Kinderbetreuung abseits der Städte:Blühende Kita-Landschaften

Kinderbetreuung abseits der Städte: In den Landkreisen fehlen nur wenige Kita-Plätze (Symbolbild: Kita in Berlin).

In den Landkreisen fehlen nur wenige Kita-Plätze (Symbolbild: Kita in Berlin).

(Foto: dpa)

Ab August gilt der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Während in den Städten große Lücken klaffen, können die meisten Landkreise dem Stichtag gelassen entgegensehen. So auch Lüchow-Dannenberg, der am spärlichsten besiedelte Kreis Westdeutschlands. Dass dort immer mehr Kinder in die Kita gehen, liegt nicht nur daran, dass ihre Mütter häufiger arbeiten.

Von Lena Jakat

Wenn der Landkreis Lüchow-Dannenberg, der sich im östlichsten Zipfel Niedersachsens an die Elbe schmiegt, für etwas bekannt ist, dann für das hochumstrittene Atommülllager Gorleben. Dass ausgerechnet dort die Tonnen mit alten Brennstäben lagern, dürfte mit einer zweiten Besonderheit zusammenhängen, die Lüchow-Dannenberg auszeichnet: Es ist der am dünnsten besiedelte Landkreis in den alten Bundesländern, gerade einmal 40,2 Einwohner kommen hier auf den Quadratkilometer. Landwirtschaft, Rad- und Reitwege prägen das Wendland.

Große Distanzen, spärliche Angebote: Für berufstätige Eltern stellt die Kinderbetreuung in solchen Regionen eine besonders große Herausforderung dar - möchte man meinen.

Weit gefehlt. Schon Anfang des Jahres kündigte der Deutsche Landkreistag an, für den ländlichen Raum sei das Recht auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr kein Problem. Drei Wochen vor dem Stichtag erneuerte Landkreistagspräsident Jörg Duppré diese Zuversicht. "Die Zahlen belegen, dass der Krippenausbau gerade in der letzten Zeit noch einmal an Fahrt gewonnen hat", sagte Duppré laut einer Mitteilung. Dabei werde die auf dem Krippengipfel 2007 gesetzte Zielmarke von 780.000 Plätzen übertroffen. "Das ist eine sehr gute Nachricht in einer Debatte, die an vielen Stellen meiner Meinung nach zu aufgeregt und zu wenig sachlich geführt worden ist."

Lücken klaffen vor allem in Städten

In den vergangenen Wochen hat der kommunale Spitzenverband eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt. Das Ergebnis: In 69,3 Prozent aller Landkreise sei es möglich, den Rechtsanspruch vollständig zu erfüllen, in 22,4 Prozent der Kreise könne ihm "für nahezu alle Kinder" nachgekommen werden. (Umfrage als PDF). Die Landkreise sind bei der Kinderbetreuung für 47 Millionen Menschen in Deutschland zuständig, etwa 57 Prozent der Gesamtbevölkerung. Für die anderen 43 Prozent stellt sich die Lage weitaus weniger rosig dar: Die Angaben der Kreise stehen im krassen Widerspruch zur Situation in den Städten, wo bei der Betreuung vielerorts noch enorme Lücken klaffen.

Also heile Welt auf dem flachen Land, familienpolitisches Idyll zwischen Lüneburger Heide, Harz und Alpenrand?

Lüchow-Dannenberg führt unter der Rubrik Kindertageseinrichtungen auf seiner Webseite 40 Einträge auf, in einem eigenen Portal können Eltern nach Betreuungsart differenziert die Angebote im Landkreis durchsuchen. "Die Situation bei uns ist gut. Wir haben kurzfristig noch 15 Krippenplätze geschaffen, als es Nachfragen gab", sagt Dörte Hinze vom Fachdienst Jugend-Familie-Bildung. "Wir werden die Quote sogar übererfüllen." Für 35 Prozent aller Kinder zwischen eins und drei muss es einen Betreuungsplatz geben, hat die Bundesregierung als Zielmarke vorgegeben. In Lüchow-Dannenberg beträgt die Quote sogar 43,7 Prozent. Zum Vergleich: Noch 2011 lag in Niedersachsen der Anteil der Unter-Dreijährigen in Tagesbetreuung bei 19,1 Prozent - und damit bundesweit auf dem vorletzten Platz.

Die Quote wie in Lüchow-Dannenberg würde in vielen Großstädten bei weitem nicht ausreichen, wo Schätzungen zufolge zwei Drittel der berufstätigen Eltern einen Betreuungsplatz brauchen. Im Wendland dagegen ist das anders: "Wir gehen davon aus, dass für alle Kinder, die einen brauchen, ein Platz da ist", sagt Hinze. Das Angebot setzt sich dabei aus Krippen und Tagesmüttern zusammen. Etwa 70 Tagesmütter gibt es derzeit im ganzen Landkreis. "Die Eltern verhalten sich bei der Wahl der Betreuungsart ausgeglichen", so Hinze.

Betreuung aus pädagogischen Gründen

Je ländlicher die Gegend, desto weiter verbreitet ist das traditionelle Familienmodell mit einem Hauptverdiener. Doch nicht nur, was Vater, Mutter, Kind angeht, auch die Strukturen der erweiterten Kleinfamilie sind auf dem Land häufiger noch intakt als in der Stadt. Oma, Opa oder Tante sind öfter in der Nähe, um den Zweijährigen von der Kita abzuholen oder dem Erstklässler bei den Hausaufgaben über die Schulter zu schauen.

"Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen ist in den vergangen Monaten ganz leicht angestiegen, wie erwarten auch nicht, dass das noch mehr wird", sagt Hinze. Soziologen und Familienpolitiker begründen den steigenden Betreuungsbedarf vor allem mit dem wachsenden Anteil berufstätiger Frauen. In Deutschland ist die Frauenerwerbsquote seit 2000 von 63 auf 71,8 Prozent gestiegen.

Berechnet man die Frauenerwerbsquote für den Kreis Lüchow-Dannenberg, zeigt sich, dass diese von 2002 bis 2012 von 47,9 auf 51,1 Prozent gestiegen ist - nur eine marginale Zunahme. Außerdem arbeiteten 2012 mehr Frauen in Teilzeit. Ihr Anteil stieg um elf auf 44,6 Prozent.

Kita-Betreuung aus Überzeugung

Der Wandel des Arbeitsmarkts ist nur ein Teil der Erklärung. Bärbel Wilgermein leitet die Lüchower Bildungsinitiative Weibsbildung. Dass das Angebot an Kinderbetreuung stark ausgebaut wurde - und auch die Nachfrage zugenommen hat - erklärt sie so: "Das hat nicht unbedingt mit der Arbeit zu tun, der Wunsch nach Kinderbetreuung kommt hier nicht aus einer Notsituation heraus. Sondern damit, dass man erkannt und entdeckt hat, dass es sinnvoll ist, ein Kind in Betreuung zu geben", sagt Wilgermein. "Die Aufklärung, dass Krippen ein pädagogisches Angebot, einen Bildungsauftrag haben, hat hier gefruchtet". Viele Mütter - ob berufstätig oder nicht - haben sich bewusst dafür entschieden. "Nach dem Motto: Meinem Kind tut das gut, das ist wichtig für seine Sozialisation." Was die Versorgungslage angehe, habe sich die Stimmung in den vergangenen Jahren sehr verbessert, sagt Wilgermein, die seit 30 Jahren in der Fort- und Weiterbildung arbeitet.

Das Problem sieht sie anderswo: im mangelhaften öffentlichen Nahverkehr. "Die Wege sind oft sehr weit, ÖPNV ist kaum vorhanden". Dörte Hinze von der Landkreis-Verwaltung sieht die Situation weniger problematisch. "Die Eltern müssen sowieso fahren, weil sie selbst zur Arbeit pendeln." In Lüchow-Dannenberg sei in der Regel im Radius von zehn Kilometern ein Betreuungsplatz vorhanden.

"Wohnortnah" muss der Betreuungsplatz sein, auf den von Donnerstag an alle Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch haben. Wohnortnah, das bedeutet in der Stadt etwas anderes als auf dem Land. Während in Lüchow-Dannenberg, wo die nördliche Kreisgrenze von der südlichen 50 Kilometer entfernt ist, zehn Kilometer überschaubar erscheinen, wird in den Großstädten mit einem anderen Maß gemessen - das teilweise per Gerichtsverfahren bestimmt werden muss. Vor zehn Tagen urteilte zum Beispiel das Kölner Verwaltungsgericht, dass "wohnortnah" maximal fünf Kilometer bedeute.

Während ihre Kolleginnen in Hamburg, Frankfurt oder München dem Donnerstag bang und in Erwartung so mancher Klage entgegensehen, nähern sich Hinze und ihre Kolleginnen diesem Termin gelassen. Und das Wendland könnte demnächst vielleicht aus einem weiteren Grund berühmt werden: für seinen Status als Betreuungsparadies.

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