Ein homosexueller Mann hätte gerne leibliche Kinder. Kein leicht zu erfüllender Wunsch in Deutschland. Hierzulande existiert kaum ein legaler Weg für homosexuelle Männer, ein Kind zu zeugen - obwohl die Reproduktionsmedizin dies durchaus ermöglichen könnte. Zum Beispiel mit einer Eizellspende und einer Leihmutter. Beides ist in Deutschland allerdings nicht erlaubt.
Im konkreten Fall lässt der Mann zunächst ein Kind von einer Leihmutter in Indien austragen, zwei Jahre später dann zwei Töchter von einer Leihmutter in Kalifornien. Die Eizellen wurden von einer dritten Person gespendet und mit seinem Sperma befruchtet. Dabei sind neun weitere Embryonen entstanden, die kryokonserviert, also eingefroren werden. Die Befruchtung ist mittlerweile vier Jahre her, die Embryonen liegen noch immer in einer Fortpflanzungsklinik in Kalifornien, als der Mann vor Gericht zieht. Für ihn ist der Fall klar: Er ist der Vater dieser Embryonen. Das möchte er in Deutschland anerkennen lassen, schließlich wolle er die Embryonen "zur Geburt zu führen", wie er sagt. Er beansprucht nicht nur die Vaterschaft des tiefgefrorenen Gewebes, er möchte auch das Sorgerecht, zumindest aber eine Pflegschaft für die Embryonen.
Der Fall mag absurd klingen, er steht aber beispielhaft für die vielen Fragen, die durch die neuen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin aufgeworfen werden und mit denen sich deutsche Gerichte befassen müssen. Wer ist Vater, wer Mutter? Welche Rolle spielt die biologische Abstammung? Wann wird aus einer Eizelle und einem Spermium ein Rechtssubjekt mit Rechten und Pflichten? Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte in diesem Fall nach deutschem Abstammungsrecht und entschied: Eine Vaterschaft ist erst mit der Geburt vorgesehen - Embryonen haben keine Väter. Außerdem ist der Vater eines Kindes erst mal der Mann, der bei der Geburt mit der Mutter verheiratet ist. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch, in Paragraf 1592 zur Vaterschaft. Nur stellt sich länger schon die Frage, ob das Gesetz bei den modernen Modellen von Familie und Partnerschaft noch zeitgemäß ist.
Der medizinische Fortschritt hat Familienkonstellationen möglich gemacht, auf die das Gesetz noch keine Antworten hat. Wenn zum Beispiel die Mutter eine Eizellspenderin oder Leihmutter sein kann, die in Ehe lebt, während der Vater, der Samengeber, mit jemand ganz anderem zusammen ist und eine eigene Familie hat. Dennoch müssen die Gerichte sich mit diesen Fällen befassen und kommen immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen. Denn nur, weil das eine Gericht eine Entscheidung trifft, bedeutet dies in Deutschland nicht, dass im nächsten Fall ein anderes Gericht genauso entscheidet. Die Urteile haben hier zwar eine faktische Wirkung, werden also von der Öffentlichkeit und anderen Gerichten wahrgenommen und in kommende Entscheidungen einbezogen, wirken aber nicht, wie in den USA, rechtlich bindend für andere Gerichte. Das Ergebnis: Widersprüche.
Eine Klinik muss die Eizellen herausgeben, eine andere nicht
Ein Ehepaar lässt befruchtete Eizellen einfrieren. Die Frau verstirbt, der Mann lernt eine neue Partnerin kennen. Diese ist unfruchtbar und möchte sich nun die befruchteten Eizellen einpflanzen lassen. Als die Klinik die Herausgabe der Eizellen verweigert, zieht der Mann vor Gericht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe entscheidet gegen ihn. Der Witwer hat nach dem Tod der Frau keinen Anspruch auf die Eizellen. Die Begründung: Die Herausgabe der befruchteten Eizellen durch die Klinik verstößt gegen das Embryonenschutzgesetz. Darin ist untersagt, eine Eizelle künstlich mit einer Samenzelle zu befruchten, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt. In diesem Fall wäre das die verstorbene Ehefrau des Mannes. Außerdem hatte das Ehepaar einen Vertrag abgeschlossen, in dem geregelt war, dass eine Herausgabe der Eizellen nur an das Ehepaar gemeinsam erfolgen kann.
Ein ähnlicher Fall geht anders aus:
Ein Paar lässt befruchtete Eizellen einfrieren. Der Mann verstirbt bei einem Motorradunfall. Die Frau verlangt von der Klinik die Herausgabe der befruchteten Eizellen, sie möchte sich diese einpflanzen lassen. Wieder verweigert die Klinik die Herausgabe. Wieder wird das Embryonenschutzgesetz herangezogen. Denn was für die Eizellen einer verstorbenen Frau wie im Karlsruher Fall gilt, gilt ebenfalls für den Samen eines verstorbenen Mannes, mit dem nach seinem Tod keine Eizelle befruchtet werden darf. Die Klägerin argumentiert nun, dass nur die Zusammenführung der Eizelle mit den Spermien des Verstorbenen verboten sei. Die hätte aber bereits stattgefunden, als der Mann noch am Leben gewesen sei. Die Herausgabe oder das Auftauen der Eizelle hingegen entspreche keiner künstlichen Befruchtung, und sei damit auch nicht verboten. Das Oberlandesgericht Rostock gibt der Frau recht - sie bekommt die neun befruchteten Eizellen zugesprochen. Auch dieses Paar hatte einen Vertrag über die Einlagerung mit der Klinik abgeschlossen, der in diesem Verfahren aber weder von der Witwe noch der Klinik eingebracht wurde.
Der Gesetzgeber wartet ab und schaut zu
Die unterschiedliche Bewertung ist die Konsequenz eines föderalen Staates. Jedes Oberlandesgericht kann anders entscheiden. Es ist aber auch Resultat einer veralteten Gesetzeslage, die vom Fortschritt der Medizin überholt wurde und dadurch ungenau geworden ist, sodass viel Spielraum bleibt für die Richter.
Das Embryonenschutzgesetz ist 1990 entstanden, zu einem Zeitpunkt, als sowohl der Gesetzgeber als auch unfruchtbare Eltern noch nicht absehen konnten, dass Kinderwunschbehandlungen in einem Vierteljahrhundert gängige Praxis sein würden. Außerdem ist das deutsche Embryonenschutzgesetz ein Strafgesetz - es regelt zwar, was verboten, nicht aber, was erlaubt ist.
Die naheliegendste Möglichkeit wäre, das Gesetz den Gegebenheiten anzupassen. Aber der Gesetzgeber, also Bundestag und Bundesrat, überlässt das Thema bislang der Justiz. Er wartet ab und schaut zu. Die Richter tasten sich unterdessen langsam vor. Die permanente Weiterentwicklung der Möglichkeiten bedeutet für fast jeden Fall und jede Kammer, sich in eine völlig neue Materie einzuarbeiten. Was häufig zur Folge hat, dass die Gerichte vorsichtig und zurückhaltend entscheiden.
Dass der Gesetzgeber in Sachen Reproduktionsmedizin derzeit inaktiv ist, bezeichnet der Rechtswissenschaftler Heribert Hirte als "angemessenes Abwarten". Hirte ist neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit selbst Mitglied des Bundestages, er war mehrere Jahre als Verfassungsrichter in Thüringen tätig. Die gesellschaftliche Diskussion zur Reproduktionsmedizin hat aus seiner Sicht noch nicht den nötigen Reifegrad erreicht, um in ein Gesetz gegossen zu werden. Es sei notwendig, dass sich zunächst die Gerichte mit den Fällen befassen - weil die Gesellschaft erst einmal zu einer gemeinsamen Überzeugung gelangen müsse. Was bei ethischen Fragen eben länger dauere. "Das ist nicht wie in der Straßenverkehrsordnung, wo es einfach heißt - rechts oder links", sagt Hirte.
Dass Fälle vom Oberlandesgericht dann zum Bundesgerichtshof wandern, ist seiner Meinung nach unbedingt notwendig, da die Richter sich so Stück für Stück das Thema mit all seinen Verästelungen erarbeiten. So lange, bis jedes Argument aufgetaucht ist und diskutiert, wieder verworfen oder für stichhaltig befunden wurde. Dann sei der "Kristallisationspunkt", wie Hirte ihn nennt, erreicht und die Reproduktionsmedizin mit all ihren Möglichkeiten sei "reif" für den Gesetzgeber.
Ein notwendiger gesellschaftlicher Prozess, ein angemessenes Abwarten der Politik? Der Münchner Fachanwalt für Medizinrecht Johannes Daunderer hat eine andere Erklärung für die Regungslosigkeit der Politik. "Der Gesetzgeber will sich an diesem emotionalen Thema nicht die Finger verbrennen und überlässt die Arbeit deshalb ganz bewusst den Gerichten", sagt er. Daunderer vertritt sowohl Reproduktionsmediziner als auch Personen, die deren Dienste in Anspruch genommen haben. Zum Beispiel Frau M.
Frau M. hat Embryonen einfrieren lassen, aus ihren Eizellen und dem Sperma einer Ex-Affäre, die hier Herr B. genannt sei. Die Eizellen sind noch nicht befruchtet, sie befinden sich in einem Vorkernstadium, bei dem Ei- und Samenzelle noch nicht verschmolzen sind. Frau M. und Herr B. haben einen Vertrag geschlossen, den die meisten Fortpflanzungspraxen fordern, vor allem bei unverheirateten Paaren. Der Vertrag regelt, dass die Einwilligung der künstlichen Übertragung von Spermien bis zur erfolgreichen Befruchtung widerrufen werden kann. Was Herr B. später macht. Er möchte nicht mehr, dass Frau M. ein Kind von ihm bekommt. Frau M. möchte das schon. Sie klagt vor dem Bonner Zivilgericht. Weil die erfolgreiche Befruchtung aber eben noch nicht abgeschlossen ist, hat Herr B. laut Vertrag das Recht, die Einwilligung zu widerrufen - was ihm die Bonner Kammer zuspricht. Frau M. bekommt die Eizellen nicht.
In einer Sache sind Hirte und Daunderer sich einig: Wenn es irgendwann zu einer Gesetzesänderung kommt, muss eine politische Debatte vorausgehen - und sie wird an grundsätzlichen Fragen rühren. Zum Beispiel an der Frage, ob es ein Grundrecht auf Fortpflanzung gibt. Fest steht auch, dass eine Änderung des Gesetzes nicht unbedingt eine Liberaliserung bedeuten muss. Für Befürworter der Reproduktionsmedizin wie den Anwalt Daunderer ein mögliches Risiko. "In der Politik gibt es viele Lager: religiös-konservative Vertreter, Frauenrechtler, Liberale. Da kann es auch nach hinten losgehen, wenn das Embryonenschutzgesetz zur Debatte steht", sagt er.
Wobei es auch für ihn Grenzen gibt: Eine Situation wie in den USA, wo eine ganze Industrie Profit macht mit der Verzweiflung potenzieller Eltern, möchte auch Daunderer nicht. In den USA ist etwa die Leihmutterschaft erlaubt, und die Praxis, sich mehr als drei befruchtete Eizellen einsetzen zu lassen, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Das hat zur Folge, dass dort nach Behandlungen mitunter Fünf- oder Sechslinge geboren werden - ein umstrittenes Resultat der modernen Medizin, da es bei Mehrlingsschwangerschaften zu Komplikationen kommen kann und die Wahrscheinlichkeit von Früh- und Fehlgeburten steigt.
Die Schauspielerin Sofía Vergara ließ ebenfalls Eizellen einfrieren
Das USA-Beispiel macht zudem deutlich: Selbst, wenn Bundestag und Bundesrat sich intensiver mit den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin befassen und diese liberalisieren, ist die Justiz noch lange nicht vor absurden Rechtstreitigkeiten gefeit.
Die amerikanische Schauspielerin Sofía Vergara hat 2013 versucht, gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Nick Loeb mittels künstlicher Befruchtung ein Kind zu bekommen. Erfolglos. Das Paar ließ zwei befruchtete Eizellen einfrieren, 2014 trennten die beiden sich. Loeb versucht seitdem, die Rechte an den Embryonen zu erstreiten. Anfangs verlangte er vor Gericht das Sorgerecht für die befruchteten Eizellen, vergangenes Jahr haben seine Bestrebungen abwegigere Formen angenommen: Er lies im Bundesstaat Louisiana eine Klage einreichen, in der wie folgt argumentiert wird: Wenn Vergara ihrem Ex-Partner Loeb die beiden Embryonen nicht gebe, versage sie den befruchteten Eizellen, sich zu entwickeln - und hindere sie so am Leben. Außerdem enthalte sie ihnen so das finanzielle Erbe vor. Deshalb wolle Loeb sie von einer Leihmutter austragen lassen. Vergaras Ex-Partner gab den Embryonen in seiner Klageschrift sogar Namen: "Emma" und "Isabella". Das sollte suggerieren, dass die Embryonen Persönlichkeitsrechte haben. Loeb dürfte jedoch wenig Chancen mit seiner Klage haben. Bisher werteten US-Gerichte Embryonen nämlich als Besitz der Mutter, nicht als Rechtspersonen.
Tatsächlich braucht es nicht einmal die Reproduktionsmedizin, um das Abstammungs- und Familienrecht veraltet wirken zu lassen. Auch Patchwork-Familien stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen, weil sie im deutschen Recht bislang nicht vorgesehen sind. So hat ein Stiefvater etwa keinen Anspruch auf Auskunft über schulische Leistungen des Stiefkindes und darf, wenn der Partner oder die Partnerin stirbt, das Kind nicht versorgen - weil er nicht der biologische Vater ist. Dass sich also etwas ändern muss, ist klar - die Frage ist nur, wann.