Kindergeburtstage der Superlative:Wer hat die schönste Party im ganzen Land?

Kindergeburtstag

Das Wettrüsten rund um das große Happy-Birthday-Ding findet nicht nur im Reich der Superreichen statt, sondern in allen Einkommensklassen.

(Foto: Vasiliki Varvaki / iStockphoto)

Einfach nur Kuchen backen und Kerze drauf, reicht nicht. Wenn das Kind Geburtstag hat, muss es möglichst spektakulär zugehen: Party im Sternelokal, Besuch des Champions-League-Finales oder gleich ein Ausflug nach Disneyland-Paris. Ein Wettrüsten, das viele Eltern in die Verzweiflung treibt.

Von Gerhard Matzig

Nehmen wir Joanne K. Rowling. Ihre Phantasie ist unbestritten. Das Harry-Potter-Imperium wurde darauf gegründet. So ein Berg Ideen, so eine Kraft der Imagination. Wie aber schildert sie einen Kindergeburtstag? Etwa so: "Dudley zählte unterdessen seine Geschenke. Er zog eine Schnute. ,Sechsunddreißig', sagte er und blickte auf zu Mutter und Vater. ,Das sind zwei weniger als letztes Jahr.'" Woraufhin es zur Krise kommt. Dudley, der (laut Harry) aussieht "wie ein Schwein mit Perücke", droht tobsüchtig zu werden. In deeskalierender Absicht beschließt man den Ankauf der Geschenke Nummer 37 und 38 sowie einen Zoo-Besuch.

Wie bitte? Geschenke und dann ab in den Zoo. Ist das alles? Exotischeres, Bizarreres mag sich die Großmeisterin des Bizarren und Exotischen offenbar nicht vorstellen. Vermutlich, um die unendliche Spießigkeit dieser Muggel-Familie zu demaskieren.

Ach, aber außerhalb der Fiktion würde man sich sehr über das altehrwürdige Geschenk-und-Zoo-Prinzip freuen. Wäre mal was anderes.

Möglicherweise war die geschätzte Autorin noch nie auf einem Kindergeburtstag in der Münchner Muggel-Hochburg Waldtrudering. Wie auch Hollywood vermutlich noch nie in Harvestehude, Hamburg, war. In dem Harrison-Ford-Film "Das Kartell" wird nämlich ebenfalls ein Kindergeburtstag in Szene gesetzt. Das Kind eines kolumbianischen Drogenbarons, den man sich gar nicht verrückt und reich genug vorstellen kann, bekommt aber was? Haufenweise Geschenke - und ob es danach ab in den Zoo geht . . . keine Ahnung, aber darauf kommt es hier auch nicht an.

Sondern darauf: Weder Drogenkartell-Thrill noch Hogwarts-Fiktion können es auf dem Terrain superlativer Exzentrik mit der Realität in deutschen Haushalten aufnehmen. Sie ist Lichtjahre entfernt von der heiligen Einfalt eines Zoo-Besuchs, mit dessen auch nur andeutungsweise geplanter Verwirklichung man sich heutzutage für immer aus der Gemeinschaft verabschiedet. Zoo? Geht. Gar. Nicht. Der Kindergeburtstag, der früher über Topfschlagen und Blinde-Kuh wunderbarerweise kaum hinausgekommen ist, besteht - jedenfalls in jener gesellschaftlichen Sphäre, die einen so ausgeprägten Hang zur forcierten Distinktion pflegt - mittlerweile aus so viel Aberwitz, dass auch die überschießendste Phantastik die Waffen strecken muss. Vielleicht, wenn man den Zoo insgesamt kaufte und die Löwen im Doppelhausgarten freiließe, dann, unter Umständen . . . na ja.

Alles für die Trophäe Kind

Nichts ist spannender als die Wirklichkeit. Mit Blick auf die aktuelle (irgendwann sicher auch noch olympische) Disziplin "Kindergeburtstag" darf man ergänzen: Absurder als so manche Eltern-Ambition, die hinter so manchem Kindergeburtstags-Furor steckt, ist auch kaum etwas. Erklären kann man sich das nur schwer. Offenbar sind Kinder am überalterten Standort D., wo gegen Kinderlärm in der Nachbarschaft Klage geführt wird, als handle es sich um die Emissionen von Kampfbombern, so wenig selbstverständlich, dass deren Geburtsgedenken auf der anderen Seite der Paradoxie nicht strahlend genug illuminiert werden kann. Zugleich bedeutet das einen nicht zu unterschätzenden Prestigegewinn für Leute, die schon alles haben. Meine Villa, mein Maserati (familientauglich in der Viertürer-Version "Quattroporte") und endlich auch - mein Kind. Dieses Kind bekommt, wenn man es schließlich in Händen hält wie die letzte noch zu erringende Trophäe im Leben, alles. Die beste schulische Ausbildung, die beste medizinische Versorgung und den spektakulärsten Kindergeburtstag.

Die Bemühungen um diesen Tag befördern einen hyperinflationären Wahnsinn, der im Grunde zu sofortigen multilateralen Abrüstungsgesprächen unter den beteiligten Familien führen müsste. Aber stattdessen scheint es die geheime Übereinkunft zu geben, wonach der jeweils nächste Kindergeburtstag noch origineller, sensationeller und teurer werden muss. Oder aber noch kreativer, bildungsintensiver, pädagogischer. Oder noch sportiver, abenteuerhafter. Oder, schwer im Trend, noch traditionsbewusster. Das führt dann zum Topfschlagen 2.0 auf Eiche-geölt-Landhausdielen, wobei dem Manufactum-Bratentopf "Emaille" samt seinem nahtlos verchromten Randabschluss für 97 Euro eine besondere Retro-Rolle zukommt.

Disneyland, Stretch-Limousine, Champions-League-Finale

Da ist zum Beispiel diese Geschichte aus Hamburg. Sie ist verbürgt. Ein Hamburger Kind hat Geburtstag, es hat auch beste Freunde in Harvestehude, ein halbes Dutzend. Und es hat einen besten Papi, der was auf sich hält. Folglich werden Plätze in einer Maschine nach Paris gebucht. Aus Gründen der Vernunft: Economy. Alles einsteigen, hin, Disneyland, zurück, alles aussteigen. Was für ein Tag. Happy Birthday! Beziehungsweise: Joyeux Anniversaire!

Und dann gibt es noch die Geschichte aus München, zwar eine Liga, mindestens, unter dem Disneyland-Gig, aber es kommt hier weniger auf den finanziellen Superlativ an als auf die Haltung. Man erhält die Einladung zum Kindergeburtstag. So weit, so reizend, so normal. Dann aber folgt der Zusatz: Die eingeladenen Kinder werden allesamt vom Hort abgeholt. So weit, so praktisch, so ambitioniert. Dann aber folgt noch ein Zusatz zum Zusatz: Abholung mit Chauffeur und Stretch-Limousine. So weit, so irre, so zusatzirre. Was, glauben die Leute, haben die Kinder davon? Limonade an der Limousinen-Bar? Es sind Kinder, sie müssen also nicht zwangsläufig schon so verbogen denken wie ihre Stretch-Eltern.

Es gibt eine Einladung für das Töchterchen in den Sommergarten eines Sternerestaurants, "Parents welcome", wo schon der Zauberer und der Clown und die Irgendwastolles-an-irgendwastollem-Kulinarik warten; es gibt eine Einladung für das Söhnchen in die VIP-Lounge der Allianz-Arena zum, ja!, Champions-League-Finale; es gibt Einladungen zur Fahrt mit dem Heißluftballon übers Tegernseer Tal und solche, die im Kino enden. Nur Kino? Hurra. Na ja, fast, das Kino wurde privat angemietet. Samt Catering und Band.

Als Vater fürchtet man sich gelegentlich vor der Post, vor Briefen, die mit dem Aufdruck "Mahnung" versehen sind oder vom Finanzamt kommen. Den größten Horror aber verbreiten jene benettonbunten Geburtstagseinladungskarten von Jonas, Timo, Lena & Co., die krakelige Fröhlichkeit verbreiten würden, erzeugten sie nicht dank des elterlichen Ehrgeizes nur schieres Entsetzen: schon wieder ein Kindergeburtstag . . . schon wieder ein Samstag . . . schon wieder ein neuer Anwärter auf die Mommydaddy-Oscars ("beste Idee", "beste Logistik", "beste Pädagogik", "bester Kind-Erwachsener-Betreuungsschlüssel", "bestes Mitgebsel", "beste Muffins", "beste After-Party-Proseccoplörre-für-erwachsene-Abholer". Es ist zum Heulen. Könnte das Leben nicht eine kindergeburtstagsfreie Zone sein?

Zwischenruf des Autors

Hier eine dringende Anmerkung in eigener Sache: Die Kinder des Autors sind reizend. Sie lieben es, zu jeder Art von Kindergeburtstag eingeladen zu werden. Die Frau des Autors ist auch reizend. Sie liebt es, wenn auch bedingt, pädagogisch sinnvolle Kindergeburtstage zu organisieren. Die Familie des Autors möchte daher bitte nicht in Sippenhaft genommen und von den Einladungskarten gestrichen werden. Innerfamiliär wird die Meinung des Autors sehr kritisch gesehen. Er ist isoliert. Ende.

Zurück zum Horror. Warum Horror? Weil man dem Konkurrenzdruck nicht gewachsen ist. Nicht sein will. Es gibt übrigens auch Kinder, anderswo natürlich, die haben ein paar Dutzend Einladungen hinter sich und wollen den eigenen Geburtstag nun partout nicht feiern. Denn sie ahnen, dass sie sich nur blamieren können. Und es gibt Väter und Mütter, die angesichts einer anstehenden Geburtstagssause nicht nur wegen der logistischen Herausforderung des ewigen Herumkarrens Hautausschlag und Atemnot bekommen, sondern auch wegen der Einladungskarte. Auf der sind die gewünschten Geschenke vermerkt. Das ist praktisch. Aber offenbar gibt es die Kategorie "für unter 50 Euro" nicht. Was nur gerecht ist. Wenn das Kind zurückkommt von der Party, bringt es nämlich noch ein Tütchen in XXXXL-Größe mit: das unvermeidliche Mitgebsel. Darin ruhen, so kunstvoll verpackt, wie man sich das bei Hermès kaum vorstellen kann, Süßigkeiten und Plastikmonsterschrott im Wert von etwas über 50 Euro.

Das mag übertrieben klingen, aber das Wettrüsten rund um das große Happy-Birthday-Ding findet nicht nur im Reich der Superreichen statt, sondern in allen Einkommensklassen. Man kann statt 50 Euro auch 500 oder fünf Euro annehmen: Der Wahnsinn bleibt doch der gleiche.

1000 Mal anders

Die Grenzen des Wachstums sind definitiv auch im Kinderzimmer erreicht. Auch dort, wo es nicht um zu viel Geld, sondern um zu viel Kreativität geht. Sowie um Menschen, die offenbar viel zu viel Zeit haben. Da wird zum Geburtstags-Themennachmittag gebeten. Motto: "Zirkus". Erwünscht sind "Tiere, Clowns oder Akrobaten". Lustig, durchaus. Auch wenn das den Fasching verlängert und voraussetzt, dass die Eltern gerne hauptberuflich Kostüme schneidern. Dann findet der Zirkus statt, man würde jetzt gerne sein Kind, das Seehundbaby, abgeben und sich trollen. Doch man wird eingestellt, wenn nicht zwangsrekrutiert, wenn nicht shanghait: als Hiwi für die in wochenlanger Arbeit ausgetüftelten Zirkusnummern. Es sind 27.

Schließlich landet man hinter einer Pappwand voller Luftballons, um aus der Messerwerfer-Nummer einen Hit zu machen. Wann immer eines der (sorgsam abgerundeten) Plastikmesserchen heransaust, muss man von hinten einen Luftballon mittels Nadel zum Platzen bringen. Sonst gäbe es Tränen. Tränen!

Wenn es aber kein Zirkus ist, dann hat jemand den halben Stadtpark umgebaut, um den Hobbits ein Auenland wie im Buche zu bieten. Die Eltern werden gebeten, die Kinder als Bilbo, Gandalf oder Frodo Beutlin auszustaffieren und im Übrigen pünktlich zu sein. "Die Show" - kein Witz, so ist das auf der Karte zu lesen - "findet auch bei Regen statt." Kein Wunder: Der Aufwand, der hier getrieben wurde, entspricht der einer mittleren Nato-Übung.

Es konnte gar nicht ausbleiben: das Geschäft mit dem Kindergeburtstag. Tollkids ("Die Kindergeburtstagsmacher") bietet beispielsweise ein "Rundum-Glücklich-Paket" in der Kategorie "Klassik" für 590 Euro an. Dafür erhalten bis zu zwölf Kinder "2,5 Stunden Geburtstags-Spaß". Zwei Animateure, jeweils ein Mitgebsel, Kuchen und Muffins ("gesunde Leckereien nach Absprache") . . . all das ist inklusive beziehungsweise eben das reinste Rundum-Glück. Auf der Tollkids-Homepage heißt es: "Wir nehmen Ihnen die gesamte Organisation (Vorbereitung und Ausführung) des Kindergeburtstags ab. Vorbereitung der Einladungskarten für die Gäste Ihres Kindes - auf Wunsch werden diese auch direkt verschickt. Wenn Sie es wünschen, besorgen wir Ihnen auch das Geburtstagsgeschenk für Ihr Kind und bringen es schön verpackt zur Geburtstagsfeier mit." Ob die Firma, falls man es wünscht, auch die Geburtstagskind-Freunde auswählt? Kann man die casten?

Falls man es wünscht. Geburtstage sind ja dazu da, um sich was zu wünschen. Was sich wohl Kinder wünschen? Ob es sie rundum glücklich macht, wenn man für sie das Rundum-Glücklich-Paket erwirbt?

Noch mehr Rundum bieten nur die ebenfalls überall entstehenden Indoor-Hüpfburgen. "Jux und Tollerei" heißt das dann. Oder auch, ohne Hüpf und ohne Burg, "SoccerFive": "Sie möchten den schönsten Tag des Jahres mit Ihrem Kind einmal anders feiern? Dann laden Sie doch Ihre Geburtstagsgesellschaft zum ,KIDSWORLD-Birthday' ins Sporttreff ein." Einmal anders.

Auf kindergeburtstage-muenchen.de werden unter anderem diese "Kategorien" angeboten: Erlebnis-Bauernhof, Pferdehof, Kino, Kochen, Backen, Kreative Angebote, Werkstätten, Ton, Töpfern, Malen, Drucken, Filzen, Basteln, Schmuck, Handwerken, Nähen, Museum, Natur erleben, Sport, Fußball, Soccer, Bowling, Kegeln, Schwimmen, Minigolf, Klettern, Eishockey, Schlittschuhlaufen, Beachvolleyball, Theater, Tierpark, Aquarium, Zauberer, Clown, Kinderschminken, Ballonkünstler, Geschichten-/Märchenerzähler, Agenturen, Animation, Geschenkideen, Hochseilgarten, Experimentieren, Forschen . . . einmal anders? Einmal anders.

In der Schweiz wird in einem auf Kindergeburtstage spezialisierten Freizeitpark der Flug in einem Simulations-Space-Shuttle angeboten. Im "Connyland", ebenfalls in der Schweiz, kann man eine "Flipperparty" mit anschließendem Delfinestreicheln buchen. Es gibt kein Einmal-anders, nirgendwo.

Was man bräuchte, wäre ein Wie-immer. Was man bräuchte: Topfschlagen und Blinde-Kuh - aber dann bitte nicht vom Retro-Ganzheitlichkeits-Anbieter, den es leider ebenfalls gibt.

Zur Krativität verdammt

Natürlich bieten auch herkömmliche Zoos mittlerweile Kindergeburtstags-Pakete an. Selbst Museen und Theater haben Witterung aufgenommen. O ja, die Bildungseinrichtungen: Dort trifft man dann all die Eltern, die alles, was bis jetzt beschrieben wurde, aber so was von disgusting finden. Das gehe doch völlig am Kindsein vorbei, das sei ein randgesellschaftliches, sozial auffälliges Phänomen, da könne man sein Kind ja gleich vor die Glotze setzen, by the way, man habe ja gar kein TV mehr. Und haben Sie eigentlich schon das Buch "Digitale Demenz" gelesen? Nach Hause geht man dann mit einem Kind, das gezwungen wurde, sein kreatives Unbewusstes auszuleben. Das Kind hat ein beschmiertes Papier in der Hand, über das die Kids-and-Art-Workshop-Leiterin gesagt hat, dass sich darin etwas Dunkles, zugleich aber etwas Sphärisch-Heiteres ausdrücke. Das Kind ist sehr still.

Wäre es eigentlich denkbar, einem Kind einen Kuchen zu backen, mit Kerzen drauf zum Auspusten? Könnte man dem Kind ein Kaninchen oder ein Fahrrad schenken? Dürfte man "Happy Birthday" singen? Ist es vorstellbar, dass man dann den Gästen die Wohnung, den Garten, das Haus oder auch nur das Kinderzimmer überlässt - eine Zeit lang? Und könnte man auf das Mitgebsel verzichten? Wäre womöglich auch Vertrauen möglich? Darauf, dass einer Horde Kinder schon irgendein Spiel einfallen wird? Theoretisch wäre das alles denkbar. Vor allem wenn man es nur mit Kindern zu tun hätte. Praktisch aber ist es so: Diese Kinder haben Eltern.

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