Klatschreporter:Schön war's

Diskotheken Deutschland 1970 - 1985

München, 1978: Das war die große Zeit der Disco, eine Zeit, die heute gerne als unbeschwert verklärt wird, es war eine wilde Zeit - für Partygirls und ihre Begleiter.

(Foto: Rudolf Dietrich/ullstein bild)

München galt lange als Hauptstadt des Klatsches, und Paul Sahner war ihre Stimme. Diesem Reporter vertrauten die Prominenten. Einen wie ihn wird es nicht mehr geben.

Von Christian Mayer

Es gibt eine Geschichte über Paul Sahner, die man sofort glauben müsste, selbst wenn sie frei erfunden wäre, was man in diesem Fall ausschließen kann, da die Quelle über jeden Verdacht erhaben ist. Die Geschichte geht so: Der Münchner Gesellschaftsjournalist Paul Sahner und ein junger, aufstrebender Kollege wollen in Istanbul gemeinsam eine Ledertasche kaufen, eine repräsentative Tasche für den Paul. Im Geschäft werden sie sich mit dem Händler, der einen viel zu hohen Preis verlangt, nicht einig, und da spielt der Reporter seinen Trumpf aus: Er stellt dem Taschenverkäufer den jungen Kollegen als seinen verwöhnten Sohn vor, der zum dritten Mal das Studium geschmissen hat und ihn nur Geld kostet. Der Händler lächelt, er kennt solche Söhne und wird, als Sahner ihn mit sanfter Stimme umschmeichelt, ganz weich. Der Preis der Tasche fällt im Sekundentakt, und am Ende spaziert Paul Sahner mit seiner Schnäppchen-Ledertasche durchs sonnige Istanbul. . .

Er hatte es nicht nötig, sich das Kreuz zu verrenken, um durchs Schlüsselloch zu schauen

In der klatschsüchtigen Residenzstadt München erzählt man sich gerade viele solche Geschichten über den ewig gebräunten Paul Sahner, der am Sonntag im Alter von 70 Jahren überraschend gestorben ist, nach dem Baden, vor dem Fernseher, das Herz. Meist ist der Grundton der Geschichten fröhlich und von Sympathie getragen: Der Paul, wie man ihn zwischen Münchner Hofgarten und dem Chiemsee nannte, hatte schließlich mehr Freunde als der Dalai Lama, er kannte mehr Frauen als Lothar Matthäus. Außerdem fuhr er einen schönen, alten Mercedes, weil er, wie er mit lässiger Selbstironie zu berichten wusste, nicht mehr ganz so fix aus seinem Porsche herauskam. Es sind geradezu hymnische Nachrufe erschienen, wie das immer der Fall ist, wenn man glaubt, einen der Letzten seiner Art verloren zu haben, in diesem Fall "den letzten großen Klatschreporter" wie die Bild -Zeitung schreibt.

Was für ein Missverständnis.

Ein Klatschreporter, der mit seinem Notizbuch Partys und Lokale abklappert, war dieser Mann nun wirklich nicht. Er war eben genau kein Hunter und kein Michael Graeter, um zwei der mythischen Münchner Figuren aus dem Schimmerlos-Business zu nennen, dem hiesigen Bussi-Promibetrieb. Er hatte es gar nicht nötig, sich das Kreuz zu verrenken, um durchs Schlüsselloch zu schauen. Sahner reichte sein Adressbuch, ein Telefon, dann kam der Handel schon zustande: Die Prominenten, auf die er es abgesehen hatte, waren ja oft ganz geil darauf, sich von ihm um den Finger wickeln zu lassen. Ganz egal, ob sie nun Michael Jackson, Jane Birkin, Richard Gere, Karl Lagerfeld, Leni Riefenstahl, Walter Jens, Uli Hoeneß, Udo Jürgens, Marcel Reich-Ranicki, Alice Schwarzer, Boris Becker oder Rudolf Scharping hießen.

Im Grunde erzählt die Istanbul-Episode auch, wie der Gesellschaftsjournalismus der bunten Printmagazine lange Zeit funktioniert hat - als ein Tauschgeschäft in beiderseitigem Einverständnis. Paul Sahner hat das beispielhaft vorgeführt mit seinen scheinbar schlichten, direkten Fragen ("Glauben Sie an Gott?", "Haben Sie abgenommen?", "Wann hatten Sie zum letzten Mal Sex?"). So erfolgreich, dass zahlreiche Talkshow-Moderatoren und Printjournalisten ihn bald kopierten und eine breite Schleimspur auf dem Boulevard hinterließen, weil ihnen das Lässige abging.

Der verständnisvolle Paul blieb das Original: Er kriegte sie alle. Mit der Flexibilität einer Edelstahlfeder konnte er seine Gesprächspartner in die richtige Schwingung versetzen. Er stellte die Leute, selbst die nicht so bedeutenden, erst mal auf ein Podest, er machte die unverschämtesten Komplimente, ohne rot zu werden, und scharwenzelte um sie mit diesem Paul-Sahner-Blick. Wenn nichts mehr half, weinte er zur Not auch mit seinen Klienten, oder er erzählte die passenden Herz-Schmerz-Geschichten aus seinem eigenen Leben, um den anderen und sich selbst Absolution zu erteilen. Die Prominenten öffneten sich, schließlich hatten ja auch sie etwas zu verkaufen; sie öffneten sich manchmal etwas zu weit, jedenfalls viel weiter, als es die Totengräber des Klatschgewerbes, die immer nervigeren PR-Manager und persönlichen Assistenten, heute durchgehen lassen würden.

In diesem Tauschgeschäft - Verständnis gegen Geständnis - stand der Gewinner von vornherein fest.

Man könnte, wie einige das in ihren Nachrufen bereits getan haben, nun darüber jammern, dass die große Zeit der Gesellschaftsreporter vorbei ist, auch die große Zeit der Society-Metropole München, in der Paul Sahner kein unbeteiligter Beobachter war, sondern ein geselliger Aktivposten. Auf Du und Du mit dem Franz, der Franzi und der Vroni. Lassen wir's lieber: Jammern passte eh nicht zu ihm. In seinen Magazinbeiträgen und in seinen Büchern konnte er auch den menschlichen Dramen eine heitere Seite abgewinnen, selbst wenn die Beteiligten es nicht immer lustig fanden, in der Bunten vorgeführt zu werden. Aber zum Seelen-Striptease gehören immer zwei.

Auf augenfällige Weise war der Reporter, der lange Zeit am Viktualienmarkt wohnte und sich am theatralisch vorgetragenen Grant der Standlfrauen erfreuen konnte, auch eine Münchner Erscheinung. Trotz seiner westfälischen Herkunft. Ihm gefiel der Münchner Spieltrieb, die Genussfreude, die Leichtblütigkeit, die bei sensiblen Figuren nicht selten ins Melancholische kippt. Genauso wie der ebenfalls mit 70 gestorbene Filmemacher Helmut Dietl hatte er diese Faszination für die Schickeria, in der man noch ohne Hintergedanken feiern konnte. Die Siebziger-, die Achtzigerjahre, auch noch die frühen Neunzigerjahre: Das war die Zeit, als man ganz locker ein paar Runden mit einem irren Schauspielergenie wie Klaus Kinski um den Kleinhesseloher See in Schwabing machen konnte, dann war die Kassette prall gefüllt.

Hätte einer wie Sahner, mit seinem Charme, seinen Tricks und seinem Fleiß, heute eine Chance im Journalismus? Wäre der Boulevard überhaupt noch sein natürliches Betätigungsfeld? Eher nein. Mit ihm verschwindet ein journalistischer Typus, und wenn man es zoologisch betrachtet, steht er jetzt in einer Reihe mit der jamaikanischen Tarentola albertschwartzi, dem sagenhaften Riesengecko, der wie Paul Sahner gerne am Strand spazieren ging und sich die Sonne aufs Haupt brennen ließ.

Mit Sahner verschwindet eine Unverkrampftheit aus dem deutschen Journalismus, das würden sogar jene zugeben, die den ehemaligen Penthouse-Chefredakteur immer etwas schmierig fanden. Das Amüsante, leicht Anzügliche ist ja von jeher verdächtig in Deutschland: Auch Gesellschaftsberichterstattung hat verdammt noch mal ernst zu sein. Auf Zwischentöne wird in der Regel verzichtet, die versteht der Leser ohnehin nicht; es dominiert die Hofberichterstattung bei den halbseriösen Blättern und die Häme bei den billigen Postillen, die sich nicht mal mehr die Mühe machen, selbst noch Prominente zu treffen, sondern ihren Konsumenten lieber Trash-Splitter auftischen. Insgesamt war die Grundversorgung mit Klatsch früher nachhaltiger und nahrhafter, ohne dass die Kolumnisten das Niveau angelsächsischer Vorbilder erreichen, die Bissigkeit und den Witz, der gute Gesellschaftsberichterstattung auszeichnet. Paul Sahner ist in einer Zeit sozialisiert worden, in der vor allem die Prominenten selbst den Inhalt von Klatschkolumnen mit einer Gier verschlangen, als handele es sich um feinsten Jahrgangschampagner. Immerhin: Er traute sich mehr als andere. Selbst Kanzler und Kardinäle, Nationaldichter und Großfeministinnen waren vor seiner zur Indiskretion verführenden Art nicht sicher.

Woran liegt es, dass sich selbst große Boulevardmedien heute keinen echten Gesellschaftsreporter mehr leisten, also einen gut ausgebildeten Kenner der Szene, der etwas von Leuten versteht? Der Bestseller-Autor Alexander von Schönburg, der früher die letzte Seite bei der Bild verantwortete und heute dort Textchef ist, hat eine nüchterne Erklärung. "Paul Sahner war im besten Sinne entwaffnend. Ein guter Therapeut, dem die Leute vertrauten. Aber das wollen die Promis heute gar nicht mehr haben, die vermarkten sich lieber selbst - in den sozialen Netzwerken." Im digitalen Journalismus gebe es, sagt Schönburg, eine Industrialisierung der Klatsch-Berichterstattung, die Folge einer ungeheuren Beschleunigung aller Informationskanäle. "Heute geht es weniger um Geschichten, es geht um Bilder, die tausendfach aus der Maschine geschleudert und dann nur noch betextet werden." In manchen Verlagen machten inzwischen studentische Hilfskräfte die Arbeit, die früher ein guter Gesellschaftsreporter gemeinsam mit seinem Fotografen zu absolvieren hatte. "Viele dieser Schnelltexter wissen nicht mal, wie man St. Tropez schreibt."

Zugang zu Stars, zu Hollywood-Größen und nationalen Berühmtheiten haben höchstens noch jene Journalisten, denen beim offiziellen Pressetermin ein 15-Minuten-Slot gewährt wird. Häufig sind dann die eigentlich interessanten Fragen, die nicht dem Zweck der Vermarktung eines Produkts dienen, offiziell nicht zugelassen. Aus dem Tauschgeschäft von einst ist ein einseitiger, restriktiver, streng reglementierter Handel geworden, zugunsten jener, die sich selbst verkaufen. Dabei zeigt die Ausweitung von Gesellschaftsteilen in den großen Zeitungen und Magazinen, dass auch jenseits von Twitter und Facebook ein enormes Klatsch-Interesse besteht. Nicht nur Stern und Bunte, auch Spiegel, FAZ, die Süddeutsche und sogar die Zeit reißen sich darum, wenn es darum geht, eine Prominenten-Beichte zu veröffentlichen. Die seriösen Buchverlage haben seit Jahren jede Menge Bekenntnisware im Angebot. Die Geschichten sind ja da; sie liegen auf der Straße, wie man früher gesagt hätte, in jener Zeit, als es man es noch krachen lassen konnte, ohne von dilettierenden Handy-Paparazzi gestört zu werden.

"Klatsch ist Kommerz, Geld, Profit, eine schöne, einträgliche Mischung."

Aber wer braucht professionelle Reporter und Fotografen, wenn man die Aufmerksamkeit selbst steuern kann? Wenn Elyas M'Barek sein Schlauchboot-Foto, auf dem er mit Waschbrettbauch, unbekannter Begleitung und süßem Hund posiert, lieber selbst unters Volk bringt? Der "Fack-ju-Göhte"-Star hat 2,26 Millionen Freunde auf Facebook, die jeden Schritt verfolgen. Er wäre der ideale Kandidat für eine Paul-Sahner-Kurpackung gewesen. Hat er aber nicht mehr nötig, es läuft ja. Andere, bei denen es nicht so gut läuft, vertrauen vor allem auf ihre Anwälte, um Berichterstatter auf Distanz zu halten. Selbst die Fußballprofis des FC Bayern, die früher testosterongesteuert durchs Münchner P1 zogen und mit ihren Frauengeschichten jedes Sommerloch stopften, haben heute eine fast schon panische Angst davor, sich irgendeine Blöße zu geben. Bastian Schweinsteiger hält öffentlich Händchen mit einer Tennisspielerin, und die Presse dokumentiert das zärtliche Geschehen? Aber nicht doch: ein Eingriff in die Privatsphäre, rufen die Juristen, pfui!

Gelegentlich führt die medienfeindliche Haltung der deutschen Prominenz zu einer grotesken Umkehrung der Verhältnisse. Etwa wenn der Anwalt des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, ein Paragrafenreiter und Generalabwiegler, auf einmal als zentrales Klatschorgan fungiert und die wundersame Wiedervereinigung von Christian und Bettina Wulff von seiner Kanzlei aus verkündet.

Paul Sahner hat das Glück gehabt, dass er seinen Beruf noch relativ frei und privilegiert ausüben konnte. "Klatsch ist Kult", hat er mal gesagt, "Klatsch ist Kommerz, Geld, Profit, eine schöne, einträgliche Mischung." Er flog gerne erster Klasse mit maximaler Beinfreiheit und hörte am liebsten Leuten zu, die das auch taten. Man sollte ihn jetzt nicht in den Himmel loben; viele seiner Gespräche und Geschichten waren schnell vergessen, amüsantes Gequassel. Manchmal aber durften die Leser tiefer blicken, sie bekamen dann dieses kleine Stück vom Leben eines Menschen geliefert, das man mit Kopfschütteln oder einem Lächeln zur Kenntnis nimmt.

Der Mann mit der Samtstimme hat vorgemacht, wie man Leute zum Reden bringt. Wir haben gerne zugehört.

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