Süddeutsche Zeitung

Kinderwunschbehandlung:Einst Spenderkind, jetzt Samenspender

Lesezeit: 5 min

Björn S. gehört zu den ersten Kindern, die in der DDR durch eine Samenspende gezeugt wurden. Mit 34 hat er das zufällig herausgefunden. Jetzt will er einem lesbischen Paar zu einem Baby verhelfen.

Von Anna Fischhaber

Es klingt fast banal, wenn Björn S. über den Moment erzählt, der sein Leben verändert hat. Er ist 34, als er eines Nachmittags seinen Sohn beim Fußballspielen im Garten beobachtet und bemerkt, dass sich der Sechsjährige wie er selbst bewegt. Es ist nicht das erste Mal, dass ihm diese Ähnlichkeit auffällt, doch diesmal legt sich "plötzlich ein Schalter im Gehirn um", sagt Björn S. heute, zwei Jahre später.

"Ich habe den Gedanken wieder weggeschoben. Das kann nicht sein, habe ich mir gesagt. Aber es half nichts, es ließ mir keine Ruhe mehr", erzählt er am Telefon. Es ist nicht ganz leicht, ihm zu folgen. Er redet laut und aufgeregt, noch immer bewegt von seiner eigenen Geschichte. Irgendetwas habe immer gefehlt während seiner Kindheit in einer Kleinstadt bei Dresden, sagt er. Lange kann Björn S. nicht benennen, was es ist. An jenem Nachmittag hat er plötzlich eine Ahnung.

Die Eltern blocken ab, als Björn S. davon erzählt. "Du bildest dir das ein", sagen sie, dann wollen sie nicht mehr darüber reden. Doch das verstärkt seine Zweifel nur. Beim nächsten Besuch lässt Björn S. eine Wasserflasche, aus der sein Vater getrunken hat, mitgehen und schickt sie nach Österreich. Gemeinsam mit seiner eigenen Speichelprobe. In Deutschland braucht man für einen DNA-Test die Einverständnis aller Beteiligten, in Österreich nicht. "Ich fühle mich ganz elend, wenn ich daran denke, was ich getan habe", sagt er.

Die Antwort erreicht ihn per Mail, er ist gerade in der Arbeit. Björn S. will zuerst nach Hause fahren, um die Nachricht in Ruhe zu lesen, doch dann hält er es doch nicht aus. Er hält an einem Rastplatz und hier, an der Autobahn, bekommt er endlich Gewissheit. Zu 99,999 Prozent ist der Mann, von dem er 34 Jahre lang dachte, er sei sein Vater, nicht mit ihm verwandt. Björn S. kann es nicht glauben, macht zur Sicherheit einen zweiten Test. Das Ergebnis ist dasselbe.

Es dauert eine Weile, bis Björn S. wieder mit seinen Eltern sprechen kann. Dann fährt er eines Abends nach der Arbeit zu dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Stundenlang sitzt er am Küchentisch, bis er den Mut aufbringt, den Vater aus dem Zimmer zu schicken, um zunächst mit seiner Mutter alleine zu sprechen. "Das hatte ich bis dahin noch nie gemacht. Aber ich wusste ja nicht, ob sie vielleicht eine Affäre hatte oder sogar vergewaltigt worden ist. Ich hatte die schlimmsten Fantasien."

Als Björn S. ihr eine Liebschaft vorwirft, wird sie wütend. Als er ihr von dem Test erzählt und mutmaßt, er sei als Baby vertauscht oder adoptiert worden, verlässt sie das Zimmer. Erst als Björn S. seinen Eltern droht, den Kontakt abzubrechen, beginnt der Vater zu erzählen. Vom jahrelangen Wunsch nach einem Kind, von der eigenen Unfruchtbarkeit und von der Samenspende. Für Björn S. ergibt plötzlich alles einen Sinn. "Alles was ich bislang als Leerstelle gefühlt habe, muss von ihm kommen", sagt er - von seinem zweiten Vater, dem biologischen Vater, dem Samenspender.

"Um einen wesentlichen Teil betrogen"

Die Samenspende ist eine der ältesten Formen der Kinderwunschbehandlung. Medizinisch möglich ist sie bereits seit mehr als 100 Jahren, doch sie gilt lange als moralisch anstößig. Erst 1970 beschließt der Deutsche Ärztetag, Samenspenden nicht mehr als "standeswidrig" anzusehen, empfiehlt aber - aufgrund der rechtlichen Risiken - medizinisch vermittelte Spenden ausdrücklich nicht. Dennoch verbreitet sich die Methode jetzt vor allem an Universitätskliniken. Was wenige wissen, auch Björn S. nicht: Auch in der DDR experimentieren Ärzte mit Samenspenden.

Etwa 800 Kinder werden auf diese Weise bis zur Wende an der Medizinischen Akademie Dresden, dem Vorläufer der Uniklinik, gezeugt. Samenspenden werden damals oft von Hautärzten durchgeführt, die sich auch um Geschlechtskrankheiten kümmern. Die Spender werden meist an der medizinischen Fakultät rekrutiert, die Bezahlung beträgt 50 Ostmark, die Spende gilt als Dienst an der sozialistischen Gesellschaft. Höchstens acht Kinder darf ein Spender so zeugen.

Die Eltern von Björn S. erfahren durch Hörensagen von der Behandlung in der 40 Kilometer entfernten Klinik. 1979 wird hier ihr erster Sohn gezeugt. Zwei Jahre später der zweite, Björn S.. Die Kosten übernimmt der Staat, die Eltern müssen sich wie alle Paare mit Kinderwunsch allerdings notariell verpflichten, nicht nach der Identität des Spenders zu suchen. Viele sprechen damals auch mit ihren Familien nicht über die Fremdbefruchtung, erzählt Hans-Jürgen Held, der damals wie heute Kinderwunschbehandlungen in Dresden durchführt.

Zwei Jahre ist es her, dass Björn S. die Wahrheit über seine Zeugung erfahren hat. In diesen zwei Jahren hat der Historiker die Geschichte der Spenderkinder in der DDR recherchiert und den Arzt, der wahrscheinlich für seine Zeugung verantwortlich war, getroffen. Er hofft, dass seine Akte möglicherweise noch immer in der Uniklinik Dresden liegt. Zur Not will er auf sein Recht pochen, den Namen seines biologischen Vaters zu erfahren. "Vielleicht freut er sich", sagt Björn S. "Vielleicht hat er sich immer gefragt, ob aus seiner Spende ein Kind entstanden ist. Ich würde das wissen wollen." Björn S. ist inzwischen selbst Samenspender geworden. Ausgerechnet das hat ihm geholfen, das Wissen um seine Herkunft zu verarbeiten. Seine Eltern haben in diesen zwei Jahren kein einziges Mal gefragt, wie es ihm damit ergeht.

"Meine Eltern wollen nicht mehr darüber reden. Jahrzehntelang haben sie sich mit der Geschichte arrangiert. Sie haben es gut gemeint, als sie uns ...", Björn S. stockt. Belogen will er nicht sagen. "Um einen wesentlichen Teil betrogen haben", sagt er schließlich. Zunächst aus Angst, der DDR-Staat könnte ihnen die Kinder wieder wegnehmen. So haben sie es ihrem Sohn zumindest erzählt.

Nach der Wende überwog wohl eher die Angst, die Bekannten und Verwandten in der Kleinstadt könnten tuscheln. Könnten ihnen die Lüge nicht verzeihen. Sie verbieten ihrem Sohn nach der Offenbarung, irgendjemandem davon zu erzählen. Vor allem nicht dem Bruder, der könne damit nicht umgehen, behauptet die Mutter. Björn S. ist zunächst ratlos: Soll er ihnen eine Frist setzen? Oder selbst dem Bruder alles erzählen? Noch zögert er. Noch will auch er seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen. Aber lange, sagt er, halte er diese Situation nicht mehr aus.

Björn S. möchte anders leben als seine Eltern. Nicht so, als sei seine Herkunft ein Makel. Er möchte ehrlich zu seinem Sohn sein. Und zu seinem Bruder. "Unser Verhältnis war immer verkrampft. Wir sind uns nicht ähnlich. Gar nicht. Aber wir standen immer unter dem Druck, Gemeinsamkeiten zu suchen. 'Ihr seid doch Brüder, ihr müsst euch doch verstehen', haben wir ständig gehört", sagt Björn S.

Für ihn war es eine regelrechte Befreiung, dass sie nur Halbbrüder von unterschiedlichen Vätern sind. "Plötzlich wurde vieles ganz klar. Plötzlich ist es okay, dass wir anders sind." Er hofft, dass sein Bruder ähnlich reagiert. Aber natürlich ist da auch Angst. "Angst, dass er es längst weiß und mir nie gesagt hat. Angst, dass er es nicht wissen will. Angst, dass er wirklich nicht damit umgehen kann."

"Das war Schicksal"

Björn S. kann das inzwischen. Er kann das so gut, dass er sich entschieden hat, nicht mehr nur Spenderkind, sondern auch selbst Spender zu sein. Als er gerade erfahren hat, dass sein Vater nicht sein Erzeuger ist, erzählt ihm ein befreundetes lesbisches Paar, es wolle ein Kind bekommen. "Das war Schicksal", glaubt Björn S. Er überzeugt die Freundinnen, auf keinen Fall einen anonymen Spender zu wählen. Er will dem Kind die Erfahrung ersparen, die er selbst gemacht hat. Die Frauen wundern sich über seine Vehemenz, schließlich erzählt er ihnen seine Geschichte und gemeinsam entsteht die Idee, Björn S. könnte der Vater des geplanten Kindes werden.

"Ich spende nicht gegen Geld, ich bleibe nicht anonym und werde für die entstehenden Kinder nicht unbekannt bleiben", erklärt Björn S. seine Grundsätze. Es klingt, als seien damit alle Probleme, die auf die Familie zukommen könnten, gelöst. Ob es wirklich so einfach wird? Die erste Schwangerschaft endet jäh, die Mutter verliert das Baby im dritten Monat. "Das war sehr tragisch für uns alle. Aber wir waren füreinander da. Ich als Spender war genauso involviert - und genauso betroffen", sagt Björn S.

Bald wollen sie es wieder probieren. Sollte es dann klappen, hat die kleine Familie klare Regeln festgelegt. Das Kind soll bei den beiden Müttern, leben, aber es soll immer wissen, wer der Vater ist. Damit ihm keine Leerstelle im Leben bleibt. Dem Spenderkind nicht und dem Spender auch nicht. Bis es so weit ist, versucht Björn S. seine eigene Leerstelle zu füllen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3411805
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.