Kindeswohl:Der BGH stärkt die gleichberechtigte Betreuung von Scheidungskindern

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Männer engagieren sich inzwischen deutlich stärker in der Kinderbetreuung als noch vor zwei, drei Jahrzehnten. (Foto: Catherina Hess)
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Grundsatzentscheidung gefällt. Das Wechselmodell zur Betreuung kann nun auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden.
  • Geklagt hatte ein Vater, der seinen Sohn im Wochenwechsel ganz bei sich haben wollte. Die Mutter wollte dies unterbinden, der Junge selbst war unentschieden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Begriff "Wechselmodell" dürfte den meisten Eltern nicht vertraut sein - das Problem dagegen schon: Könnten die Kinder nach einer Scheidung nicht doch bei beiden Eltern bleiben, im wöchentlichen Wechsel zwischen Vater und Mutter? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun eine Grundsatzentscheidung gefällt. Er dürfte damit das Wechselmodell, also die gleichberechtigte Betreuung von Scheidungskindern, einen wichtigen Schritt vorangebracht haben.

Das Wechselmodell ist, wenn man so will, eine Folge der sich verändernden Vaterrolle. Männer engagieren sich inzwischen, etwa über die Elternzeit, deutlich stärker in der Kinderbetreuung als noch vor zwei, drei Jahrzehnten. Dadurch wächst der Wunsch, die gewachsenen Beziehungen zu den Kindern auch nach einer Scheidung fortzusetzen. Das alte "Residenzmodell" des Familienrechts - das Kind bleibt bei einem Elternteil, der andere ist auf gelegentliche Besuchskontakte beschränkt - wird dieser Interessenlage nicht mehr vollständig gerecht.

Geklagt hatte im BGH-Fall der Vater eines 2003 geborenen Sohnes. Das Paar hatte sich 2012 nach mehr als 20 Jahren Ehe getrennt. Das Sorgerecht teilten sich die Eltern, wie dies inzwischen bei immerhin 96 Prozent der Scheidungen der Fall ist. Doch das Sorgerecht steht nur auf dem Papier; im Alltag lebt der Junge bei der Mutter und verbringt nur alle 14 Tage ein Wochenende beim Vater. Der aber will den Jungen im Wochenwechsel ganz bei sich haben - was die Mutter unterbinden möchte. Der Junge ist, kaum verwunderlich, irgendwie hin- und hergerissen. Es wäre nicht schlimm, wenn er jede zweite Woche zum Papa gehen würde, sagte der dem Jugendamt, "es muss aber auch nicht sein".

Umstritten war bisher, wie mit so einer Pattsituation umzugehen sei. Für die Gerichte war das Thema bisher bei fehlendem Elternkonsens erledigt: Wenn die Eltern sich nicht einigen konnten, wurde die gleichmäßige Betreuung abgelehnt. In Wissenschaft und Praxis ist dagegen seit einigen Jahren der Ruf lauter geworden, die Eltern in bestimmten Fällen mit sanftem Druck zur Kooperation zu zwingen. Das Veto eines Elternteils, oftmals der Mutter, könne nicht das letzte Wort sein. Weil es nicht ums Elternrecht gehe, sondern ums Kindeswohl.

Nur vier Prozent der Scheidungskinder leben im Wechsel bei Vater und Mutter

Dieser Linie hat sich der BGH-Familiensenat unter Vorsitz von Hans-Joachim Dose nun behutsam angeschlossen. Das Wechselmodell kann auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden. Dafür müsste das "Umgangsrecht" des klagenden Vaters auf 50 Prozent ausgedehnt werden. Konsens ist dafür nicht erforderlich, wohl aber ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Das heißt: Ein bisschen zerstritten dürfen die Eltern schon sein - wo wäre das nach einer Scheidung anders? Aber es muss eine grundsätzliche Bereitschaft zur Verständigung vorhanden sein. Das Wechselmodell, merkt der BGH an, ist kein Instrument zur Erzeugung elterlicher Harmonie. Zwar sagen Fachleute, dass eine klare Betreuungsregelung Konflikte auch verringern kann. Die Nürnberger Professorin Hildegund Sünderhauf weist auf einen leicht nachvollziehbaren Nutzen hin: Eine Mutter, die andernfalls alleinerziehend wäre, ist weniger gestresst - das verbessert das Klima. Freilich zieht der BGH eine Grenze: Bei "hoher elterlicher Konfliktbelastung" widerspräche eine gleichberechtigte Betreuung dem Kindeswohl.

Überhaupt ist das Kindeswohl, wie auch sonst im Familienrecht, Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung. Laut BGH sind die Familiengerichte gehalten, die Kinder persönlich anzuhören; möglicherweise muss ein Gutachter eingeschaltet werden. Denn ob der gleichmäßige Umgang mit Vater und Mutter interessengerecht ist, hängt zum Beispiel davon ab, ob das Kind wirklich eine Beziehung zu beiden Elternteilen aufgebaut hat.

Hat der BGH damit einen Paradigmenwechsel eingeleitet? Das wird man abwarten müssen. Mehr als 160 000 Ehen werden pro Jahr geschieden, gut 130 000 minderjährige Kinder sind davon betroffen - aber nur gut vier Prozent leben bisher im Wechsel bei Vater und Mutter. Das Modell taugt vor allem für großstädtische Mittelstandsfamilien. Erstens müssen kurze Wege zu Kita oder Schule gewährleistet sein; die geschiedenen Eltern müssen praktisch im selben Viertel wohnen. Zweitens kostet das Wechselmodell Geld; zwei Kinderzimmer müssen her, eine doppelte Ausstattung - der Unterhaltsbedarf erhöht sich.

Hinzu kommt: Beileibe nicht jeder Elternstreit wird zum Besten des Kindes geführt, oft genug geht es um Anspruchsdenken und Egoismen. Dass sich der Kläger im BGH-Fall am Ende wird durchsetzen können, ist übrigens noch längst nicht ausgemacht. Das Oberlandesgericht Nürnberg muss den Fall auf der Basis der geänderten Rechtsprechung erneut prüfen. Und die harte Haltung des Vaters, so der BGH, deute darauf hin, dass er "nicht hinreichend am Kindeswohl interessiert ist".

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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