David Berger sagt, dieses Gefühl habe er nicht gekannt und er sei erschrocken, als er es zum ersten Mal spürte. Es war vergangenes Jahr im August, nachts. Er spazierte mit seinem Hund Nico durch den dunklen Park vorm Haus, da hörte er Schritte hinter sich. Ziemlich schnelle Schritte. Sie kamen näher. Und jetzt spürte er es im Nacken, dieses neue Gefühl. Erst spannten sich die Nackenmuskeln, dann der ganze Körper. Es war ihm klar: Das also muss Angst sein. Die Schritte verhallten in der Ferne. Die Angst blieb. Dieser Moment fühlte sich an wie eine Niederlage.
Als Theologe war David Berger Traditionalist, er sammelte sakrale Gewänder und beschäftigte sich mit Thomas von Aquin. Seine Homosexualität hat der Lehrer lange verborgen.
(Foto: Jo Goede)Er redet offen darüber. Denn eines Tages hat David Berger entschieden, über alles offen zu reden, was ihn bewegt: was ihn beglückt, was ihn bedrückt, was ihn verletzt. Es war der Tag, an dem er merkte, dass er unter seiner Lebenslüge leidet. Der Tag im April 2010, an dem er in einem Zeitungsbeitrag sagte: Ich bin schwul. Ein halbes Jahr später war der Artikel zu einem Buch von 300 Seiten gewachsen. Ein Bestseller über Bergers Leben mit der Lüge - und über Heuchelei und Verlogenheit in der katholischen Kirche. Seitdem bekommt er Drohungen.
Eine der ersten war mit einem Link zu einem Video und der Ankündigung "So machen wir es mit dir auch" versehen. Auf dem Film sprangen Skinheads auf den Kopf eines am Boden liegenden Afrikaners. In einem Internetforum schrieb einer: "Solche Menschen haben kein Lebensrecht." Diese Mail ging kurz vor Weihnachten bei ihm ein: "Herr Berger, Sie sind eine Schande für unsere heilige Kirche!!!! Hören Sie auf in den Medien über unseren Glauben abzulästern!!!! Ich warne Sie!!!!! Ich kenne einige Leute, die Ihnen etwas in den nächsten Tagen antun wollen!!! Also entschuldigen Sie sich bei der Kirche, nehmen Sie Ihre Äußerungen zurück!! Verstanden??" Er leitete die Mail an die Polizei weiter. Die Angst hat sich verringert, aber er wird sie nicht mehr los. Jetzt soll das Buch verfilmt werden. Wie viele Drohungen werden ihn dann erst erreichen?
David Berger ist 43 Jahre alt, Doktor der Theologie und Doktor der Philosophie, Gymnasiallehrer für das Fach Deutsch in Köln. Seit 22 Jahren lebt er mit seinem Partner zusammen. In einer offenen Beziehung. Er hat Umgang mit anderen Männern und sagt, dass Treue sich in seiner Partnerschaft durch andere Gesichtspunkte manifestiere. "Wir haben unsere Liebe durch den Glauben vertieft. Ich behaupte, dass ich eine vorbildliche Beziehung führe." Nein, er hat wirklich nichts zu verbergen. Nicht mehr.
Es war im vergangenen Herbst. Bergers Partner surfte durch das Schwulenforum Gay Romeo. Gay Romeo ist keine öffentliche Plattform, hier sind Schwule unter sich. Bergers Partner fiel auf, dass Bergers Profil stundenlang auf den Status "In Bearbeitung" geschaltet war. Aber Berger selbst konnte nicht online gewesen sein, er stand in der fraglichen Zeit vor einer Schulklasse. Ein Fremder muss sich eingeloggt haben. Kurz darauf stand das Profil auf einer Internet-Seite, die ihren Besuchern laut Untertitel "Katholische Nachrichten" serviert. Sie heißt kreuz.net.
Bloßstellung im Internet
Auf einem der Fotos ist Berger so gut wie nackt zu sehen - nur sein Geschlecht ist verdeckt, mit einem schwarzen Balken. Neben den Fotos stehen seine intimsten Maße und Daten, seine sexuellen Vorlieben. All das hat Berger inzwischen aus seinem Gay-Romeo-Profil gestrichen, um sich vor weiteren Bloßstellungen zu schützen. Allein auf der Internet-Seite, die für sich in Anspruch nimmt, katholisch zu sein und also auch christlich, ist es noch zu sehen. Die Seite begreift sich offenbar als Pranger, sie bezeichnet Männer wie Berger als Gomorrhisten und Urinduscher.
Ecce homo! Der Ausspruch stammt von Pilatus, vor ihm stand der ausgelieferte Christus, die Dornenkrone auf dem Haupt. Homo - das sagen auch Homophobe, wenn sie über Homosexuelle reden. Schwulengruppen haben den Pilatus-Satz übernommen. Ecce homo - der nackte Berger, ausgeliefert im Internet, und drüber prangt ein Gemälde des Gekreuzigten, mit dem sich kreuz.net präsentiert.
Immerhin, die deutschen Bischöfe distanzieren sich mehr als deutlich von der Seite. "Die dort betriebene Hetze ist mit dem christlichen Menschenbild und der Glaubenslehre der katholischen Kirche ebenso wenig vereinbar wie mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung", teilt etwa das erzbischöfliche Ordinariat in München mit, und das Bistum Trier schreibt: "Insbesondere die auf kreuz.net betriebene gezielte Hetze gegen einzelne Personen ist an Verwerflichkeit kaum zu überbieten. Der Ton, den die Macher von kreuz.net anschlagen, ist aggressiv, beleidigend und menschenverachtend und daher aus christlicher Sicht völlig inakzeptabel." Mit der Kirche habe das nichts zu tun. Aber mit Berger wollen die Bischöfe auch nichts mehr zu schaffen haben, er ist ja schwul und bekennt das auch noch.
Bergers Passwort zu knacken, war nicht allzu schwer. Viele wählen für ihre Zugangscodes Namen von Menschen, die ihnen nahestehen, die Namen der Kinder oder der Großmutter. Bei Berger war es "Aquin". Der mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin hatte Berger von Jugend an beschäftigt, mit Abhandlungen über ihn hatte er sich als Theologe einen Namen gemacht. Auf Aquin berufen sich konservative Theologen gerne. Von ihm stammen Leitsätze wie "Das Weib ist dem Mann untertan wegen der Schwäche ihrer Natur und wegen der Kraft des Geistes und des Körpers im Manne", aber auch "Alles, was gegen das Gewissen geschieht, ist Sünde".