Kindheit:Alte Kinderzimmer: Im Mausoleum der Gefühle

Kindheit: Das alte Jugendzimmer unserer Jugend beherbergt Erinnerungen an eine Zeit, als pinke Fanta schwer angesagt war.

Das alte Jugendzimmer unserer Jugend beherbergt Erinnerungen an eine Zeit, als pinke Fanta schwer angesagt war.

(Foto: dpa; imago/ecomedia/robert fishman; wiki commons; Collage: SZ.de)

Ob Kuscheltierfriedhof oder Herrenzimmer, die Schicksale alter Kinderzimmer sind so verschieden wie ihre einstigen Bewohner. Redakteure erzählen von zu Hause.

Wer als junger Erwachsener Zuhause auszieht, hinterlässt einen leeren Raum: Das Kinderzimmer. Das können Eltern und Geschwister nutzbar machen oder in liebevoller Erinnerung bestehen lassen. Oder es wird zur Abstellkammer. Unsere Redakteure erinnern sich an die Räume ihrer Kindheit.

Kakteen im Herrenzimmer unerwünscht

Jahrelang haben meine Eltern mein altes Zimmer nur betreten, um die Kakteen zu gießen, die dort verwaist herumstanden. Jedes Mal, wenn ich sie besuchte, fand ich den Raum exakt so vor, wie ich ihn mit 19 Jahren bei meinem Auszug verlassen hatte: Alle Möbel waren noch da, außerdem Bilder von einem Sommerurlaub aus dem Jahr 2006, ein Audrey Hepburn-Poster an der Tür, jene drei Kakteen meiner Großmutter - und viele andere Gegenstände, die ich nie vermisst habe, aber auch nicht wegwerfen wollte.

Während meines Studiums bin ich fünf Mal umgezogen. Nie war mir ein Zimmer so vertraut, wie der zwölf Quadratmeter kleine Raum im Haus meiner Eltern im Ruhrgebiet, an dessen Tür auch noch sieben Jahre nach meinem Auszug mein Name aus bunten Holzbuchstaben klebte. Im vergangenen Herbst, kurz vor meinem 27. Geburtstag, beschloss mein Vater jedoch, dass er gerne ein Herrenzimmer hätte. Und zwar sofort. Noch am selben Tag entfernte er den Namenszug an der Tür, räumte alle Schränke aus, schraubte mein Bett auseinander und baute es im Dachgeschoss wieder auf. Ich erinnere mich noch an das Ziehen in der Brust, als mir meine Mutter später am Telefon erzählte, dass mein Zimmer jetzt Papa gehört.

Zweimal habe ich meine Eltern seitdem besucht, und es hat immer ein bisschen weh getan. Ohne einen eigenen Rückzugsort fühle ich mich in dem Haus nur noch wie ein Gast. Aber genau das bin ich eigentlich auch, und zwar schon seit Jahren. Mittlerweile lebe und arbeite ich im mehr als 600 Kilometer entfernten München. Trotzdem habe ich lange Zeit gesagt, ich sei am Wochenende "zu Hause", wenn ich zu meinen Eltern ins Ruhrgebiet gefahren bin. Das ist jetzt vorbei. Mittlerweile sage ich: "Ich besuche meine Eltern".

Vor einigen Wochen hat meine Mutter mich besucht. Als ich sie am Hauptbahnhof München abholte, drückte sie mir eine Tüte in die Hand. Der Inhalt: meine drei Kakteen.

Sonja Salzburger

Dreieinhalb Quadratmeter Luft

So eine Kinderzimmerkarriere kann ein steiler Aufstieg sein. Bereits im Teenager-Alter gelang mir die Expansion von einem Zimmer auf zwei. Der Preis war ein Umzug aufs Land. Dafür bekam ich ein luxuriöses Reich mit eigenem Bad, das mir auch dann noch zur Verfügung stand, als ich nur noch alle paar Wochen nach Hause kam.

Der tiefe Fall kam im Winter 2013, als meine Eltern beschlossen, wieder in die Stadt zu ziehen - in eine kleinere Wohnung, dafür mit größerer Terrasse. Ich fiel weich: auf eine sich selbst aufblasende Queensize-Luftmatratze, die während meiner Anwesenheit mein Reich zwischen Kommode und Schreibtisch im Arbeitszimmer meiner Eltern markiert. Eine Art Pop-up-Kinderzimmer, das aus zwei Schubladen besteht und dreieinhalb Quadratmeter Luft, umhüllt von samtbezogenem Gummi.

Klingt nach wenig, ist aber eine ungeheure Befreiung. Niemand, der nur alle zwei Monate zuhause ist, braucht ein eigenes Zimmer, in dem CDs vor sich hin stauben. In dem ein alter Sessel mit Alf-Kissen steht, auf dem sich Bügelwäsche türmt, weil die Eltern das Zimmer ja doch ganz gut gebrauchen können.

Wenn ich jetzt abreise, kommt die Matratze wieder in den Keller, neben dem Schreibtisch wird das Bügelbrett aufgebaut. Es bleibt nichts außer einem wohligen Gefühl - und leichten Rückenschmerzen.

Felicitas Kock

Mausoleum für Nostalgiker

Mein altes Kinderzimmer ist ein Mausoleum. "Und das bleibt so." Bis mein Papa stirbt - O-Ton. "Eure Kinderzimmer bleiben, wie sie sind - solange ich lebe." Mit diesen Worten wiegelte mein Vater den Vorschlag ab, seine heiß geliebte Modelleisenbahn in meinem alten Kinderzimmer aufzubauen. Stattdessen renovierte er lieber den Speicher und quält sich seitdem mit Rückenleiden eine steile Treppe unters Dach hinauf. Hauptsache, mein Kinderzimmer bleibt unangetastet.

Mein Vater ist nun mal ein Nostalgiker. Natürlich ist es schön, in meinem Bett zu schlafen und nicht auf eine behelfsmäßige Ausziehcouch zu müssen. Aber es wirkt schon ein wenig befremdlich, unter dem Poster der Doors einzuschlafen, die ich schon seit Jahren nicht mehr höre - und morgens auf ein Plakat des Schultheaters von 1997 zu schauen, das die Lysistrata von Aristophanes ankündigt. In der Vitrine lagert die zurückgelassene Schullektüre, im Schrank die Kinderbibel. Als wäre die Zeit stehengeblieben.

Aus dieser eingefrorenen Kindheits-Kulisse zurück in den Alltag zu finden, ist schwierig. Aber was tut man nicht alles - für Papa, den Nostalgiker.

Carolin Gasteiger

Das Beste für die Gäste

Mein Zimmer war winzig, genau wie das meiner Schwester nebenan. Ganze sechs Quadratmeter standen uns jeweils zur Verfügung. Wir mussten ständig improvisieren und ziemlich viel auf- und zuklappen. Dennoch war es prima so, denn die Alternative - ein doppelt so großes, aber gemeinsames Zimmer, wie in den Wohnungen gegenüber - war keine. Ein harmonisches Geschwisterleben in Stockbetten war nicht so unser Ding, wenn Sie verstehen.

Als ich auszog, hinterließ ich ein paar leere Schränke und ein Einbaubett. Zugleich emanzipierte ich mich damit von einer Ära des Ein- und Ausklappens. Sonst passierte zunächst nichts, meine Schwester wohnte weiterhin in ihrem kleinen Zimmer. Dann, als auch sie eine eigene Wohnung hatte, fiel die Mauer. Wo früher mein Bett stand, befindet sich nun eine Gästecouch. Die einstige Zimmerfläche meiner Schwester wird nun nahezu vollständig von einem viertürigen Monsterschrank besetzt.

Das bedeutet, dass sporadische Gäste für ein, zwei Übernachtungen doppelt so viel Platz haben wie wir Dauerbewohner damals hatten. Ist das gerecht? Nun, es ist zumindest nicht weiter schlimm. Da ich in derselben Stadt wohne, habe ich auf der Gästecouch in den vergangenen 25 Jahren noch nie eine Nacht verbracht. Und darüber bin ich wirklich froh, denn: Das Design von diesem Ding würde mir den Schlaf rauben. Aber verraten Sie es nicht meiner Mutter.

Violetta Simon

Im Kinderzimmer wird jetzt gegessen

Etwa ein halbes Jahr blieb mein Kinderzimmer nach meinem Auszug noch so, wie es war. Dann schnappte es sich meine kleine Schwester. Als ein paar Jahre später dann mein Bruder auszog, übersiedelte sie in sein Zimmer.

Damit war der Weg frei für die Umbaupläne meiner Eltern: Sie rissen die Wand zwischen der Küche und meinem alten Zimmer ein. Wo früher mein Bett stand, steht jetzt der Lesesessel, an meinem einstigen Fenster der Esstisch.

Ich finde das wirklich gut. Denn was ist bitteschön schlimmer als die Vorstellung von Eltern, die in einem Haus voller verwaister Kinderzimmer alt werden?

Hannah Beitzer

Wo das Chaos lebt

Als ich zum Studieren nach Wien ging, nahm einer meiner Brüder mein Kinderzimmer in Beschlag. Keine zwei Stunden hatte ich da im Zug gesessen, erzählte mir meine Mutter später. Meine verbliebenen Möbel und Habseligkeiten räumte mein Bruder in das kleinste freie Zimmer, das wir zu Hause übrig hatten. Genauer gesagt: Er machte sich zwar die Mühe, alles rüberzuschleppen. Das Ganze halbwegs ordentlich aufzubauen und zu verstauen, war ihm dann aber schon zu viel.

Nachdem ein Bruder den Grundstein für das neue Chaos-Zimmer gelegt hatte, zogen die anderen beiden nach. Mein Zimmer ist inzwischen zum Abstellraum der ganzen Familie geworden. Alte Spielekonsolen, aussortiere Klamotten, dutzende DVDs, CDs und Bücher - was meine Brüder nicht mehr brauchen, schaffen sie in das Zimmer am Ende des Flures. Irgendwo zwischen diesem Chaos steht mein Bett, zu dem ich mir jedes Mal den Weg freikämpfen muss, wenn ich zu Hause bin. "Du bist ja eh kaum da", lautet ihre Rechtfertigung.

Als ich dann doch mal da war, hatte ich endgültig genug. Ich packte alles, was nicht dorthin gehörte, in die Zimmer meiner Brüder und räumte penibel auf. Danach verließ ich das Haus. Als ich zurückkam, fand ich den ganzen Kram wieder exakt so in meinem Zimmer verteilt wie zuvor. Ich war nicht einmal zwei Stunden weg gewesen.

Max Sprick

Papa ante Notebook

Verändert hat sich in meinem Kinderzimmer auch nach 15 Jahren kaum: Die Bilder aus der Jugendzeit hängen noch an der Wand, das Bett ist nun eher eine Ablage für Kleider und auf dem Tisch steht ein Computer. Kein C64 mehr, auch kein 486er mit Pentium 2 Prozessor, sondern ein aktuelles Notebook mit Widescreen Monitor.

Mit meinem Auszug von zu Hause hat sich mein Vater das erste mal als Autodidakt mit Computern beschäftigt. Es hat etwas gedauert, bis er damit klar kam, jetzt aber sitzt er regelmäßig in meinem ehemaligen Kinderzimmer und surft, bearbeitet Digitalfotos und schaut Videos.

Seit er Opa geworden ist, gibt es auch eine regelmäßige Liveschalte per Skype-Videokonferenz ins ehemalige Kinderzimmer, von wo aus Oma und Opa die neuesten Entwicklungen des Sprösslings im fernen München verfolgen können - im Hintergrund sehe ich dann immer die Bilder aus meiner Jugendzeit.

Daniel Schumacher

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