Kinderbetreuung:Labskaus zum Frühstück

Demokratische Kita Dolli-Einsteinhaus

Gänsemarsch mit Sitzkissen: Die Kinder entscheiden über Alltagssitutionen in einer Gruppenkonferenz.

(Foto: Johannes Arlt)

Das Dolli-Einstein-Haus in Pinneberg ist die erste Demokratie-Kita Deutschlands. Das Mitspracherecht ist hier in einer Verfassung verankert, die Kinder dürfen vieles selbst entscheiden. Aber nicht alles.

Von Thomas Hahn

Das Dolli-Einstein-Haus in Pinneberg sieht aus wie eine ganz normale Kita: Spielsachen in den Räumen, kleine Stühle, bunte Jacken an den Haken, und überall rennen Kinder herum. Aber das Dolli-Einstein-Haus ist etwas Besonderes, nämlich die erste Demokratie-Kita Deutschlands, Vorreiter in einem einzigartigen Modellprojekt der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein.

Im Januar bekam die Einrichtung offiziell ihr Zertifikat, seither bekommen Leiterin Ute Rodenwald und ihre Kolleginnen viel Besuch von Leuten aus dem ganzen Land, die ihre Kita betrachten wie ein kleines schräges, etwas weltfremdes Wunder: Kinder und Mitsprache? Ist das nicht die Neuauflage der antiautoritären Erziehung aus der 68er-Bewegung? Eine Einladung zu Chaos und schlechter Ernährung?

Erzieherinnen haben jahrelang an einer Verfassung gearbeitet

Ute Rodenwald nimmt sich gerne die Zeit, die Vorurteile aus dem Weg zu räumen und zu erklären, dass Teilhabe von Kindern nicht bedeutet, die Verantwortung für sie abzugeben. Eher im Gegenteil. Mitsprache zuzulassen, die Kinder im Alltag, in Gruppenkonferenzen oder im Kinderrat über ihre Bedürfnisse mitentscheiden zu lassen, erfordert sogar besonders viel Verantwortungsbewusstsein von den Erzieherinnen. "Es geht bei uns um normale Basisarbeit, die funktioniert, wenn wir Erwachsenen verstehen, was wir die Kinder entscheiden lassen können", sagt sie.

Über Jahre haben die Erzieherinnen an einer Verfassung für das Dolli-Einstein-Haus gearbeitet. Darin sind die sieben Grundrechte der Kinder hinterlegt. Sie wahrzunehmen, bedeutet für die Kinder allerdings auch, die Grenzen des Möglichen zu achten. Die Kinder dürfen zum Beispiel nicht entscheiden, ob sie gewickelt werden. "Das kann ein Kind noch nicht einschätzen, was das bedeutet, den ganzen Tag mit der gleichen Windel rumzulaufen", erklärt Ute Rodenwalds Kollegin Melanie Markner.

Und was das Essen angeht: Grundsätzlich können die Kinder nur aus dem Angebot auswählen, das die Hauswirtschafterin der Kita für sie zubereitet hat. Zum Beispiel: Fischstäbchen mit allen Beilagen oder nur mit Erbsen oder Erbsen mit Kartoffelbrei ohne Fischstäbchen oder nur Erbsen. Oder von allem viel zu viel. Oder auch mal gar nichts, was für fürsorgliche Erzieherinnen eine Bewährungsprobe ist. "Das muss man aushalten", sagt Ute Rodenwald.

Nur einmal in der Woche können die Kinder im Dolli-Einstein-Haus ganz frei bestimmen, was zum Frühstück auf den Tisch kommt. Im Gruppenrat sammeln sie dann ihre Wünsche und stimmen in geheimer Wahl darüber ab. Auf diese Weise kann es tatsächlich schon mal vorkommen, dass die Kinder Pommes frites am Morgen essen. Oder Labskaus.

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