Familie:So erzieht die Welt

Children sit inside a classroom on their first day of school at Shimizu elementary school in Fukushima

Schule in Japan ist weniger frei, geht aber auch schneller voran.

(Foto: Carlos Barria/Reuters)

In Frankreich gibt es keine Nervensägen, asiatische Kinder sind leistungsfähiger und schon kleine Spanier feiern bis in die Nacht. Wir haben ausländische Eltern gefragt, ob die Klischees stimmen - und welche Tipps sie deutschen Eltern geben.

Von SZ-Autoren

Glaubt man Sara Zaske, sind die Deutschen überaus entspannte Eltern. Die Amerikanerin, die mit ihrer Familie knapp sieben Jahre in Berlin gelebt hat, lobt in ihrem im Frühjahr in den USA erschienen Buch "Achtung Baby" ausgerechnet die hiesige Erziehung. Nicht Ordnungsliebe und Disziplin verbindet sie mit Deutschland. Sondern Eltern, die Wert auf die Unabhängigkeit ihrer Kinder legen und sie darum schon mal kopfüber die Rutsche runtersausen lassen.

"Achtung Baby" gehört zu einem neuen Ratgeber-Genre, das den Blick ins Nachbarland richtet, wo natürlich alles besser läuft. In Frankreich etwa gibt es keine Nervensägen, erklärt uns die Amerikanerin Pamela Druckerman in ihrem Buch. Asiatische Kinder sind leistungsfähiger, auch wenn man ihnen dafür androhen muss, ihre Kuscheltiere zu verbrennen, lernen wir von Amy Chua. Den skandinavischen Kindern geht es einfach nur gut, weiß Jessica Joelle Alexander. Ist etwas dran an den nationalen Erziehungsmustern? Wir haben in Deutschland lebende Ausländer gefragt, wie sie die eigene und die deutsche Erziehung sehen.

"Ein ganzes Jahr fürs Abc? Das ginge doch auch schneller!"

Klischee: Den Japanern ist Leistung sehr wichtig.

Masako Honda, 48, drei Kinder, seit zweieinhalb Jahren in Deutschland: "Schon weil ich drei Mädchen habe, ist es gut, dass wir jetzt in Deutschland leben. Für sie sind die Zukunftsaussichten hier einfach besser. Und jetzt haben die drei auch mehr von ihrem Vater. In Japan sehen die meisten Kinder ihre Väter in der Früh eine halbe Stunde, dann sagen sie: 'Tschüss, bis morgen.' Abends sind sie längst im Bett, wenn er nach Hause kommt. Am Wochenende ist er müde. Mir war nicht bewusst, wie wichtig der Vater für die Kinder ist, ich kannte nur die japanische Art. Auch Töchter brauchen eine männliche Figur.

Die Schule in Deutschland ist ganz anders als in Japan, viel freier. In Japan sagt man, Nägel, die herausragen, werden eingeschlagen. Das ist kein Klischee, das ist so. In Deutschland sollen schon die Kleinen verstehen, was sie tun, was etwa beim Multiplizieren genau passiert. Sie sollen selber denken, in Japan wird endlos auswendig gelernt. Aber die japanische Schule geht viel schneller voran."

Tipp: "Ein ganzes Jahr fürs Abc? Das ginge doch auch schneller!"

Protokoll: nh

"Der größte Unterschied liegt in der Kinderbetreuung"

Klischee: Kinder lernen in den USA früh, Dinge anzupacken, zur Schule geht's im Auto.

Claude Yama, 48, zwei Kinder, seit sieben Jahren in Deutschland: "Amerika ist riesig, du brauchst ein Auto, wenn du nicht in der Stadt wohnst. Aber tatsächlich fahren viele ihre Kinder auch bei kurzen Wegen. Es ist nicht immer Faulheit, die Busse und Bahnen sind nicht so gut wie in Deutschland. Wir laufen viel, schon immer, und wenn wir in München Besuch von Amerikanern haben, wundern sie sich, wie selten wir fahren.

Der größte Unterschied liegt in der Kinderbetreuung. Erzieher in Deutschland sind viel besser ausgebildet, in Amerika reicht es, wenn du Kinder hast. In der Kita gibt es in den USA keinen sanften Start, nach einem Tag Eingewöhnung bleiben Kinder dort allein. Nach dem Motto: 'Du schaffst das schon!' Das ist hart, aber Kinder lernen früh, sich Dinge zuzutrauen. Dazu kommt, dass man schon in der Schule lernt, wie man präsentiert - und wie man sich selbst präsentiert."

Tipp: "In Deutschland werden Mütter schief angesehen, wenn sie voll arbeiten. Warum eigentlich? Seid toleranter! So seid ihr auch gute Vorbilder für eure Kinder!"

Protokoll: from

"Bringt Kindern das Kochen bei"

Klischee: Frauen in Ghana tragen ihre Kinder immer auf dem Rücken, und das ganze Dorf erzieht mit.

Ernest Ampadu, 62, vier Kinder, seit 38 Jahren in Deutschland: "Auch Männer tragen Kinder. Als ältester Sohn hatte ich meine Geschwister im Tuch und später meine eigenen Kinder. Kinderwagen finde ich unpraktisch. Wir in Ghana sind strenger als die Deutschen, es gibt schon mal Hausarrest zur Strafe. Meine 16-jährige Tochter muss um acht zu Hause sein und wie alle Kinder im Haushalt helfen. Auch mein Zwölfjähriger kennt sich in der Küche aus.

In Ghana können schon kleine Kinder kochen und Wäsche waschen. Wir wollen, dass Kinder früh selbständig sind und aus den Erfahrungen der Erwachsenen lernen. Nicht jeden Fehler muss man selbst machen. Deutsche glauben, ein Kind muss erst hinfallen, um daraus zu lernen. Wir möchten das Hinfallen vermeiden. Afrikanische Kinder wachsen in größeren Familienverbänden auf, und keiner nimmt es übel, wenn sich Verwandte in die Erziehung einmischen."

Tipp: "Lasst den Kindern nicht alles durchgehen und bringt ihnen das Kochen bei."

Protokoll: nt

"Etwas mehr Respekt vor den Erwachsenen würde nicht schaden"

Klischee: Französische Kinder sind gut erzogen und kennen das Wort Matschhose nicht.

Christelle V., 45, zwei Kinder, seit 18 Jahren in Deutschland: "Matschhosen haben die Franzosen wirklich nicht. Bei uns dürfen Sechsjährige aber auch nicht auf Bäume klettern. Wir sind etwas behütender und auch strenger. Die Deutschen richten sich sehr nach ihren Kindern. In der Schule finde ich das gut, da wird auf jeden eingegangen, in Frankreich gibt es noch viel Frontalunterricht. Aber dass manche Eltern sich hier größere Betten kaufen, damit die Kinder bei ihnen schlafen können, hat mich sehr erstaunt. Bei uns bleiben die Kinder in ihren Betten und schlafen auch früher durch.

Es gibt insgesamt mehr Regeln: Möglichst kein Naschen zwischen den Mahlzeiten, weniger Süßigkeiten, man sagt 'Guten Tag' und bleibt möglichst bei Tisch sitzen. Das Essen ist uns heilig: Ich versuche, abends warm zu kochen, wir sitzen dann nicht selten 45 Minuten zusammen und unterhalten uns."

Tipp: "Kinder reden hier oft dazwischen. Etwas mehr Respekt vor den Erwachsenen würde nicht schaden."

Protokoll: nvh

"Bei Spaniern ist ein Kindergeburtstag mit 20 Kindern die Regel"

Vibrant Barcelona Lifestyle

Zeit, ins Bett zu gehen? In Spanien sieht man das etwas lockerer.

(Foto: Alejandro Rustom/VWPics/Redux/la)

Klischee: Kinder in Spanien dürfen bis spätabends aufbleiben, machen dafür aber Siesta

Maria Cuesta, 39, drei Kinder, lebt seit 17 Jahren in Deutschland: "Kleine Spanier dürfen auch unter der Woche länger aufbleiben. Doch dafür stehen sie auch später auf, die Grundschule fängt ja erst um neun Uhr an. Auch am Wochenende und im Sommer sieht man das Thema 'Zeit, ins Bett zu gehen' lockerer als in Deutschland.

Die Siesta dagegen ist oft nur noch ein Mythos. Wenn die Kinder etwas größer sind, finden sie es auch in Spanien cool, auf den Mittagschlaf zu verzichten. Das klingt nun wie eine Übung für die Partys, die Spanier angeblich ständig feiern. Mag sein, dass Jugendliche früher damit anfangen. Aber spanische Kinder feiern noch nicht die Nacht durch. Mir fällt allerdings ein Unterschied auf: Bei den Spaniern ist ein Kindergeburtstag mit 20 Kindern oder der ganzen Klasse mittlerweile die Regel. Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen."

Tipp: "Es ist schön, dass Kinder in Deutschland so viel mitreden dürfen. Aber: Eltern wissen manches wirklich besser! Und sie dürfen auch ihre eigenen Interessen wahrnehmen!"

Protokoll: rpr

"Nicht jedes Kind braucht ein eigenes Zimmer"

Klischee: Kinder haben in Algerien drei Berufe zur Auswahl - Arzt, Ingenieur oder Anwalt. Wer nicht folgt, wird mit dem fliegenden Hausschuh bestraft.

Schaima Lihoum, 27, ein Kind, seit acht Jahren in Deutschland: "Arabische Familien reden gerne in allen Lebensbereichen ein Wörtchen mit. Privatsphäre ist eher ein überschätztes Privileg. Das heißt, Oma und Tante beratschlagen, was aus dem Jungen mal werden soll: Hauptsache Akademiker. Damit kann man im Bekanntenkreis am besten angeben. Doch wir möchten unserem Kind bei der Berufswahl absolute Freiheit lassen, so wie in Deutschland üblich. Deshalb versuchen wir, darauf zu achten, wo seine Stärken liegen und die zu fördern.

Auch werfen wir nicht mit Schuhen. In der arabischen Welt sind die ein Symbol der Verachtung. Eltern greifen darauf zurück, wenn die Kinder, die ansonsten in der Großfamilie so mitlaufen und dadurch oft mehr Freiheiten genießen als deutsche Kinder, zu wild oder zu laut werden. Doch uns ist es wichtig, dem Kind mit Respekt zu begegnen.

Tipp: "Nicht jedes Kind braucht ein eigenes Zimmer. Sie sollten lernen zu teilen."

Protokoll: dura

"Ein großes Familienessen tut allen gut"

Knigge-Kurs für Kinder

Bei der italienischen Kindererziehung geht es viel ums Essen.

(Foto: iStock_000012785735Small)

Klischee: Hauptsache die Pasta ist al dente und alle sitzen um einen Tisch.

Valeria Giaquinto, 47, vier Kinder, seit 15 Jahren in Deutschland: "Das Allerwichtigste in Italien ist das Essen. Was, wie viel, wie lang, wie gesund, mit wem. Ich bin in Neapel aufgewachsen. Meine Mama hat immer mehrere Gänge gekocht, und das zwei Mal am Tag: primo, secondo, dolce. Wenn ich heute Urlaub mache mit italienischen Müttern, ist das noch genauso: Die reden nur übers Essen.

Im Alltag kriegen sie das nicht mehr hin. Was geblieben ist: eine enorme Tischkultur. Dass Kinder sitzen bleiben, beide Hände auf dem Tisch haben und Respekt vor dem gemeinsamen Essen haben und vor den Gesprächen. Die Deutschen sind da pragmatischer. Wenn ein Kind nichts isst, zuckt man mit den Schultern, wartet auf den Hunger. In Italien ist das ein Drama: Il bambino non mangia! Italienische Kinder dürfen sich auch nicht dreckig machen, auch auf dem Spielplatz nicht. An denen wird ständig rumgeputzt."

Tipp: "Ein großes Familienessen pro Woche wie in Süditalien, mit Onkel, Tante, Großeltern. Tut allen gut."

Protokoll: gca

"In Schweden duzen Kinder ihre Lehrer"

Klischee: In Schweden duzen Kinder ihre Lehrer, und die Frauen sind sehr gleichberechtigt.

Mattias Grenbeck, 46, drei Kinder, seit sieben Jahren in Deutschland: "Schweden sind gesellige Menschen, die Gemeinschaft halten wir hoch. Wir bringen schon den Kindern bei, sich der Gruppe anzupassen. Toleranz ist uns wichtig. Autorität nicht so. Da ist Schweden viel weiter als Deutschland, manchmal denke ich: zu weit. Das Siezen ist lange abgeschafft, wir duzen - vom König mal abgesehen - alle, natürlich auch die Lehrer. Die sehen sich nicht als Respektsperson, sondern als Motivator.

Klappt nicht immer, sagen Freunde, die ihre Kinder auf eine englische Schule gegeben haben. Die Idee aber ist gut. Mit der Gleichberechtigung ist es genauso. Die Schweden haben lange dafür gekämpft, dass Frauen gleichberechtigt arbeiten können. Heute arbeiten fast alle Frauen, auch die, die nicht müssten. Ich frage mich, ob es gesellschaftlich noch akzeptiert wäre, zu Hause zu bleiben. Ist das Freiheit?

Tipp: "Auch mit den Kindern zu Hause bleiben, kann Freiheit sein. Meine Frau hat das in Deutschland genossen."

Protokoll: nvh

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