Süddeutsche Zeitung

Kinderarmut:Familiengründung darf kein Armutsrisiko sein

Lesezeit: 3 Min.

Wer Kinder bekommt, bei dem sollte finanziell, beruflich und emotional alles stimmen, sonst ist der Weg in die Armut kurz. Doch Brüche in der Biografie sind die Regel - darauf muss die Politik reagieren.

Kommentar von Barbara Vorsamer

Fast 15 Prozent aller Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf - sie leben nicht nur in Familien, die seit Generationen Sozialhilfe empfangen und den gesellschaftlichen Aufstieg nicht schaffen. Es sind Familien, die immer nur einen Schicksalsschlag von der Armut entfernt sind. Die häufigsten Gründe dafür, dass Haushalte unter die Armutsgrenze rutschen sind Trennung, Jobverlust und das dritte (oder vierte oder fünfte) Kind.

Anders herum betrachtet: Wer es in Deutschland wagen will, eine Familie zu gründen, hat am besten einen sicheren Job, ein solides Gehalt und eine Partnerschaft, die mit hundertprozentiger Sicherheit die nächsten zwei Jahrzehnte übersteht. Für alle anderen ist Kinderkriegen ein unzumutbares Risiko.

Brüche in der Biografie sind die Regel, nicht die Ausnahme. Einer Kündigung kann man mit der besten Ausbildung nicht vorbeugen. Firmen schließen oder verlegen Abteilungen in andere Städte - und gerade Eltern, die ihren Kindern Umzug und Schulwechsel ersparen wollen, sind hier unflexibel. Sie müssen es sein, den Kindern zuliebe. Auf dem Arbeitsmarkt kostet mangelnde Flexibilität bares Geld.

Auch eine Trennung ist nichts Außergewöhnliches. Ein Drittel aller Ehen wird geschieden, in Großstädten jede zweite, bei nichtverheirateten Elternpaaren ist die Trennungsquote ähnlich hoch. Alleinerziehende sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen: 42 Prozent aller Ein-Eltern-Familien leben unter der Armutsgrenze, 38 Prozent sind auf staatliche Hilfen angewiesen. Nicht wenige vormals gut situierte Paare kommen nach einer Trennung plötzlich kaum mehr über die Runden, weil zwei Wohnungen her müssen, zwei Kinderzimmer und im Idealfall zwei Urlaube bezahlt werden wollen. Dazu kommen Fahrt- und Babysitterkosten.

Familien rutschen leicht in die Armut und kommen schwer wieder raus

Die Freiheit, sich beruflich neu zu orientieren oder sich aus einer Beziehung zu lösen, wurde in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpft. Nur die Politik verhält sich weiterhin so, als wären Trennungen und Brüche in der Erwerbsbiografie ungünstige Ausnahmen.

Anette Stein, als Familienpolitik-Expertin der Bertelsmann-Stiftung zuständig für die aktuelle Studie, hat die Forschungsergebnisse der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet und kommt zu dem Schluss: Arme Kinder wachsen sozial isolierter auf, ihr Gesundheitszustand ist schlechter und sie haben häufiger schulische Probleme als ihre Altersgenossen. Wenig überraschend sind diese Kinder auch als Erwachsene überproportional häufig: arm.

Allein aufgrund dieser verheerenden Langfristeffekte kann es sich Deutschland nicht leisten, die 14,6 Prozent der Kinder, die laut Bertelsmann-Studie als arm gelten, abzuschreiben. Arme Kinder brauchen mehr Geld, was im Klartext heißt: Die Eltern von armen Kindern brauchen mehr Geld.

Hier müssen sich Politiker von der Vorstellung freimachen, dass Hartz-IV-Bezieherinnen sich vom Kindergeld die Nägel maniküren lassen oder alleinerziehende Väter die Transferleistungen in Bier und Zigaretten stecken. Sie müssen darauf vertrauen, dass die meisten Eltern für ihre Kinder das Beste wollen.

Vorschläge, die staatlichen Hilfen eher als Gutscheine oder Ermäßigungen zu verteilen, sind entmündigend für die Betroffenen. Im Grundgesetz steht "Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern" und nicht "Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht wohlhabender Mittelschichtseltern, die alleine klar kommen, und alle anderen müssen sich gängeln lassen."

Mehr Geld für arme Kinder, das beginnt mit höheren Hartz-IV-Sätzen. Die Sätze für Kinder wurden von Anfang an als unzureichend kritisiert. Schließlich kosten Kinder nicht weniger als Erwachsene - eher mehr, denn wer ausgewachsen ist, braucht nicht jeden Winter neue Schuhe. Außerdem muss der Unterhaltsvorschuss neu geregelt werden. Jedes zweite Kind von Alleinerziehenden bekommt gar keinen Unterhalt, weitere 25 Prozent weniger als ihnen zusteht. Ja, der Staat springt ein, aber nur mit 145 bis 194 Euro und das für maximal sechs Jahre. Was, wenn der Ex-Partner dann immer noch nicht zahlt?

Kindergeld aus der Gießkanne, falsche Anreize durchs Splitting

Auch das Kindergeld bedarf einer gründlichen Überprüfung, denn die nach dem Gießkannenprinzip verteilte Leistung ist ein Witz. Für die einen, weil sie die 184 Euro pro Kind eh nicht brauchen - für die anderen, weil der Betrag bei weitem nicht reicht. Dass es ab dem dritten Kind sechs Euro mehr gibt, ist wohl kaum ein Grund, sich dem Armutsrisiko Großfamilie auszusetzen.

Das Geld für die zusätzliche Unterstützung armer Kinder könnte man zum Beispiel beim Ehegattensplitting einsparen. Dafür gehen jährlich zwischen 19 und 22 Milliarden Euro drauf, doch nicht Familien profitieren davon, sondern verheiratete Paare mit und ohne Kinder. Und auch die nur, solange sie verheiratet bleiben.

Das soziale Netz für Familien ist in Deutschland nicht eng genug gewebt. Sie fallen durch, sobald irgendetwas schief geht. Gerade weil das jedem jederzeit passieren kann, muss sich das ändern - und wahrscheinlich wäre es unterm Strich sogar für die Staatskasse günstiger. Menschen mit Perspektive kosten viel weniger als die, die sich und ihre Kinder als chancenlos wahrnehmen.

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