ist mehr als wacklig.
Dass ich mich so schlecht fühle, wenn meine Kinder auf einen Bildschirm schauen, liegt aber nicht nur an der Befürchtung, es werde ihnen schaden. Oft habe ich auch Angst, von anderen verurteilt zu werden. Dahinter steckt nicht nur Eltern-Shaming, sondern Klassismus – weiß Nora Imlau. Beim Lesen ihres Gastbeitrags fühlte ich mich jedenfalls etwas erwischt, habe ich schließlich auch selbst schon die Nase gerümpft, wenn ich Kleinkinder mit Tablet in den Händen gesehen habe. Imlaus Text hat mich daran erinnert, weniger über andere zu urteilen.
Ein schönes Wochenende wünscht
Marie-Louise Timcke