Süddeutsche Zeitung

Klassik:Neue Partytour

Die "Symphoniacs" polieren das Image der Klassik auf: Sie arrangieren Vivaldi mit Elektro und "Daft Punk" mit Streichern.

Von Cathrin Schmiegel

Da liegt einer, das Cello umschlungen, mit nacktem Oberkörper im Kingsize-Bett. Die zurechtgezupften Locken fallen ihm über die linke Augenbraue, er blinzelt gegen das Deckenlicht, als hätte es ihn überrascht. Jetzt ist er dort nicht allein. Noch sieben weitere Männer regen sich neben ihm in den zerknüllten Laken, um sie herum verteilen sich leere Schampusflaschen, Instrumente und Noten mit anspruchsvollen Partituren, Zeugen einer durchzechten Partynacht.

Diesen Eindruck soll die Szene zumindest erwecken. Und doch ist sie fiktiv, sie existiert nur auf einem Pressefoto des Plattenlabels Universal. Darauf inszeniert: die Rockstar-Attitüde, gegossen aus dem Dreisatz um Sex und Drogen und Rock 'n' Roll. Sie hat sich in der Musikbranche bewährt, um bloße Hörer in Käufer von Platten und Konzerttickets zu verwandeln. Das kennt und erwartet man sonst von Kanye West und einem seiner protzigen Videos, nur: Die sieben Männer auf dem Bild sind gar keine Rapper, sondern international gebuchte Klassiksolisten samt Produzent. Sie werben so für eines ihrer neuen Musikprojekte, die Symphoniacs.

Auf dem selbstbetitelten Debütalbum mischen sie tradierte klassische Musik mit elektronischer, interpretieren Antonio Vivaldis "Winter" mit Solisten, unterlegen das Stück mit Synthesizern und treibenden Beats aus dem Drumcomputer. Oder sie arrangieren den Remix "Prayer in C" von Robin Schulz zusätzlich mit Steinway Flügeln, Geige und Celli. Ende April geht es in Deutschland auf Tournee

Und tatsächlich: Diese Rockstar-Positur verdeutlicht sehr genau, was man erreichen will mit den Symphoniacs. Das verrät der Produzent und Mann hinter dem Macbook, Andy Leomar. Österreicher, 43 Jahre alt, ausgefranster Kurzhaarschnitt, Jeanshose in schwarzen Boots. Er sitzt in seinem Studio in einem Hinterhof der Schlesischen Straße, Berlin-Kreuzberg, wo die Backsteinhäuser mit Graffiti besprayt sind und einer der Nachbarn Fritz Kalkbrenner heißt. "Unsere Musiker erfüllen nicht das Klischee vom Klassiknerd, der in seiner eigenen Welt und im Proberaum lebt", sagt er. Es seien vielmehr "coole Typen, die einen coolen Lifestyle haben, ausgehen, gern auch in Clubs".

Die Band also bemüht sich um Imagepflege, will "die Virtuosität aus der Clubwelt mitnehmen" und klassische Musik tanzbar machen. Das scheint tatsächlich nötig aus dem Blickwinkel mancher Kulturpessimisten: Im Münchner Gasteig sieht man dieser Tage noch eher Männer mit Monokel als welche mit Jutebeutel. Und Werke von Bach und Brahms tauchen verhältnismäßig selten in den herunterladbaren Playlists der Streamingdienste auf. Mutmaßlich liegt das an den Hörgewohnheiten der Generation unter 50, die Leomar als "Skip, next track"-Mentalität beschreibt: Statt sich auf ein sperriges Stück einzulassen, klicken viele Menschen sofort weiter. "Und in der Klassik wird der Hit nicht in der ersten Minute gemacht", sagt er, lacht auf, fährt fort: "Außer vielleicht bei Tadadadaaa", und meint das erste Thema von Beethovens Fünfter.

Ob die Symphoniacs den Ruf der Klassik entstauben oder ihr eher schaden, darüber lässt sich streiten wie über ein modern inszeniertes Shakespeare-Stück. Denn: Die Interpretationen der Symphoniacs sind gewagt, die Musiker dahinter allerdings talentiert.

Für das Projekt hat sich Andy Leomar, der selbst an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien ausgebildet wurde als Tonmeister und Pianist, in den vergangenen drei Jahren ein paar ambitionierte Klassiksolisten zusammengecastet: den russischen Geiger Yury Revich zum Beispiel, der mit 25 Jahren der Jüngste ist bei den Symphoniacs und zahlreiche Preise gewonnen hat, zuletzt den Echo Klassik als bester Newcomer. Ein anderer ist der 33 Jahre alte Cellist Konstantin Manaev (der mit den Locken auf dem Pressefoto). Er gab sein Orchesterdebüt 2014 in der Berliner Philharmonie, wo er Carl Philipp Emanuel Bach interpretierte. Oder der Amerikaner Colin Stokes, der spielte als Jugendlicher Cello-Konzerte mit dem mehrfachen Grammy-Gewinner Yo-Yo Ma, was schon was heißen will.

Es sind nur drei Beispiele von vielen. Der Pool von Musikern variiert bei den Symphoniacs von Titel zu Titel, von Show zu Show. "Die haben ja alle ihre Solokarrieren", erklärt Leomar, nickt dabei. Sie ihnen nehmen will er nicht, eher etwas dazugeben: "Sie genießen es, auch mal ausbrechen zu können, rebellisch sein zu dürfen."

Wie das genau aussieht, davon vergewissert man sich am besten in einem ihrer Live-Videos auf Youtube - Appetithäppchen vor der Tournee, das erfolgreichste hat mehr als 300 000 Klicks. Neben Neuinterpretationen von Johann Sebastian Bach und Antonio Vivaldi inszenieren sie auch die Hymnen von Jüngeren sehr pompös, den Titel "Aerodynamic" zum Beispiel. Der stammt im Original von Daft Punk, selbst Koryphäen der Electronic Dance Music. Das markige E-Gitarrenriff, das bei den Franzosen nach Van Halen klingt, haben die Symphoniacs gezähmt: Die Solisten spielen es mit Geige, Andy Leomar jagt einen elektronischen Beat hinterher, auch zwei Cellisten und Pianisten setzen ein.

Und noch etwas hat sich das Musikprojekt für ihre Auftritten von Daft Punk ausgeliehen. Das DJ-Duo etablierte diesen Kniff 2006 auf einem der größten Festivals der USA: LED-Lichter bei Bühnenshows, die so grell sind, dass einem komplette Sternbilder vor Augen tanzen. Bei der Neuauflage von "Animals" (der Song machte den damals 17 Jahre alten Dänen Martin Garrix 2013 schlagartig weltberühmt) schießen neongrüne, blaue und violette Linien über die LED-Leinwand. Dazu reißt der Cellist Konstantin Manaev seinen Kopf hoch und runter wie zum Headbanging. Ein anderer tritt im Übermut seinen Klavierhocker quer über die spiegelnde Bühne. Und in der Mitte beugt seine Knie zum Takt: Andy Leomar, Dirigent mit Macbook. Den Stilbruch pflegen die Symphoniacs also auch visuell.

So skurril das alles klingt: Neu ist der Versuch natürlich nicht, die Klassik mit Hilfe anderer Musikstile zu verjüngen. Es gibt einige durchaus populäre Versuche, gemessen in Ticketverkäufen, Preisen und Klicks auf Youtube. Beim britischen Geiger Nigel Kennedy zum Beispiel, der mit dem Irokesenschnitt. Viele nennen ihn schlicht "Violin Punk" oder "Enfant terrible" der klassischen Musik. Und vor ein paar Jahren ging das erste Video um die Welt von zweien, die 2Cellos heißen. Darin duellieren sich eben jene zwei Cellisten - Lederjacke und zusammengekniffene Brauen - zum Titel "Smooth Criminal". Das Ergebnis: 25 Millionen Klicks, es blieb kein Ausnahmeerfolg. Auch Gehversuche in die elektronische Welt wurden schon unternommen. Lindsey Stirling zum Beispiel: Die 30-Jährige schart zehn Millionen Youtube-Abonnenten hinter sich, die es nicht verpassen wollen, wenn sie wieder den preisgekrönten Dubstep unter ihr Violinenspiel legt und dabei rumspringt wie bei Riverdance.

Im Studio in Kreuzberg denkt Andy Leomar über diese Interpreten nach und erzählt schließlich vom Reiz, den Jüngeren "die Skills der virtuosen Musiker" näherzubringen. Doch die Künstler verbindet noch etwas anderes, nämlich die zum teil heftigen Reaktionen der Hörer. Tatsächlich teilen sich die Kritiker in zwei Lager. Da gibt es die, die den Symphoniacs das Rockstar-Image gerne abkaufen (die Bild-Zeitung schreibt etwa "So sexy kann Klassik sein" und ruft das Projekt gleich zur "neuen Boygroup" aus). Und diejenigen, die sich erst gar nicht äußern und lieber heimlich die Nase rümpfen.

"Es ist schade, dass dem Crossover so ein negatives Image anhängt", sagt Leomar dazu. "Es ist doch erlaubt, auch mal anders ranzugehen, mit seinem musikalischen Können was Neues zu machen." Da fällt ihm auch direkt ein Komponist ein, der sich vor langer Zeit schon Vorwürfe anhören musste: der italienische Geiger Niccolò Paganini (1782 - 1840). Der habe das Instrument mit neuen Griffen ebenfalls "bis ins Extreme" ausgereizt. "Das fanden bestimmt auch nicht alle toll." Und trotzdem wurde Paganini schon zu Lebzeiten gefeiert, als erster Star überhaupt in seinem Genre.

Jetzt wäre es unfair zu erwarten, dass die Symphoniacs einen ähnlichen Hype auslösen, wenn sie auf Tour gehen. Da bleiben sie zumindest bei der Ortswahl in ihrer Komfortzone: Sie treten auf in den großen deutschen Konzerthäusern. Vermutlich trägt irgendwer Monokel.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2017
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