Klangforscher über Lärm:Berlin hallt, München knirscht

Berlin hallt, München knirscht

Breite Straßen in Berlin (links), Biergärten in München (rechts) - das wirkt sich auf den Klang der Städte aus.

(Foto: dpa/ Robert Haas)

Die Geräuschkulisse von Orten spielt in der Stadtplanung eine immer größere Rolle. Warum das so ist, kann Klangforscher Thomas Kusitzky erklären. Er unterrichtet an der Universität der Künste in Berlin.

Von Dorothea Wagner

SZ: Welches Geräusch mögen Sie besonders gerne?

Thomas Kusitzky: Einen Klang aus meiner Kindheit. Ich komme aus einer ländlichen Gegend in der Nähe des Schwarzwaldes. Dort hörte ich am Wochenende im Sommer immer in der Ferne die Propellermaschinen der Hobbypiloten. Auch wenn viele das Motorengeräusch als störend empfinden - ich verbinde es mit schönem Wetter und Freizeit.

Viele empfinden Verkehrslärm sogar als belastend - einer aktuellen Studie zufolge stört er sogar jeden zweiten Großstadtbewohner.

Meiner Meinung nach ist Verkehrslärm ein Problem, weil er ständig präsent ist. Man kann vor ihm schlecht fliehen. Hinzu kommen die negativen Assoziationen, die man damit verbindet - Abgase, die die Gesundheit gefährden, beispielsweise.

Trotzdem ziehen immer mehr Menschen in die Stadt, sogar in laute Szeneviertel. Wie kommt das?

Menschen nehmen Klänge sehr unterschiedlich wahr, je nachdem in welcher Stimmung und Lebensphase sie gerade sind. Ich glaube, dass gerade junge Menschen das ständige urbane Rumoren als positiv empfinden, weil sie das Gefühl haben, dass etwas um sie herum passiert. Werden sie älter, verändert sich oft auch ihre Einstellung dazu - und der Klang des Viertels wandelt sich mit den Lebensgewohnheiten seiner Bewohner.

Wie meinen Sie das?

Die Bewohner eines Viertels handeln aus, wie ihre Nachbarschaft klingt. Wo viele junge Menschen wohnen, wird eher toleriert, wenn noch spät abends viele Leute auf der Straße zu hören sind. Wenn sie aber älter werden und beispielsweise Kinder bekommen, wünschen sie sich am Abend vielleicht mehr Ruhe. Entweder ihre Nachbarschaft passt sich langsam an, weil diese Generation nun in der Überzahl ist, es kommt zu Konflikten oder die Familie entscheidet sich für einen Umzug.

Bei der Stadtplanung spielen die Ergebnisse der Klangforschung eine immer wichtigere Rolle. Woher kommt das?

Stadtplaner interessieren sich nicht mehr nur dafür, ob es in einer Umgebung zu laut ist. Immer häufiger geht es auch darum, welche Klänge Identität stiften oder als angenehm empfunden werden. Es könnte zum Beispiel eine falsche Entscheidung sein, eine alte, quietschende Straßenbahn aus Lärmschutzgründen zu ersetzen, da ihr Klang als charakteristisch und Teil der Heimat empfunden wird.

"Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern leise"

Unterscheidet sich der Klang deutscher Städte von anderen internationalen Metropolen?

Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern leise. Das liegt unter anderem an der Kultur. Hier wird beispielsweise wenig gehupt. Aber auch das Klima bestimmt den Klang. In Deutschland sitzen die Leute abends nicht so lange draußen - einfach, weil es dafür in den meisten Monaten schnell zu kalt ist.

Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?

Wirtschaftliche Aspekte. In Peking beispielsweise fuhren in den neunziger Jahren die meisten noch Fahrrad. Jetzt steigt der Wohlstand und immer mehr Menschen besitzen ein eigenes Auto - dadurch wächst der Verkehrslärm.

Und innerhalb Deutschlands - gibt es da große Unterschiede?

Hamburg hat die typischen Klänge einer Hafenstadt. In München prägt beispielsweise der Englische Garten den Klang - eine riesige Grünfläche mitten im Zentrum. Charakteristisch für bayerische Städte sind auch die Klänge der Biergärten - der knirschende Kies, die klackernden Bierkrüge, die Blasmusik. Ein Biergarten in Berlin mit einer solchen Geräuschkulisse wäre vermutlich für manche Besucher irritierend und könnte als unpassend für diese Stadt empfunden werden.

Wie klingt Berlin?

In Berlin gibt es sehr breite Straßen, die von hohen Häusern umrandet werden. Das erzeugt einen besonderen Hall. Stellt man sich nachts bei weniger Verkehr in eine Straße und klatscht, merkt man erst, wie sehr es hallt. In mittelalterlichen Städten wie Erfurt mit kleinen, verwinkelten Straßen, breitet sich der Schall ganz anders aus. Viele Menschen nehmen das unbewusst wahr, es trägt zum typischen Klang der jeweiligen Stadt bei.

Welcher Ort gefällt Ihnen vom Klang her gar nicht?

Ich finde das Sony Center am Potsdamer Platz nicht so gelungen. Dort gibt es das "Forum", einen überdachten Platz. Wie der Name schon nahelegt, wurde ein städtischer Platz angestrebt, auf dem sich die Menschen treffen und austauschen. Tatsächlich sind dort viele Besucher, aber von ihnen ist wenig zu hören. Die Lüftungs- und Verkehrsgeräusche sind im Vordergrund. Der Platz ist merkwürdig stumm und erinnert mich an einen Flugzeughangar.

Was halten Sie von klassischer Musik an U-Bahn-Haltestellen?

Da bin ich sehr skeptisch. Musik - egal welcher Richtung - ist an öffentlichen Plätzen meistens unangebracht. Sie wird den Menschen letztlich aufgezwungen. In Cafés kann Musik angenehm sein, aber dafür entscheiden sich die Besucher ja bewusst.

Als Klangforscher beschäftigen Sie sich den ganzen Tag mit Geräuschen. Wie empfindlich sind Sie, wenn es mal lauter wird?

Ich bin nicht sehr lärmempfindlich. Oft finde ich die Klänge meiner Umwelt eher interessant, als dass sie mich stören. Gerade im Sommer öffne ich gerne mal das Fenster, um stärker das Gefühl zu haben, mit der Stadt verbunden zu sein.

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