Die Ankündigung hat etwas Bedrohliches: "Model-Mama" Heidi Klum verfasst ein Kinderbuch. Wird darin wohl ein hässliches Entlein durch Diät und eisernes Laufstegtraining zum schönen Schwan dressiert? Klum und sieben weitere "berühmte Eltern" haben für den Carlsen Verlag je ein Pixi-Buch geschrieben. Ihr Honorar spenden sie an Kinderhilfsprojekte. So entstand die Edition "Alle lieben Pixi", mit der sich der Verlag selbst zur 200. Reihe der Miniatur-Bilderbücher gratuliert.

Prominente Kinderbuchautoren:Geschichtenerzählmaschinen
Der Carlsen Verlag kürt in seiner Pixi-Buchreihe prominente Eltern zu Alleskönnern, Supereltern - und Superautoren. Doch was manche zu erzählen haben, ist ernüchternd.
Das Ganze ist schnell als wenig originelles PR-Ereignis abgetan. Doch das Konzept "Promi-Eltern schreiben" bildet zusammen mit einzelnen Werken ein absolut sehenswertes Konglomerat ideologischer Setzungen - fast als hätte sich der Zeitgeist aus Langeweile in Pixi-Form gegossen. Für Kinder erzählen die Büchlein wenig Spannendes, umso mehr aber über besagte Prominenz. Und über die Spekulation des Verlages, das wohlkonditionierte Heer an Erwachsenen möge beim Anblick von Anke Engelke und Jörg Pilawa auf dem Cover reflexartig zugreifen.
"Der kleine schwarze Wackelzahn" von Heidi Klum zum Beispiel ist weit mehr als ein biederes Erziehungsbuch: Ein Mädchen namens - genau! - Heidi hat einen Milchzahn verloren. Die Zahnfee holt ihn nicht ab, denn er ist ihr nicht sauber genug. Die blondlockige Lady in Pink rauscht zwar in einem funkelnden Sternchenwirbel ins Kinderzimmer, verkündet aber: "Ich kann deinen Zahn auch heute nicht mitnehmen." Ein Schelm, wer hier an Klums "Ich habe heute kein Foto für dich" denkt, mit dem suboptimale Kandidatinnen aus der Sendung katapultiert werden.
In beiden Fällen stellt eine höchste Autorität das Scheitern fest, was bleibt, ist Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit. Allerdings hat die Zahnfee nicht einmal Ahnung von Karies, sie entscheidet allein nach Ästhetik, denn Milchzähne müssen vor allem eins: glitzern. Aus dem Glitzern entstehen dann wunderbare Träume, die "wie Sternenstaub" zu den Menschen fliegen. Kleine Kinder tragen also die Verantwortung für den schlechten Schlaf der Menschheit. All dies illustriert Nina Chen in schleifchenstrotzendem Prinzessinnen-Pastell, die konsequente Umsetzung von Klums Primat der Schönheit.
Wie Heidi Klums donnerstägliche Urteile haben Wortmeldungen Prominenter generell Gewicht in diesem Land. Obwohl die hier versammelten Größen in erster Linie erfolgreiche Entertainer, Unternehmerinnen oder Kulturschaffende sind, haben sie die Aura von Alleskönnern. Nun krönt Carlsen sie noch zu Supereltern und Superautoren in einem. Was diese zu erzählen haben, ist ernüchternd. Bei Jörg und Irina Pilawa ist es eine Liebesgeschichte zwischen Milchbrötchen Milli und dem Berliner Belli. Fernsehköchin Sarah Wiener schickt eine kleine Ratte auf Wanderschaft. Ihre Reise fällt zwar witterungsbedingt ins Wasser, doch zumindest der Proviant des Tierchens dürfte bei Kindern für Gekicher sorgen: Es gibt Stinkekäse, Enzianglibber und geröstete Maden.

Prominente Elternfreuden:Schwedens Prinz Carl Philip ist Vater geworden
Das Geschlecht ihres ersten Kindes kannten Carl Philip und Sofia bis zur Geburt selbst nicht. Sie wollten sich überraschen lassen - und bekamen einen Jungen. Wie groß der Kleine ist, teilte der stolze Vater gleich der Öffentlichkeit mit.
Die meisten der Autorinnen und Autoren scheinen weder ihrem jungen Publikum noch dem Format Kinderbuch besonders viel zuzutrauen. Auf einen originellen, frechen Stil oder ungewöhnliche Perspektiven hofft man vergebens. Vor allem wagt es kaum einer, sich mit der realen Welt auseinanderzusetzen.
Lieber wird eindimensional heruntererzählt, zum Beispiel was man mit den eigenen Kindern erlebt hat: Dana Schweiger, deren Prominenz sich aus dem Status Ex-von-Til und einem Label für Schwangerschafts- und Kindermode speist, berichtet von Jackie, dem "süßesten Hund von allen". Die Kinder Schweiger wollen einen Hund. Der schlappohrige Welpe kann sich aber nicht benehmen. Also muss er in die Hundeschule. Ende.
Auch Regisseur Fatih Akin und seine Ehefrau Monique ließen sich von ihrem Sohn inspirieren. Der geht den Eltern damit auf die Nerven, dass er ständig Geschichten erzählt kriegen will. Dafür haben sie aber keine Zeit. Also baut Tino sich eine Maschine, die diese Aufgabe übernimmt. Leider ist für die Maschinengeschichten selbst dann kein Platz mehr im Pixi-Buch. Die hätten sich die Eltern schließlich ausdenken müssen. Dafür haben sie aber keine Zeit.
Lichtblicke in der thematischen Ödnis sind die Beiträge von Anke Engelke und Cornelia Funke: Engelke hat eine nachdenkliche Fabel über Vorurteile verfasst und mit kantigen Filzstiftzeichnungen humorvoll illustriert. In sperrigen Reimen erzählt sie von einem reichen Mann, dem die Anwohner jede Menge Böses andichten. Das Nachbarskind findet heraus, dass er ganz heimlich Gutes tut. Dass der Reiche ausgerechnet Raffen heißen muss, will nicht recht zu diesem ansonsten durchdachten Buch passen.
Cornelia Funke schreibt über Sten, dessen Großvater gestorben ist. Neben Unmengen alter Bücher hat er dem Jungen ein kleines, quietschendes "Plüschding" vererbt. Es entpuppt sich als "Bücherfresser", der wortwörtlich wiedergeben kann, was er gerade verschlungen hat. Das erinnert an Akins "Geschichtenerzählmaschine". Doch im Gegensatz dazu werden hier relevante Fragen kindgerecht verhandelt: wie man mit dem Erbe eines Verstorbenen umgeht; dass es in Ordnung ist, wenn einem dabei "ganz kalt vor Traurigkeit" wird, und dass Bücher auch einem kleinen Lesemuffel Welten öffnen können.
Dass eine gefeierte Jugendbuch-Autorin auch auf 24 Miniseiten eine zarte, anrührende Geschichte erzählen kann, verwundert nicht. Aber dass Elternschaft zum Verfassen von Kinderbüchern qualifizieren soll, ist ein irritierendes Bekenntnis für einen Kinderbuchverlag. Allerdings ist diese Idee die logische Fortschreibung der fest verankerten Vorstellung, dass die biologische Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, automatisch dazu qualifizieren soll, diese aufzuziehen und auf ihrem Weg zu begleiten. Wieso sollen sie dann nicht gleich noch die Bücher für ihre Sprößlinge schreiben?
"Die kleine Wolke Sonnenschein / will sooo gern wie die Sonne sein!", reimen Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Fernsehmoderatorin Sabrina Staubitz im achten Band der Reihe. Unfreiwillig ist ihnen mit "Wölkchen, Simon und der Regenbogen" ein Kommentar zur gesamten Pixi-Reihe gelungen. Es geht darin um ein Wolkenkind, das sich mit seiner originären Aufgabe, nämlich zu regnen, nicht abfinden will. Es freundet sich mit Menschenkind Simon an. Im Verlauf der Geschichte lernt die kleine Wolke, dass sie den Regen nicht ewig halten kann, und der kleine Junge, dass man gummibestiefelt bei jedem Wetter spielen kann. Beide werden mit einem Regenbogen belohnt. Fazit: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Dies gilt für Wölkchen und Prominente gleichermaßen.
Heidi Klum, Jörg und Irina Pilawa, Anke Engelke, Fatih und Monique Akin, Dana Schweiger, Sarah Wiener, Giovanni di Lorenzo und Sabrina Staubitz, Cornelia Funke: Alle lieben Pixi. Carlsen Verlag, Hamburg 2011. Je 24 Seiten, je 0,95 Euro.