Süddeutsche Zeitung

Kirchen:Gottes Influencerin

Jana Highholder ist die erste christliche Youtube-Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland. Über den manchmal recht verzweifelten Versuch, eine jahrhundertealte Institution neu zu erfinden.

Von Dora Volke

Eine junge Frau mit blauen Augen sitzt auf einem gelben Sofa. Auch ihr Strickpulli ist blau, ebenso die Decke neben ihr. Im Hintergrund: Bücher, eine Lichterkette, Ikea-Kissen. Jana, so heißt die Frau, lacht viel. Ab und zu schüttelt sie ihre blonden Locken. Oder sie lehnt sich nach vorn, um zu unterstreichen, was sie sagt. Etwa: "Glaube ist nicht Teil meines Lebens, sondern das Fundament." Ihr Youtube-Video hat mehr als 10 000 Aufrufe, 120 Kommentare, 1071 Menschen haben Jana abonniert. Das Video dauert drei Minuten und 32 Sekunden, hochgeladen wurde es am 13. April. Dann schrieb jemand darunter: "Verdummbibelung 2.0".

190 000 Menschen sind 2016 aus der evangelischen Kirche in Deutschland ausgetreten, 162 000 aus der katholischen. Auf Youtube folgen immerhin 1000 Menschen "Jana glaubt", dem neuen Kanal der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Ziemlich wenig. Dennoch die Frage: Gott geht online. Wie macht er sich dort?

Am Anfang war das Wort

Eine so geschichtsträchtige Institution wie die Kirche steht immer zwischen Tradition und Moderne. Das wurde auch jetzt wieder auf dem Katholikentag in Münster deutlich. Die Frage ist: Wie sollen Pfarrer mit den uralten Werten die Aufmerksamkeit 13-jähriger Konfirmanden oder Firmlinge ergattern? Jesus hat immerhin vor 2000 Jahren gepredigt, analog, ohne Kamera oder Twitterfeed. Seitdem hat sich die Medienlandschaft radikal verändert - nicht erst durch das Internet. Eine mediale Revolution gab es schon im 15. Jahrhundert, mit dem Buchdruck. Ohne Luther, aber genauso ohne Gutenberg: keine Reformation. Die Kirche spaltete sich, ja.

Gleichzeitig trug die Reformation dazu bei, dass nicht mehr auf Latein gepredigt wurde. Gott wurde zugänglicher. Eine Demokratisierung Gottes sozusagen. In die Richtung trugen dann auch Radio und Fernsehen: Auf einmal musste man sich nicht mehr in die Kirche schleppen, um die Messe zu hören. Das ging auch im eigenen Wohnzimmer. Und heute? Die sozialen Medien verändern radikal unsere Art zu kommunizieren. Und die Kirche folgt: In Wittenberg ist gerade die Idee entstanden, Psalmen in 140 Twitter-Zeichen umzuschreiben: #twalm. Bei "Vatican News", dem Nachrichtenportal des Vatikan, arbeiten 650 Mitarbeiter. Und dann ist da eben Jana, die EKD-Youtuberin.

Gottes Influencerin

Jana Highholder ist 19 Jahre alt, studiert Medizin und steht seit 2014 auf Poetry-Slam-Bühnen. Publikum ist sie gewohnt. In ihren Videos zeigt sie sich wie alle Influencer: persönlich. Eher beste Freundin als Produktverkäuferin. Jana wirbt weder für Mode noch für Make-up. Sie macht Marketing für Gott. Jana erzählt von einer schweren Krankheit, von ihrem Alltag, dem jüngsten Kneipenbesuch. Und trotz aller Vorbehalte gegen Influencer glaubt man ihr, wenn sie sagt: "Das ist für mich wahr. Unumstößlich und kompromisslos. Aber ich verstehe, dass du eine andere Wahrheit haben kannst, die für dich genauso wahr ist."

Jana ist nicht die Einzige, die Kirche hip und cool machen will. Im Dezember feierte die evangelische Jugend Charlottenburg-Wilmersdorf einen Instagram-Gottesdienst - mit immerhin 236 Aufrufen. Im niedersächsischen Walsrode wird derzeit eine Kollekten-App getestet. So sieht er aus, der digitale Dienst am Herrn.

Habemus Twitter

Dass Glockengeläut 17-Jährige heute nicht mehr in die Kirchenbank lockt, das wird den Kirchen immer bewusster. "Erschließt sich die Kirche den digitalen Raum nicht, verpasst sie einen entscheidenden Lebensraum junger Menschen", sagte der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, kürzlich in einem Interview. Thomas Dörken-Kucharz vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, zuständig für Janas Youtube-Kanal, fragt: "Welcher Pfarrer kann heute noch Konfirmandenarbeit ohne Whatsapp machen?"

Online-Portale, Facebook- und Twitter-Accounts: Gottes Stellvertreter auf Erden geben sich alle Mühe. Selbst der Papst twittert: "Der Herr ruft jeden von uns zur Heiligkeit, auch dich!" Natürlich mit Hashtag: #Heiligkeit. Was gut ankommt, sind Stellungnahmen zur Tagespolitik. Markus Söders Kreuzrittertum zum Beispiel wurde auch auf den Kirchenkanälen zerpflückt. Doch den alten Institutionen fehlt es oft an jugendlicher Leichtigkeit. "Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen? Im Evangelium bekommen wir die Antwort darauf", twittert katholisch.de. So richtig rockt das nicht.

Liebe deinen Nächsten

Fehlende Leichtigkeit ist nicht das einzige Problem der Kirchen im digitalen Zeitalter. Das andere sind auf Shitstorms abonnierte Schreihälse. Stichwörter wie Gender, Homosexualität oder Geflüchtete lösen "zunehmend Verunglimpfung" im Netz aus, heißt es in einer Studie der evangelischen Kirche aus dem Jahr 2017. Auch Jana bekommt den Hass zu spüren. "Schlimmer geht's kaum. Youtuberin und Christin. Was für ein toxischer Müll", schreibt jemand unter ein Video, in dem sich die 19-Jährige in Jogginghose und ungeschminkt über ihr neu aufgenommenes Hörbuch freut. Sie lerne, mit solchen Kommentaren so umzugehen, dass die sie nicht verletzen, sagt Jana. Aber klar: Mit ihren persönlichen Geschichten bietet sie eine Angriffsfläche, das weiß sie. Kürzlich wurde ihr Kanal sogar Ziel eines Angriffs, offenbar von gesteuerten Computerprogrammen: Innerhalb eines Tages hagelte es auf einmal 1000 Negativbewertungen - zum Beispiel aus Russland und der Ukraine.

Arbeit und Mühe, Tag und Nacht

Wie und ob Kirche online präsent sein soll, das wurde jetzt auch wieder auf dem Katholikentag in Münster diskutiert. Für den gab's natürlich auch eine spezielle App. Sie zeigte, wie voll eine Veranstaltung gerade ist. Auch auf der Konferenz re:publica haben internetaffine Christen überlegt, wie christliche Ethik in die Netzpolitik eingebracht werden kann. Michael Jacob, kirchlicher Datenschutzbeauftragter, kritisierte dort: "Man hat manchmal den Eindruck, dass bei einigen Menschen alle Tabus fallen." Während die einen ihre "intimsten Sachen einer breiten Öffentlichkeit" mitteilten, hätten andere Spaß an der Denunziation. Auch für die Kirchen sei das eine große Herausforderung. Doch ihr Bemühen kommt selbst bei den eigenen Mitgliedern nicht immer an: 20 Millionen Mitglieder hat die evangelische Kirche in Deutschland. Bei Facebook aber gefällt sie nur 18 877 Nutzern.

Der englischsprachige Papst-Account bei Twitter wiederum hat 17,7 Millionen Follower. Doch Donald Trump hat fast dreimal so viele. Wie formulierte es auf dem Katholikentag Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert? "Ich bitte Sie alle, ins Netz zu gehen, damit da auch die zivile Gesellschaft vertreten ist und nicht nur die Idioten." Aber auch radikale christliche Gruppen säen Hass: In Brasilien ist das Goethe-Institut gerade mit mehr als 2000 Hass-Botschaften auf Facebook überzogen worden. Der Grund: Religiöse Fanatiker empörten sich über ein freches Graffito in einer Ausstellung.

Ich bin der Weinstock

Alte Institutionen versuchen sich an neuen Medien - eine Patentlösung gibt es dafür nicht. Allerdings, will man einem Tweet des Papstes glauben, braucht die Kirche das Internet gar nicht, um jung zu bleiben. Denn: "Die Kirche ist jung, weil das Evangelium wie ein Lebenssaft ist, der sie immer wieder erneuert."

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Quelle:
SZ vom 15.05.2018
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