Kinderlosigkeit:Frauen, die nichts bereuen

Frühlingswetter in Bochum

Ohne Kinder alt werden - wie fühlt sich das an? (Symbolbild)

(Foto: picture alliance / dpa)

Immer mehr Frauen werden ohne eigene Kinder alt. Wie fühlt sich das an? Fehlt ihnen was? Wir lassen die zu Wort kommen, die es wissen müssen.

Von Barbara Vorsamer

1616

Best of SZ.de 2016 - immer zum Jahresende sammeln wir die Lieblingsgeschichten der Redaktion, die am häufigsten von Lesern weiterempfohlen wurden. Diese Geschichte ist eine von ihnen. Alle lesen...

Jede fünfte Mutter bereut es, Kinder bekommen zu haben, behauptete erst kürzlich wieder ein Umfrageinstitut. Nicht die erste Beobachtung dieser Art: Seit Orna Donaths Studie zum Thema "Regretting Motherhood" läuft eine Debatte, die glauben machen könnte, Mütter, die lieber keine geworden wären, seien ein Massenphänomen.

Das stimmt natürlich nicht. Dass unglückliche Mütter so zuverlässig Aufregung erzeugen, liegt daran, dass sie nicht der gesellschaftlichen Erwartung entsprechen. Das Klischee will auch heute noch, dass die Frauen vor Liebe schier überfließen und in den leuchtenden Augen ihrer Kinder das pure Glück finden - während die kinderlose Frau egoistisch die Karriereleiter hochklettert und bereitwillig ihre Beziehung opfert. Spätestens mit 65 Jahren sitzt sie dann einsam in ihrem Wohnzimmer und trauert verpassten Chancen hinterher.

In Evas Wohnzimmer sitzen Hannelore und Gabie und prosten sich mit Prosecco zu. Die drei Frauen haben ihren 65. Geburtstag hinter sich, Kinder haben sie keine. Einsamkeit sieht anders aus. "Ich bin doch nicht alleine, nur weil ich keine Nachkommen habe", sagt Eva. Mit Hannelore und Gabie ist sie seit Jahrzehnten befreundet, sie unterhalten sich über alles - auch Kinderlosigkeit und Alter sind häufig Thema.

Doch nicht, weil sie etwas bereuen, sondern weil es sie verbindet. "Fast alle unsere Freundinnen haben keine eigenen Kinder", sagen sie. Das überrascht zunächst, denn in ihrer Generation stellen Mütter die große Mehrheit dar. Nur elf Prozent aller Frauen über 70 sind keine, bei denen zwischen 60 und 69 Jahren sind es 14 Prozent. (Alle Zahlen stammen aus einer Studie des Bundesfamilienministeriums zu kinderlosen Frauen und Männern, abzurufen hier.)

Klar, Freundschaften zwischen Eltern und Nicht-Eltern sind schwierig in der Phase, in der die Kinder klein sind. Man hat plötzlich unterschiedliche Prioritäten, Interessen und Tagesabläufe. In Gabies, Evas und Hannelores Alter spielt das schon lange keine Rolle mehr. Warum also bleiben die Freundeskreise gespalten?

Verwandtschaft schützt nicht vor Einsamkeit

"Uns ist Freundschaft vielleicht wichtiger", mutmaßt Eva, eine zierliche Frau mit auffälliger Perlenkette und akkurat geschnittenem Pagenkopf. "Wer keine Kinder hat, der wertschätzt seine Beziehungen ganz anders, pflegt und erhält Freundschaften über Jahrzehnte." Viele Mütter hingegen werden zumindest ein paar Jahre lang so von ihren Kindern vereinnahmt, dass für etwas anderes kaum Zeit bleibt. "Wenn die Kinder ausziehen, stehen manche dieser Frauen vor großer Leere", sagt auch Sarah Diehl, Autorin der Streitschrift "Die Uhr, die nicht tickt", und beschreibt damit das "Empty Nest"-Syndrom.

Nein, Blutverwandtschaft schützt nicht vor Einsamkeit - und wenn doch, sind das Kontakte, auf die Eva, Gabie und Hannelore lieber verzichten. Zum Beispiel wenn am zweiten Weihnachtsfeiertag in den Alten- und Pflegeheimen der Republik "Enkeltag" ist, wie Hannelore es nennt. Die 75-Jährige ist dann auch dort, weil sie sich gemeinsam mit ihrem Mann um dessen Mutter kümmert und beobachtet, wie die Kinder und Jugendlichen zu den Omas gekarrt werden. "Die sagen gerade mal 'Hallo' und 'Tschüss" und eventuell noch 'Danke', wenn ihnen ein Fünfziger zugesteckt wird. Ansonsten schauen sie den ganzen Nachmittag auf ihr Handy und sprechen mit der alten Dame kein Wort."

"Zwangsbindung durch Verwandtschaft" nennt Gabie das abfällig. Bevor sie das erleben müsse, bezahle sie lieber jemanden dafür, ihr später im Altersheim Gesellschaft zu leisten. Hannelore ist sich da nicht so sicher. "Ich habe glücklicherweise das Geld, um mich später mal pflegen zu lassen", sagt sie. Aber sie frage sich schon manchmal, ob das reicht. Wer kümmert sich um Absprachen mit dem Heim, um das Organisatorische, um Abrechnungen?

Gabie hat für diese Zeit eine radikale Lösung im Kopf: "Da gibt es ja bestimmt eine Pille oder sowas", sagt die 66-Jährige. Dass sie nie Mutter werden will, stand für sie schon früh fest. "Ich glaube, mir fehlt da ein Gen. Ich hatte nie das Bedürfnis, mich zu reproduzieren."

Aufschieben, bis es zu spät ist

Die Wissenschaft teilt Frauen, die bewusst kinderlos sind, in drei Gruppen auf, davon sind Frühentscheiderinnen wie Gabie am seltensten. Die meisten sind Aufschieberinnen: Frauen, die solange keine Entscheidung fällen, bis sich das Thema von selbst erledigt. Manchmal wechseln sie vorher noch schnell in die Gruppe der Spätentscheiderinnen: Das sind die Frauen, die jahrelang Kinder wollten oder unentschlossen waren, dann aber irgendwann eine Entscheidung dagegen fällen - meist aufgrund der Umstände oder weil sie sich inzwischen zu alt für Familie fühlen.

Allen gemeinsam ist: Es gibt sie noch gar nicht so lange. Frauen wie Eva, Gabie und Hannelore waren im fruchtbaren Alter, als die Antibabypille relativ neu war und so gut wie jede junge Frau das Hormonpräparat schluckte. "Ich hatte ab 14 die Pille, alle meine Freundinnen hatten sie", sagt Gabie. Kinderkriegen war damit nichts mehr, was automatisch oder aus Versehen passierte, sondern wofür sich Frauen bewusst entscheiden konnten - und damit auch dagegen.

Eva gehört zu den Spätentscheiderinnen. Kinderkriegen war zwar irgendwie ein Thema für sie, doch ihre Unabhängigkeit war wichtiger. Das habe sie schon von ihrer Mutter eingeschärft bekommen: "Mach dich bloß nie von einem Mann abhängig", habe diese immer gesagt. Als Eva ihren heutigen Partner kennenlernte, war er bereits Vater und sagte ihr klar: "Wenn du Kinder willst, bin ich nicht der richtige Mann für dich." Doch er war es - und damit fiel die Entscheidung. "Dann halt nicht", sagt Eva und man glaubt ihr, wenn sie betont, dass es ihr nicht besonders schwer gefallen sei. Durch die Kinder ihres Mannes habe sie auch Familie, der Kontakt sei eng und gut.

Für Hannelore gehörte Heiraten und Kinderkriegen immer zum Lebensplan dazu, ihr machte die Natur einen Strich durch die Rechnung. Damit gehört sie zu den ungewollt Kinderlosen, eine Gruppe, die mit viel Mitleid und Verständnis rechnen kann. Doch das braucht Hannelore nicht. "Es sollte halt nicht sein", sagt sie. Sie sei natürlich enttäuscht gewesen, aber jahrelanges Hadern mit dem eigenen Unglück oder gar Depressionen deswegen seien ihr erspart geblieben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: