Wenn ein Paar versucht, seinen Kinderwunsch zu erfüllen, steht der Körper der Frau und ihre Psyche im Zentrum. Der Mann - steht in der Regel daneben. Er kann nur versuchen, seine Partnerin bei dem Prozess, von der Hormonbehandlung bis hin zur womöglichen Fehlgeburt, zu unterstützen. In seinem Blog Vaterwunsch.de schildert Johannes Richter unter dem Namen "Helge", was er und seine Frau alles versucht haben, um ein Kind zu bekommen. Im Gespräch mit SZ.de erklärt der 32-Jährige, warum Männer sich in so einer Situation oft hilflos fühlen. Und warum er seiner Frau die körperliche Verlusterfahrung - aus ganz eigennützigen Gründen - gern abgenommen hätte.
SZ.de: Wann verspürten Sie zum ersten Mal den Wunsch, Vater zu werden?
Johannes Richter: Dass ich Kinder will, war mir schon immer klar. Doch erst mit meiner Frau fühlte es sich richtig an, eine Familie zu gründen, da war ich 24. Zugegeben, sie hatte damals schon genauere Vorstellungen von ihrer Mutterschaft. Bei mir wurde das erst etwas später konkret, als wir die Verhütung absetzten. Aber es war mein eigener, persönlicher Wunsch - und auch mein persönliches Tief nach jeder Fehlgeburt.
Dennoch betrafen die Fehlgeburten, genau wie all die Untersuchungen und Behandlungen, aber in erster Linie Ihre Frau ...
Absolut, viele Maßnahmen habe ich lediglich aus Solidarität begleitet - was hätte ich auch sonst tun können. Alles, was in der Hinsicht möglich ist, müssen die Frauen mit ihrem Körper ausbaden: Selbst wenn die Ursache beim Mann zu suchen ist, müssen sie die Behandlungen auf sich nehmen. Das macht es für mich als Mann aber nicht einfacher.
Was waren das für Maßnahmen?
Nachdem eine Routineuntersuchung ergab, dass die Eileiter meiner Frau undurchlässig sind, ließ sie sich operieren. Als das nichts half, gingen wir zum Heilpraktiker, probierten es mit traditioneller chinesischer Medizin, stellten die Ernährung um. Zum einen war mein Spermiogram deutlich verbesserungswürdig, zum anderen wollten wir unsere Chancen allgemein erhöhen. Wir lebten mal vegan, mal zuckerfrei, schließlich glutenfrei. Wir machten ausgiebig Sport, verzichteten auf Alkohol, phasenweise richteten wir unser ganzes Leben darauf aus.
Meine Frau wurde zwar schwanger, doch in der siebten Woche verlor sie das Kind. Schließlich suchten wir eine Kinderwunschklinik auf und durchliefen die Standardprozedur: intrauterine Insemination, intrazytoplasmatische Spermieninjektion - alles ohne Erfolg. Im nächsten Zyklus kam es dann plötzlich auf natürlichem Wege, ganz ohne medizinische Hilfe und ärztliche Begleitung zu einer Schwangerschaft, die jedoch erneut in der siebten Woche abging.
Was ging da in Ihnen vor?
Ich wollte nie zu euphorisch auf die Schwangerschaften reagieren, aus Angst vor der Enttäuschung, wenn es nicht klappt. Aber aus dem Vorsatz wurde nichts: Jedes Mal, wenn meine Frau schwanger war, habe ich quasi gleich das Kinderzimmer eingerichtet - entsprechend massiv war der Absturz. Die Perspektive auf ein Leben als Familie, alles, was wir uns ausgemalt hatten, war weg. Meine Frau konnte mit diesen Stimmungsschwankungen besser umgehen. Man kann sagen, im Vergleich zu mir ist sie auf ihren Gefühlswellen immer elegant gesurft. Ich hingegen fühlte mich diesen großen Brechern schutzlos ausgeliefert.
Worunter litten Sie am meisten?
Unter der Ohnmacht, dass ich nichts tun konnte. Ich konnte den Verlust noch nicht einmal körperlich empfinden. Das mag anmaßend klingen, aber ich kann mir vorstellen, dass dieser Vorgang, so belastend er auch ist, heilsam sein kann. Ich hingegen konnte nur versuchen, nachzuempfinden, was meine Frau gerade durchmachte. Am nächsten Tag musste ich zur Arbeit, ich war ja nicht krankgeschrieben. Das Ganze ist insgesamt ein Tabuthema, auch für Frauen. Doch über den Schmerz der Männer spricht wirklich niemand. Daheimbleiben - so etwas ist für einen Mann in dieser Situation nicht vorgesehen. Selbst wenn es theoretisch möglich ist, weil man einen toleranten Chef hat: Es gibt keine gesellschaftliche Akzeptanz dafür.
Waren die Reaktionen aus Ihrem privaten Umfeld hilfreicher?
Nicht unbedingt. Da kamen oft gut gemeinte Durchhalteparolen, die immer anstrengender wurden: "Das wird schon noch!" Geholfen hat mir, wenn echtes Interesse vorhanden war. Mag sein, dass mich das von anderen Männern unterscheidet, aber ich empfand es immer als stärkend, in der Beziehung und mit Freunden darüber zu sprechen. Oder besser gesagt: Freundinnen - ich konnte mich darüber immer besser mit Frauen austauschen.
Mit Männern ging das nicht?
Die meisten meiner Freunde sind es nicht gewohnt, über ihre Gefühle zu sprechen, selbst mit anderen Betroffenen war mir das nicht möglich. Man trinkt eher ein Bier miteinander und lenkt sich ab. Insofern haben mir meine Freunde auf ihre Art geholfen - weil sie mich rausgeholt und was Schönes mit mir unternommen haben.
Sie haben sich über Ihren Fall hinaus mit dem Thema beschäftigt - gibt es einen "typisch männlichen" Umgang damit?
Im Zentrum steht der Kinderwunsch der Frau - unter anderem, weil dieser in der Regel früher auftritt als beim Partner. Deshalb informieren sich Männer zu dem Thema oftmals erst, wenn klar ist, dass es nicht an der Frau, sondern an ihnen liegt. Viele entwickeln dann ein Minderwertigkeitsgefühl. Manche verdrängen es und wollen sich nicht untersuchen lassen, weil sie befürchten, dass sie nicht "Manns genug" sein könnten.
Insgesamt ist die Herangehensweise vieler Männer eher pragmatisch. Sie konzentrieren sich darauf, alle Möglichkeiten zu prüfen, reagieren auf die weibliche Trauer mit lösungsorientiertem Verhalten und konkreten Vorschlägen. Wenn es dann nicht klappt, fehlt oft das Verständnis, dass man machtlos ist. Da er anatomisch kaum involviert ist, ist es schwer für den Mann, mitzufühlen, was eine künstliche Befruchtung mit dem Körper macht oder was es bedeutet, ein Kind zu verlieren. In so einer Situation leiden Männer eher durch die Beziehung zur Frau. Es geht dann weniger darum, dass sie keine Kinder bekommen - sondern dass ihre Frau keine bekommen kann.
Was raten Sie anderen Männern mit unerfülltem Kinderwunsch?
Männer sollten sich offen an das Thema heranwagen und sich untereinander austauschen, das würde auch den Frauen helfen. Außerdem sollten sie realisieren, dass es nur zu 50 Prozent an den Frauen liegt. Oft kommt es nicht zur Schwangerschaft, weil Männer die Untersuchung verweigern. Doch wenn bei ihr alles okay ist, liegt der Verdacht einfach nahe, dass bei ihm etwas nicht stimmt. An der Unfähigkeit, sich das einzugestehen, sind schon Beziehungen zerbrochen.
Wie können Männer mit ihrer Trauer umgehen?
Meine Frau hat mich immer wieder dazu gebracht, über meine Gefühle zu sprechen und mir ihre anzuhören. Das war sehr hilfreich. Ich habe anfangs nur im Blick gehabt, dass die Beziehung zu meiner Frau in Ordnung bleibt, damit wir den Alltag bewältigen können. Nach jeder Fehlgeburt war es vor allem die Sorge um sie und die Frage, was ich tun kann, damit es ihr besser geht. Erst danach konnte ich mich auf meine eigenen Gefühle besinnen, dadurch fand auch meine Trauer immer zeitverzögert zu meiner Frau statt. Das würde ich heute anders machen. Es ist eine Herausforderung für Männer, sich um ihre Frauen zu kümmern. Die größere aber ist, sich um sich selbst zu kümmern. Nur dann kann man die Frau emotional stützen.
Gab es Situationen, in denen Sie sich alleingelassen fühlten?
Es kam vor, dass meine Frau mir einen positiven Schwangerschaftstest oder ihre Menstruation verschwieg, weil sie mich nicht belasten wollte. Oder sie sagte mir nichts von ihren fruchtbaren Tagen, damit ich nicht wusste, dass ich gerade Sex nach Plan hatte. Einerseits fand ich es rührend, andererseits fühlte ich mich übergangen. Manchmal wusste ich nicht mehr: Ist das jetzt spontaner Sex oder geplante Befruchtung?
Wie gehen die Kinderwunschkliniken auf Männer ein?
Männer, die zum Beispiel wegen geringer Spermiendichte beteiligt sind, erhalten natürlich eine Behandlung. Ansonsten gibt es keine spezielle medizinische oder psychologische Beratung, wenn Sie das meinen. Ich hielt Händchen, wurde in den Raum für die Spermaprobe geschickt und sollte mit meinem Becherchen zurückkommen - dafür darf man keine große Wertschätzung erwarten. Auf das medizinische Ergebnis wirkt sich das alles nicht aus, daher legt man in vielen Praxen keinen Wert auf einen dezenten Ablauf und eine ansprechende Umgebung.
Beim Urologen muss man sich für die Samengewinnung teilweise auf eine Toilette zurückziehen. In einer Uniklinik war der Raum im Keller untergebracht, neben den Umkleiden des Personals. Ich stand also mit meinem Becher vor dieser Tür und musste warten, bis der Typ vor mir fertig war. Er wusste natürlich, dass da jemand wartet. Schon würdelos, irgendwie. Doch mit der Zeit verliert man jede Scham. Inzwischen bemühen sich die Kinderwunschkliniken allerdings um mehr Wohlfühlatmosphäre. Manche bieten eine kleine Auswahl an einigermaßen ästhetischen Pornoheften oder Filmen. Manchmal wird sogar ein Sofa aufgestellt.
Wie fühlt sich der Gedanke für Sie an, keine Kinder zu haben?
Die Vorstellung schmerzt, dass ich im Alter womöglich alleine bin, niemanden habe, der mit mir eng verbunden ist. Und sie stellt den Lebenssinn immer wieder in Frage. Dennoch - oder gerade deshalb - haben wir uns von unserem Kinderwunsch verabschiedet.
Was hat Sie dazu bewogen?
Die ständige Sorge um die körperliche Unversehrtheit meiner Frau. Auf jeder Party die Bedenken: Bloß nicht trinken, nicht rauchen, nicht zu spät ins Bett! Immer um dasselbe Thema zu kreisen, ohne weiterzukommen. Der unerfüllte Kinderwunsch hat alles dominiert, das musste aufhören. Es war nach der dritten Schwangerschaft: Wir fuhren eine Woche in Urlaub, um uns zu erholen. Sicher, es gab noch Möglichkeiten, die nicht ausgeschöpft waren, aber was würde das mit uns machen? Wir wollten endlich wieder eine Perspektive. Da haben wir beschlossen: Jetzt ist Schluss.
Was hat diese Krise mit Ihrer Beziehung gemacht?
Es war belastend, aber am Ende sehr stärkend. Wir mussten für uns einen Weg finden und haben dabei gelernt, miteinander zu sprechen und uns mit uns selbst zu beschäftigen. Das hat uns zusammengeschweißt. Wir können über unsere Gefühle sprechen, das hat auch für unsere kinderlose Beziehung viel gebracht. Heute sind wir uns näher denn je.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben uns ein Haus gekauft, das richten wir gerade her. In unserem Umfeld gibt es viele Kinder - Patenkinder, Kinder von Freunden, die uns als Elternersatz akzeptieren. Unser Haus ist offen, alle sind eingeladen. Eine Freundin hat uns bewusst die Patenschaft für ihre Kinder übertragen, ein anderes Paar überlegt, eine Verfügung aufzusetzen, die uns im Todesfall ihre Kinder überlässt. Das bedeutet uns viel.
Können Sie sich inzwischen vorstellen, auch ohne Kind glücklich zu sein?
Im Moment geht es mir gut, es hat ja auch seine Vorteile, keine Windeln zu wechseln und nachts durchzuschlafen. Wir genießen unsere Freiheit, die Möglichkeit zur Spontanität und die Zeit, die wir für andere haben. Natürlich gibt es immer diese Gedanken: An wen könnte ich etwas weitergeben oder vererben? Wie geht es mir, wenn ich krank und alt bin? Wird mich jemand besuchen, sich um mich kümmern? Doch jetzt gerade haben wir ein tolles Leben. Ich fühle neuen Lebensmut.